Natürlich bereue ich später, dass ich nicht mit River geredet habe. Aber es war einfach kein guter Zeitpunkt und jetzt kann ich auch nichts mehr daran ändern.
Nachdem ich in der Mädchentoilette verschwunden bin, saß ich erstmal eine Weile da und habe erst geheult, dann war ich wütend und schließlich habe ich nachgedacht. Und das die ganzen ersten zwei Schulstunden lang.
Zwischendurch habe ich auf meinem Collegeblock herum gekritzelt, um etwas Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Jetzt sind fünf Blätter vollgemalt mit irgendwelchen Strichmännchen, Herzen, Blitzen, Kreuzchen und kleinen Wörtern. Am häufigsten das Wort »River«, was mich auch nicht wirklich verwundert.
Danach bin ich tatsächlich in den Unterricht gegangen, obwohl ich eigentlich fest davon überzeugt war, den ganzen Schultag zu schwänzen. Aber meine Noten stürzen gerade sowieso schon ab, da muss ich auch nicht noch extra dazu beitragen. Zudem meine Eltern die Krise bekommen würden, wenn sie davon erfahren hätten.
Also setzte ich mich auf einen freien Stuhl und versuchte, nicht auf meine Mitschüler zu achten. Leider mit wenig Erfolg, denn ich wurde von allen Seiten angeschaut, als wäre ich ein Alien, das die Weltherrschaft übernehmen will. Noch dazu das unangenehme Tuscheln, das ich aber so gut es ging ausblendete.
Das funktionierte auch Anfangs ganz gut, aber dann betraten Tucker und Co. – außer Gabriella und ich fragte mich sofort, wo sie war – das Klassenzimmer. Er hat mich so wütend angeguckt, dass ich doch kurz davor war, die Schule zu schwänzen. Aber ich blieb stark.
Zu meinem Erstaunen setzte sich Cassandra neben mich. Sie sagte erstmal gar nichts, sondern starrte mich nur von der Seite an. Noch immer trug ich Sonnenbrille und Kapuze und konnte sie deshalb so gut es ging auszublenden. Aber irgendwann fing sie an, zu sprechen.
»Ist es wahr?«, flüsterte sie.
Ich drehte den Kopf zu ihr und sah sie ausdruckslos an. »Was?« Natürlich wusste ich, was sie meinte. Aber ihr würde es nicht schaden, es selbst auszusprechen.
Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. »Du weißt schon. Die Sache zwischen dir und Tucker.«
Ich seufzte tief. Eigentlich wollte ich nicht noch einmal mit dem Thema konfrontiert werden. »Was glaubst du denn?«, fragte ich, anstatt zu antworten.
Das riss sie etwas aus der Bahn und kurz herrschte Stille. »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie schließlich. »Aber wenn es so ist, dann ... tut es mir leid.«
Das verwunderte mich. So etwas aus Cassandras Mund? Ich versuchte, sie anzulächeln, aber scheiterte daran.
Aber es war auch gar nicht nötig, denn sie stand bereits auf und lief zu ihrem Platz zwischen Tucker und John zurück.
Und jetzt stehe ich hier – ein paar Stunden später – vor diesem grauen, schlichten Haus. Ich weiß nicht genau, was mich dazu bewegt hat. Vielleicht die Tatsache, dass ich mich nicht direkt traue, mit River zu reden, aus Angst, vor einer weiteren Zurückweisung. Aber ich brauche nun mal so langsam Klarheit und Aussprache. Und wer könnte da nicht besser dazu geeignet sein, als einer seiner besten Freunde?
Louis habe ich nicht auf Instagram gefunden und mit Kenzie habe ich wirklich wenig Lust, über River zu reden. Also habe ich unter Rivers Abonnenten nach Mia gesucht und sie kurzerhand angeschrieben. Sie war sofort offen und lud mich zu ihr nachhause ein.
Und genau vor diesem befinde ich mich gerade. Gleich nach der Schule bin ich hier her gefahren.
Unsicher laufe ich auf die Haustüre zu und drücke auf das alte Klingelschild. Es ist nicht gerade eine gute Wohngegend, aber schlecht ist es auch nicht. Es ist normal, auch wenn normal ein schwieriges Wort ist. Denn was ist schon normal?

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Zwischen uns zwei Welten
RomanceMadelyns Leben ist strukturiert, berechenbar und durchgeplant. Ihre beste Freundin ist die Tochter der wichtigsten Geschäftspartner ihrer Eltern, ihr Freund ist ein reicher Vorzeigeschwiegersohn, ihre Noten immer perfekt und später soll sie die ber...