Kapitel 9 || River

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Wahrscheinlich habe ich mich in Madelyn getäuscht. Denn ich hätte niemals gedacht, dass sie wirklich mit mir geht. Dass sie Schule schwänzen würde, nur um mit mir irgendwo hin zu fahren.

Aber jetzt steht sie vor mir und lächelt mich an. Und auch wenn ich noch immer skeptisch bin gegenüber allem, für das sie steht und aus welchen Umfeld sie kommt – irgendetwas zieht mich zu ihr und ich kann es nicht verhindern.

Ihre Haare sind noch feucht und fallen ihr wirr auf die Schultern und sie trägt nun statt dem engansitzenden, schwarzen Badeanzug – in dem sie wirklich gut aussah – eine etwas locker sitzende blaue Jeans und einen Pulli, über dem sie eine offene Jacke anhat.

Es ist nicht mehr ganz so kalt wie in den letzten Tagen und ich merke, dass der Frühling naht.

Trotzdem bin ich froh um meine zurückerlangte Jacke, die mich vor dem starken Wind schützt.

»Okay, wir fahren mit meinem Auto, oder?«, frage ich sie und sie zieht verwundert die ordentlich gezupften Brauen in die Höhe. »Guck nicht so, guapa, ja, ich besitze ein Auto.«

Sie läuft etwas rot an, weil ich sie voll erwischt habe.

Ich lache nur und gehe voraus.

Irgendwie habe ich es mir angewöhnt, sie guapa zu nennen, obwohl das mitunter das einzige Wort auf Spanisch ist, das ich kenne, da meine Mom mir damals nur die netten Wörter beigebracht hat.

Wir laufen gemeinsam zu meinem Auto und ich schließe es auf. Skeptisch mustert sie das alte Ding, das ich für ziemlich wenig Geld vor dem Schrottplatz retten konnte.

Aber dann zuckt sie mit den Schultern und öffnet die Tür – so bedächtig, als hätte sie Angst, dass sie gleich abfällt, was wirklich passieren könnte, so wie ich meinen alten Wagen kenne. Er könnte jeder Zeit den Geist aufgeben, aber er blieb mir bis jetzt zum Glück immer treu.

Madelyn schwingt sich auf den ausgeblichen Ledersitz, über dessen Sitzpolster sich schon jede Menge Risse ziehen.

Ich setzte mich auf den Fahrersitz und starte den Motor. Genau spüre ich ihre Blicke auf mir, als ich ausparke und auf den Highway biege. Aber ich kommentiere sie nicht, sondern fahre stumm gerade aus.

Eine etwas unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus und ich strecke meine Hand zu dem alten Radio aus, um es anzuschalten.

Doch sie hatte anscheinend die gleiche Idee und unsere Finger berühren sich. Ein angenehmer Stromstoß durchfährt meine Hand und etwas erschrocken ziehe ich sie wieder zurück.

»Tut mir leid«, murmelt sie und legt ihre Hand zurück auf ihren Schoß.

Ich suche ihren Blick und als sie ihn erwidert, lächle ich sie an. »Es ist doch nichts passiert, guapa.« Mit diesen Worten drehe ich die Musik auf und das Auto wird von ruhigem Klavierspiel ausgefüllt.

Sofort erhellt sich ihre Miene. »Das ist das Stück, das du in der Schule gespielt hast, oder?«

Ich nicke. »Ja. Da, wo du so genervt von mir warst.«

Madelyn grinst etwas verlegen. »Ich konnte deine Art an diesem Tag irgendwie nicht leiden«, beichtet sie und sieht mich an.

Ich lege den Kopf schief, verliere mich kurz in ihren schönen Augen, schaue dann aber sofort wieder zurück auf die Straße. »Warum nicht?«

»Du hast dich so benommen, als würde dir die Welt gehören. Als könntest du dir alles erlauben. Du hast so sehr nach Freiheit geschrien, dass ich es kaum ausgehalten habe.« Sie seufzt und senkt den Kopf. »Ich werde mir dieses Gefühl nie leisten können. Und ich werde nie meinen eigenen Weg gehen können oder Entscheidungen nur für mich treffen. Deswegen hast du mich genervt.« Sie sieht mich von der Seite an. »Vielleicht war ich auch einfach neidisch.« Den letzten Satz flüstert sie nur. »Und vielleicht bin ich es immer noch.«

Zwischen uns zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt