Kapitel 30 || River

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Die nächste Bank ist zum Glück nicht weit weg, sodass wir nur ein paar Straßen weiter laufen müssen, um ihn zu erreichen.

Madelyn wirft mir die ganze Zeit über Blicke zu, in denen so viel Liebe und Wärme liegt, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch anfangen, heftig zu flattern.

Und ich werfe ihr genau die gleichen Blicke zu, die sie zum Lächeln bringt und sie meine Hand noch fester umschließt.

Es fühlt sich verrückt an, wieder bei ihr zu sein. Noch vor ein paar Stunden habe ich aufgeben, habe nicht daran geglaubt, sie wieder in den Armen halten zu können.

Aber es fühlt sich so richtig, so vertraut an. Ich war ein Idiot, wenn ich wirklich aufgeben wollte, um sie zu kämpfen. Nur wegen ein paar beschissenen Ängsten, die von einem Mann kommen, der mich hasst und gerade oben in meiner Wohnung sitzt – bewaffnet.

All die Jahre dachte ich, Liebe könne nicht bestehen. Und vielleicht stimmt das ja auch. Vielleicht werden auch wir beide irgendwann nur noch Bekannte für einander sein.

Aber ich habe nie daran gedacht, dass es vielleicht an den Personen liegt. Vielleicht war mein Vater einfach nicht dafür geschaffen, bedingungslos zu lieben. Er hat nicht mal Liebe für seine Kinder übrig gehabt, also, was sagt mir, dass die Liebe zu Mom wirklich so stark war, wie sie rüberkam? Vielleicht war er auch nur auf eine krankhafte Weise besessen. Besessen von der Idee der Liebe, des perfekten Lebens und des Glückes. Aber am Ende hat er alles verloren.

Und wer sagt, dass ich nach ihm komme? Nur, weil er so war, nur weil die Liebe meiner Eltern nicht gehalten hat, bedeutet das nichts für mich. Es fühlt sich so gut an, endlich davon loszukommen und frei zu sein. Mit ihr.

Aber natürlich kann ich dieses Gefühl gerade ganz und gar nicht vollkommen spüren. Schließlich Rory und Mom gerade oben in unserer Wohnung und werden von meinem kranken Vater bedroht.

Sofort wird meine Panik wieder größer und ich werde noch schneller. Beruhigt erkenne ich das Bankgebäude, auf der anderen Straßenseite, und gehe eilig darauf zu.

»River.« Madelyn hält mich am Amr fest und sieht mich an. »Ihnen geht es gut, okay?«

Ich nicke versteift und stelle mich vor den Automaten. »Hast du überhaupt so viel Geld?«

Sie lacht trocken auf, als wäre das ein Scherz gewesen, und stellt sich vor mich. Ohne zu zögern betritt sie das Gebäude und geht zum Schalter nach vorne.

Ein älterer Mann steht dahinter und sieht uns neugierig an und will gerade meinen Mund aufmachen, als Madelyn mir leicht auf den Arm haut. »Lass mich das lieber regeln«, murmelt sie.

Ich nicke. Womöglich hat sie recht. Denn wahrscheinlich wird der Mann uns nicht ohne weiteres sechzigtausend Dollar abheben, noch dazu von Minderjährigen.

Madelyn redet aber jetzt leise auf ihn ein und macht dabei ein paar Gesten, die ich nicht deuten kann. Noch dazu lächelt sie in strahlend an und klimpert sogar ein paar Mal mit den Wimpern.

Ich versuche erst gar nicht hin zu hören und bin mehr als erleichtert, als der Mann ihre wertvoll aussehende Kreditkarte entgegennimmt und nachhinten verschwindet.

Madelyn zeigt mir triumphierend einen Daumen nach oben und keine zwei Minuten später ist der Mann mit einer schwarzen Aktentasche zurück. Diskret schiebt er sie über den Tresen und Madelyn lächelt ihn an, verabschiedet sich und zieht mich aus dem Gebäude heraus.

»Wie hast du das denn gemacht?«, frage ich sie beeindruckt.

