Kapitel 27- Aller Anfang ist schwer

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Kapitel 27- Aller Anfang ist schwer

Stille.
Alle Blicke waren auf sie gerichtet, während Lilly vor ihrem Halbbruder stehen blieb und ihn ansah. Ihre Hände nestelten fahrig an dem Saum ihres Pullovers herum und Sevil spürte Mitleid in sich aufsteigen.
„Schön dich zu sehen.", sagte sie atemlos und blickte zu Jake auf.
Der lächelte leicht. Sevil hätte ihnen gewünscht für ihr erstes Treffen etwas mehr Zeit für sich zu haben. Doch die Umstände hatten das einfach nicht gestattet.
„Finde ich auch.", sagte er leise und verstärkte den Druck auf Sevils Hand. Es war nicht unangenehm, doch es zeigte deutlich dass sie sich auf keinen Fall einfallen lassen durfte seine Seite zu verlassen. Was sie überhaupt nicht vorgehabt hatte.

Gemeinsam kehrten sie an den Tisch zurück, an dem nun eine ungewöhnliche Stille herrschte.
„Du...", setzte Thomas an.
Woran sie es erkannt hatten, konnte Sevil nicht so genau nachvollziehen. Doch es war offensichtlich dass sie alle gleichzeitig erkannten, um wen es sich bei ihrem neuen Gast handeln musste.
Dans Miene verfinsterte sich. Ungewöhnlich still lehnte er sich zurück und taxierte Jake mit einem eisigen Blick. Doch das schien ihn nicht im Mindesten zu stören.
„Jake?", fragte Cleo leise und unsicher.
Er nickte und ließ sich neben Sevil auf einen Stuhl sinken. Lilly ließ sich zu seiner anderen Seite sinken und bedachte ihn immer wieder mit verstohlenen Blicken. Offenbar war zumindest sie vollkommen überfordert von der Situation. Jake konnte man nicht ansehen, wie es ihm ging.
„Du zeigst dich?", schaltete Thomas sich ein, während er sein Gegenüber anstarrte. „Einfach so?"
„Nicht einfach so.", widersprach Jake, immer noch ruhig. „Die Situation erfordert es."
Sein Blick huschte nur für den Bruchteil einer Sekunde zu Sevil hinüber. Was keinem der Anderen entging.
„So ist das.", stellte Dan finster fest.
„Wir...hoffen eine Reaktion zu provozieren.", wagte nun Sevil eine Vorstoß.
Lilly starrte sie abwechselnd an. Dann ging ihr ein Licht aufzugehen.
„Moment mal.", stieß sie aus und schnellte vor bis sie Kerzengerade saß. „Heißt das, ihr beide seid so eine Art Lockvogel? Für diesen Irren?"

Weder sie noch Jake bestätigten das. Aber das schien gar nicht nötig zu sein.
„Hast du sie dazu überredet?", knurrte Dan an Jake gewandt.
„Nein.", gab dieser zurück und erwiderte den wütenden Blick des anderen Mannes.
„Sie würde das auch allein durchziehen...das werde ich nicht zulassen."
Für einen Moment verspürte sie den unwiderstehlichen Drang sich zu ducken, als sich nun aller Augen auf sie richteten.
„Seid ihr eigentlich...vollkommen verrückt?", stieß Cleo mit gedämpfter Stimme hervor.
„Ein wenig."
„Nur bedingt."
Kurz blitzte ein Lächeln über Jakes Züge und auch Sevil musste Grinsen.
„Wir sollten den Ort wechseln.", schlug Lilly vor und sah sich unbehaglich um.
Die Anderen zögerten.
„Ich sollte dir eine reinhauen.", knurrte Dan.
„Lass es bleiben.", gab Jake zurück und erhob sich.
„Wir können erst heute Abend in die Wohnung.", ließ er Sevil wissen, die eine Grimasse schnitt.
„Es ist fast heute Abend!", murrte sie und klang wie ein schmollendes Kind. Was ihr in diesem Moment allerdings herzlich egal war.
„Dann dauert es ja nicht mehr lange."
„Solange können wir zu mir gehen.", bot Lilly an. Sie wirkte wieder ein wenig gefasster und schenkte dem Schwarzhaarigen ein vorsichtiges Lächeln, das dieser erwiderte.
„Gern."
„Bin ich der einzige dem es nicht passt wenn dieser Kerl auch noch durch unsere Wohnungen stolziert."
„Ich stolziere nicht. Und ich habe nur vor Lillys Wohnung zu besuchen... nicht die von euch anderen."
„Warum?", wollte der Andere sofort wissen.
„Lass gut sein.", versuchte Thomas die drohende Auseinandersetzung zu schlichten. Aber Dan schüttelte den Kopf.
„Ich will eine Antwort."
„Sie hat es angeboten.", benannte Jake das Offensichtliche.

„Streiten können wir später. Jetzt lasst uns gehen.", beendete Sevil entschlossen das Thema und kam Dan zuvor, als dieser den Mund öffnete um noch etwas zu sagen. „Und wenn dir das Ganze nicht gefällt, steht es dir frei zu verschwinden. Für Streitereien haben wir im Moment wirklich keine Zeit."
Er starrte sie verdutzt an. Dann besann er sich, kniff die Lippen zusammen und griff wortlos nach seiner Jacke.


Bis zu Lillys Wohnung war es tatsächlich nicht weit. Doch es kam ihnen vor wie eine Ewigkeit. Hin und wieder versuchte einer von ihnen zwar ein Gespräch zu beginnen, da sie aber alle ein wenig überfordert waren, verlief es jedes Mal im Sande.
So waren sie wohl alle froh, als sie durch Lillys Tür traten und sich auf den Sitzmöglichkeiten verteilten. Wieder nahm Jake neben Sevil Platz. Dan bedachte sie mit einem undeutbaren Blick, doch sie ignorierte das.
„Wollt ihr etwas trinken?", wollte Lilly wissen.
Einstimmige Zustimmung und als Cleo sich erheben wollte, um zu helfen, stieß Sevil ihrem Sitznachbarn wenig einfühlsam in die Rippen.
„Ich denke Jake hilft gern.", sagte sie an die Blonde gewandt, die ein wenig blasser wurde. Und auch Jake wirkte nicht mehr so sicher wie noch Stunden zuvor.
Dennoch erhob er sich zögernd.
„Natürlich.", murmelte er und folgte seiner Halbschwester in die Küche.

„Du kennst also unseren Hacker.", ergriff Dan das Wort, kaum dass sie außer Sicht waren.
„Genauso wie Michael.", gab Sevil, die sich bereits auf ein entsprechendes Verhör gefasst gemacht hatte, gelassen zurück und suchte den Blick des Anderen „Aber nicht mehr als jeden einzelnen von euch."
„Der Typ ist gefährlich."
„Bisher hat er mich eher beschützt. Und wer sagt mir dass ihr nicht gefährlich seid?"
Der Dunkelhaarige öffnete den Mund um zu einer hitzigen Erwiderung anzusetzen, hielt dann aber inne. Zögerte einen Moment und warf sich dann einfach zurück.
„Du willst also dass wir zusammen arbeiten?", mischte Thomas sich ein. Er war am schwersten einzuschätzen. Sevil hatte nicht die geringste Ahnung was er von der ganzen Sache hielt und es störte sie, dass sie ihn so gar nicht durchschauen konnte.
„Ohne euch geht es nicht."
„Ihr geht ein ziemliches Risiko ein.", sagte Cleo ernst.
„Das ist uns sehr wohl bewusst. Aber aus dem Verborgenen kommen wir nicht weiter. Es wurde Zeit ganz offen zu handeln."
Sie bemerkte dass Dan sie nachdenklich musterte und immer wieder zur Tür blickte.
„Du willst also dass wir dem Kerl vertrauen?"
„Verlangt ihr nicht auch, dass ich euch vertraue?"
Wieder presste er die Lippen fest aufeinander. Man konnte deutlich sehen, wie es in Gedanken abwog was zu tun war. Und sie konnte ihm sein Misstrauen nicht verübeln.
„Was ist mit seiner Drohung?", machte er einen letzten Versuch seinen Standpunkt zu verteidigen.
„War es denn wirklich eine? Michaels hat die Situation ziemlich genau erfasst und für mich war da keine wirkliche Drohung zu entdecken. Jake handelt in eurem Sinne indem er alle Hebel in Bewegung setzt um Hannah zu finden. Ihr habt ihm Steine in den Weg gelegt und seine beste Chance, in dem Fall Michael, gefährdet. Wie hättet ihr reagiert?"
Daraufhin schwiegen sie alle und dachten über das Gesagte nach.
„Warum?", unterbrach Jessy mit einem Mal die Stille. „Warum will er Hannah so dringend finden?"
„Weil ich ihr näher stehe, als ihr alle glaubt ohne ihre Affäre zu sein.", ertönte Jakes Stimme von der Tür her.

Wieder einmal war er einfach wie aus dem Nichts aufgetaucht.
Thomas sah ihn lange an. Dann nickte er schließlich mit ernster Miene.
„In Ordnung.", verkündete er. „Du und Michael haben uns schon unglaublich geholfen. Ohne euch wären so manche Dinge nie ans Tageslicht gedrungen. Und jetzt...ist es an der Zeit uns für all das zu revangieren."
Alle, bis auf Dan, nickten langsam und bedächtig. Der verschränkte die Arme und betrachtete Jake eingehend.
„Als ich den Unfall hatte.", sagte er langsam und Sevil horchte auf. „Da ging ein anonymer Anruf beim Notruf ein."
Jake rührte sich nicht. Und sie rechnete es ihm an, dass er seine Tat nicht zwangsweise publik machte.
„Das hast du uns gar nicht erzählt!", entrüstete sich Jessy.
„War wohl auch nicht wichtig. Also, warst du das?"
„Mehr konnte ich nicht tun."
Ein leises Lächeln schlich sich auf Sevils Lippen währen sie registrierte wie unangenehm Jake diese Form der Aufmerksamkeit war.
„Du hast mir also das Leben gerettet."
„Das glaube ich nicht. Die Straßen waren leer, aber nicht ausgestorben. Kurz darauf wäre sicher jemand vorbei gekommen."
„Was zu spät gewesen sein könnte."
Jake schwieg. Und langsam, ganz langsam bemerkte Sevil ein Lächeln auf den Gesichtern der Anderen, die die seltsame Unterhaltung nun stumm aber aufmerksam verfolgten.
„Danke.", beendete Dan den Dialog und seine Miene entspannte sich. Wenn auch nur ein klein wenig.
„Gern geschehen.", gab Jake zurück und ließ sich wieder an Sevils Seite nieder. Sichtlich erleichtert nun nicht mehr allein im Fokus zu stehen.

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