30 | Brooklyn

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Brooklyn

Applaus, dann Jubel. Ich atme tief ein. Einmal, zweimal. Die Nervosität legt sich langsam und es folgt ein Gefühl von freudiger Aufregung.

Ich blicke geradeaus und sehe meine Band Kameraden, Sean und Henry, die vor einem Schlagzeug und einer Gitarre stehen. Vor beiden ist jeweils ein Mikrofon aufgebaut, da sie bei einigen Songs die zweit Stimme übernehmen.

Weiter nach links kann ich meinen Kopf nicht drehen, da dort ein schwarzer Bühnenvorhang mir die Sicht auf das heutige Publikum versperrt. Ich weiß keine genauen Zahlen, doch für heute ist das Konzert beinahe ausverkauft gewesen. Also müssen viele Menschen dort sein.

Sean hält gerade das Anfangs Programm ab, wobei mein erster Auftritt auf der Bühne erst in circa fünf Minuten beginnt, da sie zuvor das Intro des ersten Songs spielen.

In der Zwischenzeit hole ich einen Brief mit der Aufschrift Für Brooklyn aus meiner Hosentasche. Mit meinem Zeigefinger fahre ich über die geschwungene Schrift, von der ich bereits jeden einzelnen Bogen auswendig kenne.

Auch den Inhalt des Briefes kenne ich gewiss Wort für Wort auswendig, was wohl den Nächten geschuldet ist, die ich schlaflos wach liege und über die schönste Zeit meines Lebens nachdenke.

Die, mit Ellie.

Ich hätte dir auch einfach eine Textnachrricht schreiben können, aber du weißt ja, wie sehr ich die altmodischere Methode dafür mag.

Bei den ersten Worten breitet sich ein Lächeln aus, das ich einfach nicht verhindern kann.

Das hier soll kein Abschiedsbrief sein oder ein Brief, bei dem ich alles aufzähle, was ich an dir liebe oder hasse.

Sieh es als eine Art Chance für einen Neuanfang. Nicht für unsere Beziehung, sondern für unser zukünftiges Leben. Aber es wird nicht unser gemeinsames sein, jeder von uns wird wohl seinen eigenen Weg gehen. Doch wer weiß? Vielleicht werden sich unsere Wege irgendwann wieder kreuzen und wir werden uns wieder sehen. Da bin ich mir sicher.

Wenn du diesen Brief findest, sein nicht traurig. Selbst wenn es am Anfang weh tut, hoffe ich, dass du mir zu einem unbekannten Zeitpunkt dafür danken kannst. Es hätte uns zerstört, verzweifelt an etwas festzuhalten, das keine Zukunft hat. Du hast nun eine neue Zukunft, die Musik. Und wenn du dich mal an unsere gemeinsame Zeit zurückerinnern solltest, dann denke daran, weshalb du es aufgegeben hast.

Um in deinem ganz eigenen Traum weiter zu leben.

Ich weiß, dass sie Recht damit hat.
Mit jedem einzelnen Wort.

Bei jedem Auftritt habe ich Ellies Brief dabei, weil er mich daran erinnert, dass es die richtige Entscheidung war, uns aufzugeben, um meinen Traum zu leben. Das muss es gewesen sein, denn ich habe geschafft, dass es Menschen gibt, die meine Musik mögen und sie gerne hören.

Doch egal wie viele Fans auch vor der Bühne auf mich warten, es hat keine Bedeutung, solange eine bestimmte Person bei mir ist mir und ich mich nicht mehr einsam fühle.

Ich wende meine Aufmerksam den letzten Zeilen des Blattes zu. Den Teil, den ich am öftesten gelesen habe, weil mein Liebelingsteil ist.

Ist es nicht verrückt, was ein Jahr verändern kann? Wie sehr du mich verändert hast? Du hast mich aus meiner Blase aus Lernen geholt und mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben, wirklich am Leben zu sein- mich lebendig zu fühlen. Dafür möchte ich dir danken. Für die Momente, in denen ich dich nicht ausstehen konnte, obwohl von Anfang an das Gegenteil der Fall war. Für die Momente, in denen ich so sehr lachen musste, dass ich Bauchschmerzen hatte und die, in denen wir zusammen geweint haben.

Danke, dass du mir das Leben gezeigt hast.

Deshalb muss ich dir nun die Möglichkeit geben, dein eigenes Leben zu leben. Ich hoffe, du kannst das irgendwann verstehen.

Ellie

An dem Tag, an dem sie mir den Brief gegeben hat, haben wir uns ein letztes Mal im Café getroffen, in dem wir einmal nach dem Cheerleader Training waren.

Ellie hat natürlich selbst im Hochsommer ihre heiße Schokolade mit Marshmallows getrunken.

Es war der Tag vor etwa einem Jahr, an dem wir uns getrennt haben. Dass sie mir einen Brief zugesteckt hat, habe ich erst am Abend zuhause bemerkt. Doch da war sie schon auf dem Weg nach Seattle. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.

Und dort bin ich gerade, in Seattle. Es fühlt sich an wie ein Stich ins Herz, weil ich genau weiß, dass sie nur eine paar Straßen entfernt sein kann und es nicht möglich ist, dass ich sie bemerke, da ich jetzt mein Konzert habe.

Henry gibt mir ein kurzes Handsignal, was heißt, dass nun mein Auftritt beginnt. Schnell falte ich das Blatt Papier zwei Mal und stecke es anschließend in meine Hosentasche. Danach schnappe ich mir mein Mikrofon und renne auf die Bühne.

Die Lichter sind ausgeschaltet, weshalb die Besucher des Konzerts nur erahnen können, dass ich nun vor ihnen stehe. Trotzdem fangen bereits einige Fans an, meinen Namen zu rufen.

Meine Gedanken hängen jedoch noch an Ellies Brief, als Sean am Schlagzeug den ersten Song anzählt Eins weiß ich ganz sicher.

Wenn es doch so etwas wie Schicksal gibt und wir uns wieder sehen, wird es mir meins nicht mehr so einfach wegnehmen können. Das kann ich versprechen.

In der nächsten Sekunde gehen die Lichter im Raum an. Zufällig streifen meine Augen durch die hinteren Reihen des Publikums. Wie magnetisch werden meine Augen von einer Person im Publikum angezogen und als sie sich treffen, habe ich das Gefühl, endlich wieder atmen zu können.

Ein Jahr habe ich darauf gewartet, Ellie endlich wiederzusehen. Doch hier ist sie, so nah wie seit Langem nicht mehr. Plötzlich kommt mir die verdammt lange Zeit wie ein Wimpernschlag vor.

Meine Hände umklammern das Mikrofon fester und ich habe den Blick noch immer auf die Person gerichtet, die seit langer Zeit mein Lieblingsmensch ist.

Trotz allem, was in der Zwischenzeit passiert ist.

"Das ist für die Person, die mir gezeigt hat, was es bedeutet, seinen Träumen zu folgen. Denn meiner ist in dieser Sekunde wahr geworden."

~~♡︎~~

Ich sag ja, Chliffhanger sind mein Lieblingsende

The end <3

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