Sie lacht. »Ich habe da eben so meine Mittel und Kontakte.« Geheimnisvoll wackelt sie mit den Augenbrauen.

Still laufen wir zurück zu meinem Haus. Mittlerweile hat es begonnen, zu regnen. Es ist ein warmer Sommerregen. Die Art von Regen, bei der du ohne Hemmungen herumspringen willst und dir egal ist, dass du total nass wirst. Die Art von Regen, die sich so warm und gleichzeitig so erfrischend auf deiner Haut anfühlt. Die deine Gedanken abkühlt und bei der du stundenlang draußen bleiben willst.

Es ist die Art von Regen, bei der wir uns das erste Mal geküsst haben.

Ich schaue zu ihr herüber. Sie hat das Gesicht gen Himmel gestreckt und feine Wasserstropfen verfangen sich in ihren braunen Haaren. Sie ist so schön.

Abrupt bleibe ich stehen. Ich weiß, dass das hier vielleicht der falsche Moment ist, aber ich kann nicht anders.

»Madelyn«, beginne ich und sie dreht sich zu mir um.

Tropfen laufen über ihre rötlichen Wangen, ihre Kleidung ist durchnässt. Alles an ihr kommt mir so unglaublich vertraut vor. Jedes winzige Detail. Die Grübchen in ihrer Wange, wenn sie lächelt. Der Farbübergang von braun zu grün in ihren Augen. Das Gefühl ihrer Haare, wenn es durch meine Finger gleitet. Die Schrammen an ihren Knien, die davon kommen, dass als Kind immer so oft hingefallen ist. Die Art und Weise, wie sich ihr Körper wölbt, wenn sie sich hinsetzt und streckt, wenn sie wieder aufsteht.

»Es tut mir leid«, beginne ich. Tropfen laufen mir in die Augen und ich blinzle sie fort. »Ich war ein echter Mistkerl. Dabei wollte ich dich nicht wegstoßen. Ich will dich auch jetzt nicht wegstoßen, nie wieder. Ich will, dass du ganz nah bei mir bist, so nah es geht. Ich will dein Lächeln morgens sehen, wenn ich aufwache. Ich will deine Hand berühren, wenn es mir schlecht geht. Keine Ahnung, warum du hier bist, wirklich. So oft habe ich dich zurückgewiesen und du stehst jetzt trotzdem vor mir, warum auch immer. Aber ich bin dir dankbar. Denn ich will das nicht mehr. Ich habe keine Lust mehr, mich hinter den vergangenen Dingen meiner Eltern zu verstecken, sie zu Ängsten zu machen. Ich bin es leid. Ich glaube ich –«

Sie unterbricht mich, in dem sie ihre Lippen auf meinen Mund presst.

Der Kuss ist sanft und voller Liebe, aber auch stürmisch und leidenschaftlich. Er zieht mich in einen Sog voller bunte Gefühle, dich ich nicht ordnen kann. Ein Feuer lodert in mir, wärmt mich von innen.

Ich ziehe sie an der Taille noch näher zu mir heran und sie vergräbt die Hände in meinen Haaren.

»Du musst es nicht sagen«, murmelt sie in meinen Mund hinein. »Du musst es nicht sagen, ich weiß es auch so.«

Dankbar lächle ich sie an. Sie weiß, wo meine Grenzen sind uns respektiert diese, ohne sie zu überschreiten. Sie durchschaut und versteht mich.

Sie liebt mich, auch wenn ich das nie für möglich gehalten hätte, das so etwas eines Tages geschehen wird.

»Ich tue es wirklich. Du weißt schon ... Ich ... ich fühle es wirklich für dich. Ich möchte, dass du es von mir hörst.« Ich streiche mit der Hand über ihre Wange und sie sieht mir liebevoll in die Augen.

»Ich weiß«, flüstere ich, »ich weiß.« Sie greift nach meiner Hand. »Wir sollten jetzt deine Familie retten gehen.«

Ich lächle und nicke. »Ja, das werden wir.«

Und ich liebe sie, auch wenn ich es leider noch nicht über die Lippen bringe. Aber sie weiß es und das ist alles, was zählt.

Zwischen uns zwei WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt