Kenzie macht mich fertig. Erst ignoriert sie mich seit Wochen, dann giftet sie Madelyn an und nach unserem sehr anstrengenden Gespräch überschüttet sie mich noch immer mit Hass. Natürlich kann ich sie irgendwie verstehen – immerhin war ich ein echter Mistkerl. Aber sie kann mich doch nicht für immer so behandeln, oder? Denn wenn das so kommt, dann wird unsere Freundesgruppe zu hundert Prozent den Bach runterlaufen. Und ich bin auch noch schuld daran. Verdammt.
»River?« Madelyn nähert sich mir vorsichtig und schlingt unerwartet die Arme von hinten um meinen Oberkörper. Sie streckt sich und legt ihren Kopf auf meine Schulter, um mich ansehen zu können. Bei ihrer Berührung geht es mir sofort besser. »Geht's dir gut?«, flüstert sie.
Ich wende den Kopf und sehe ihr in die schönen Augen. »Es ist okay.«
Sie nickt und drückt sich noch fester an mich. Eine Weile bleiben wir so stehen, dann löst sie sich und grinst mich an. »Also, gehen wir ans Meer?«
Ich runzle die Stirn. »Du stellst keine Fragen? Du willst nicht wissen, warum wir uns geküsst haben und um was es in dem Gespräch ging?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Ich vertraue dir, River. Wenn du es erzählen willst, dann wirst du das schon.«
Diese Antwort überrascht mich. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so reagieren würde. Aber es macht mich glücklich. Es macht mich glücklich, dass sie mir vertraut.
»Dann lass uns ans Meer fahren.« Ich grinse sie breit an und sie springt aufgeregt im Kreis herum. Lachend gehe ich in mein Zimmer und hole ein paar Sachen, die wir brauchen werden. Die alten Schlafsäcke von Mom und Dad, mein erspartes Geld und ein paar dicke Pullover.
Keine zehn Minuten später sitzen wir im Auto und fahren rasend schnell den Highway entlang. Die Fenster sind heruntergekurbelt und die Luft riecht nach Sommer, auch wenn es erst Ende April ist. Aber die Sonne scheint so hell und warm, als wäre heute ein erster Sommertag.
Madelyn streckt den Kopf aus dem Fenster, sodass ihre Haare durch die Luft wirbeln. Auf ihren Lippen liegt ein strahlendes, glückliches Lächeln, welches mich ebenfalls zum Schmunzeln bringt. Sie bewegt die Hände in der Luft herum und bewegt gut gelaunt den Kopf.
Die Sonne bringt ihre Haare dazu, bronzefarben zu schimmern und zu glänzen. Am liebsten würde ich meine Hand ausstrecken und sie berühren. Aber nicht nur ihre Haare. Ihre Hände, ihr Gesicht.
Als sie meinen Blick bemerkt, dreht sie sich zu mir und lächelt mich breit an. »Was guckst du denn so?« Sie lacht.
Ich schüttle nur den Kopf und drehe mich zur Straße. Mir ist plötzlich seltsam heiß und im nächsten Moment wieder kalt. In meinem Magen rumort dieses seltsame, neuartige Gefühl, dass ich immer bekomme, wenn sie in der Nähe ist. Und meine Hände werden seltsam feucht. Trotzdem schaue ich artig weiter auf die Straße, statt zu ihr.
Und als ich wenige Minuten später doch einen Blick in ihre Richtung riskiere, haut mich dieses ganze Gefühl von neuem um. Mein Atem stockt kurz. Was ist eigentlich los mit mir?
Wenn ich sie da so im Sonnenlicht anschaue, kommt mir auf einmal alles so wahnsinnig leicht und richtig vor. Ich muss nur ihr Lachen sehen, ihren glücklichen Gesichtsausdruck.
Doch im nächsten Moment ist das auch schon wieder vorbei. Es ist nicht leicht. Denn wenn es das wäre, hätte ich ihr schon längst alles erzählt. Erzählt, was mit meiner Mutter los ist. Dass sie mich hasst. Erzählt, in was für einer komplizierten Situation ich mit meiner kleinen Schwester stecke. Erzählt, warum ich nicht an die Liebe glaube. Erzählt, warum mein Vater fort ist.
Aber dass alles tue ich nicht. Und warum? Ja, warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil es eben alles andere als leicht ist.
Nach einer Weile schaltet sie das Radio ein und Musik erfüllt den Wagen. Die warme Sonne in meinem Gesicht, gute Musik in meinen Ohren, erfrischender Wind in meinen Haaren und Madelyn neben mir – ja, so könnte es ruhig jeden Tag sein.

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Zwischen uns zwei Welten
RomanceMadelyns Leben ist strukturiert, berechenbar und durchgeplant. Ihre beste Freundin ist die Tochter der wichtigsten Geschäftspartner ihrer Eltern, ihr Freund ist ein reicher Vorzeigeschwiegersohn, ihre Noten immer perfekt und später soll sie die ber...