29 | Decision

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- Ein halbes Jahr später -

Dumpfe Bässe dröhnen an mein Ohr und ich spüre eine kalte Flüssigkeit über meine Finger laufen. Als ich hinunter blicke, erkenne ich, dass es Bier ist, das über den goldenen Pappbecher läuft, weil ich so sehr hüpfe.

Ich trinke es leer und stelle den Becher auf ein schickes, weißes Regal, das jedoch durch Neonlichter jede Sekunde eine andere Farbe einnimmt. Gerade wechselt es von Geld zu Rot. Ich blicke aus der großen Tür auf die Silhouette der beleuchteten Hochhäuser von Los Angeles.

Bei diesem Ausblick erinnere ich direkt an den Tag, als ich das erste Mal auf Braydens Party beziehungsweise generell das erste Mal auf einer Party war. Heute bin ich wieder hier. Es ist DIE Party am Ende des Schuljahres, wie Kayla es immer nennt.

Das merkt man auch den Leuten an, die heute dabei sind. Wobei man gut erkennt, welche Menschen ein gutes Schuljahr hatten und welche sich am liebsten ein Jahr zurück teleportieren wollen.

Mit Stolz kann ich von mir behaupten, zu der ersten Kategorie zu gehören, was vor allem daran liegt, dass ich im März an der University of Washington angenommen wurde.

Es muss ein Wink vom Universum gewesen sein, denn ich habe mich zwar außerdem an der Universität in Berlin beworben, wurde dort aber abgelehnt. Das ist jedoch nicht schlimm, weil ich mich so sehr gefreut habe, als der Brief mit der Bestätigung der UW kam, dass ich das ganze Haus zusammen geschrien habe.

An den Gedanken daran breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, weil ich so gespannt auf den Semesterbeginn bin, besonders nachdem ich mir bereits einmal am Wochenende den Campus angesehen habe und begeistert davon bin.

Vor allem von der riesigen Bibliothek.

Ich laufe zurück in die Menschenmenge und kämpfe mir meinen Weg zu dem, mir sehr vertrauten, Gesicht durch. Brooklyn empfängt mich mit einem Lächeln. In meinem Magen macht sich ein seltsames Gefühl breit.

Einerseits habe ich dieses so unglaublich sehr vermisst, aber andererseits tut es weh, es jetzt wieder zu sehen.

Das kam in der letzten Zeit viel zu kurz. Nachdem Brooklyn bei der Audition teilgenommen hat, hat er sich mit einem anderen Teilnehmer, sowie Henry, dem zweitplaziertem eine Art Band gegründet und sie verbringen buchstäblich Tag und Nacht zusammen, um neue Songs zu schreiben und diese möglichst bald in einem Album zu veröffentlichen.

Ich würde zwar versuchen eine Lösung zu finden, doch die Wahrheit ist, dass ich selbst sehr viel Zeit mit den Uni Vorbereitungen verbringe.

Besonders jetzt, nachdem ich die Annahme von der UW erhalten habe, bin ich öfter als vorher in dem Platten Laden arbeiten, da die Kosten für das Studium sehr hoch sind und ich nicht meine Eltern für alles aufkommen lassen möchte.

So ist es dazu gekommen, dass wir uns in den letzten Monaten immer weniger gesehen haben und wenn wir es doch geschafft haben, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach und war nicht für hundert Prozent in dem Augenblick.

Jemand legt eine Hand um meine Hüfte und ich sehe nach oben und erkenne Brooklyn, der mit einem breiten Grinsen vor mir steht.

Er dreht mich einmal um mich selbst und ich vergesse Stück für Stück, weshalb ich eigentlich traurig bin. Das einzige, was in diesem Moment zählt ist, dass ich gerade hier bin. Bei Brooklyn, mit meinen Freunden, um unseren Schulabschluss und den Beginn des Sommers zu feiern.

Aber warum fühlt es sich trotzdem so an, als wäre es ein Abschied statt der Beginn von etwas Großem?

Ich verkette Brooklyns Hände in meinen und wir hüpfen ausgelassen im Rhythmus des Songs, der gerade läuft und singen mehr oder weniger korrekt die Lyrics dazu.

Ich höre ihn neben mir lachen und drehe meinen Kopf in seiner Richtung. Er sieht glücklich aus, wirklich glücklich.

Meine Augen gleiten über mir sein vertrautes Gesicht und ich präge mir jeden seiner Gesichtszüge genau ein.

Für den Fall, dass ich sie eines Tages vergessen sollte.

Von den leichten Lachfältchen, zu seiner Nase mit einem leichten Delle, weil seine Nase bereits einmal gebrochen wurde, bei einem Football Spiel, bis hin zu seinen Lippen. Die bei denen ich Stunden damit verbracht habe, sie zu küssen.

Doch heute wende ich meinen Blick ab.

Genau in diesem Augenblick löst Brooklyn seine Hand aus meiner. "Da hinten sind Henry und Sean. Ich gehe schnell zu ihnen", ruft er zu mir durch den Lärm zu. Seine Hand deutet in die Richtung, in der die zwei weiteren Teilnehmer der Audition stehen und nun Mitglieder in der Band mit Brooklyn sind.

"Alles klar", antworte ich, aber da ist er auch schon weg.

Sean und Henry empfangen ihn freudig und klopfen ihm mit der Hand auf die Schulter.

Ein paar Meter von mir entfernt wirft Kayla mir einen fragenden Blick zu, weil sie wohl bemerkt haben muss, dass ich Brooklyn regungslos hinterher starre. Als Antwort zeige ich ihr und auch Millie, die neben ihr steht, einen Daumen hoch.

Es ist okay für mich, dass ich mich immer mehr von Brooklyn entferne. Wirklich.

Wir mussten beide eine Entscheidung treffen und haben uns beide gegen unsere Beziehung entscheiden. Brooklyn hat nun seine Band und ich mein Studium an meiner Lieblingsuniversität.

Natürlich tut es weh zu sehen, dass wir beide neue Prioritäten gefunden haben. Aber ich bin mir sicher, dass uns das irgendwann glücklicher machen wird, als wenn wir verzweifelt versuchen unsere Beziehung am Leben zu halten, während wir beide in gewisser Weise uns selbst aufgeben.

Und mit dieser Überzeugung werfe ich wenige Tage später einen Brief in den Briefkasten eines ockerfarbenen Hauses, das für ein paar Monate mein zweites Zuhause gewesen ist, mit der Aufschrift:

Für Brooklyn

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