Man könnte sagen, dass es eine wirklich dumme Idee war. Ja das trifft es vermutlich sogar recht gut, dachte Sofia sich, als sie schnaufend den steilen Weg runter ins Dorf Encanto betrachtete. Wenn man der Meinung war, dass der Aufstieg über die Berge schon gefährlich, ja gar schon völlig wahnsinnig ist, so war es nichts im Vergleich dazu, wenn man wieder herunter wollte. Bei jedem Schritt müsste sich die Schwarzhaarige an den umliegenden Bäumen fest halten, um nicht einfach hinab zu Rollen.
Unwillkürlich fragte sie sich, wie es ihre Eltern damals geschafft hatten, dem Dorf unbeschadet den Rücken zu kehren. Mit ihr als Kind.
Denn ja, man musste sagen, dass Sofia eigentlich in Encanto geboren, und die ersten Jahre dort verbracht hatte. Jedoch war es gerade für ihre Mutter nicht einfach dort. Diese war nie wirklich bereit gewesen, sich der Magie, die im dem Dorf allgegenwärtig war, zu öffnen. Ja, hatte sogar große Angst davor, dass es eines Tages zu einem schlimmen Unheil führen würde. Und so kam es dazu, dass sie ihren Mann, Sofias Vater, dazu überredet hatte, die beschwerliche Reise auf sich zu nehmen und sich ein anderes Heim zu suchen. Dabei hatte ihr Vater auch seine Familie zurück lassen müssen. Oder wohl eher, seine Schwester, Rosa Guzmán. Und genau zu dieser war sie jetzt unterwegs.
Schon als vor ein paar Wochen ihre Mutter gestorben war, hatte sie den Entschluss gefasst, zu ihrem Geburtsort zurück zu kehren. Sofias Vater war nicht begeistert davon, schließlich konnte er sich noch gut erinnern, was sie für die Reise auf sich nehmen mussten und wollte das seiner einzigen Tochter nicht nochmal antun. Doch begleiten konnte er sie auch nicht, denn sie beide hatten Angst, dass er es mit seiner ohnehin schon angeschlagenen Gesundheit nicht schaffen würde.
Ruckartig stieß ihre Lunge die Luft aus ihrem Körper, als sie heftiger als gewollt gegen den Stamm eines Baumes prallte. Sofia konnte wirklich von Glück reden, das diese Stelle hier echt dicht bewachsen war. Aber so oder so... Sie wollte sich nicht vorstellen, wie sie wohl aussehen würde, wenn sie unten an kam.
....
Schnaufend erreichte sie das Ende des Berges, die letzten Meter mehr stolpernd als laufend. Aber immerhin. Sie lebte noch.
Sofia atmete tief durch, stemmte die Hände in die Hüfte und sah sich um. In der Ferne konnte sie ein Dorf entdecken. Encanto. Sie lächelte unwillkürlich. Hatte es doch tatsächlich geschafft.
Die heiße Mittagssonne schien ihr ins Gesicht, als sie ein paar Schritte weiter ging und sich im Laufen noch versuchte den Dreck vom Kleid zu klopfen. Na Prima. Da wollte sie vor ihrer Tante den bestmöglichen Eindruck machen und trat dann so auf. Dreckig, vollkommen verschwitzt und nicht grad nach Lotus riechend.
Sie seufzte. Tagelang war sie unterwegs gewesen und hatte sich über die Berge gekämpft. Wahrscheinlich konnte sie von Glück reden, dass sie es überhaupt gefunden hatte. Aber sie hatte es geschafft. Wieder fing sie an zu lächeln, straffte die Schultern und machte sich mit neuem Elan auf dem Weg ins Dorf.
Jetzt musste sie nur noch heraus finden, wo ihre Tante überhaupt wohnte.
.....
In Encanto tummelte sich das Leben geradezu. Überall liefen Leute umher, der Marktplatz pulsierte. Alle schienen beschäftigt, irgendwie aufgeregt zu sein. Sofia beobachtete, wie einige Männer Kisten mit Lebensmitteln zu einem großen Haus am Ende des Dorfes brachten.
Und dann sah sie ihn. Einen jungen Mann, der sich ohne Vorwarnung plötzlich in eine Frau verwandelte, ein Kind im Arm schaukelnd.
Sofia starrte ihn mit offenem Mund an, traute ihren Augen kaum. Natürlich wusste sie, daß es hier eine Familie gab, die mit Magie gesegnet war. Doch... es dann mit eigenen Augen zu sehen, war nochmal etwas ganz anderes. Sie schüttelte den Kopf um sich aus ihrer Starre zu lösen. Plötzlich tauchten die Bilder wie ein Déjà-vu auf. Eine Frau mit Wolken um sich herum... und dann waren da noch zwei. Ein Mann und eine Frau. Als Sofia an den Mann dachte, überkam sie ein Schaudern. Irgendetwas bereitete ihr ein ungutes Gefühl.
"Hola guapa" Sofia zuckte zusammen, als der Mann in Frauengestalt vor ihr stand. "Alles in Ordnung?"
"Oh, was? Ja, ja klar.", sagte sie ein wenig verwirrt. "Verzeih, ich wollte nicht starren."
"Bist du von hier?", fragte er ein wenig skeptisch und verwandelte sich in seine Ursprungsform zurück. "Ich glaube nicht, dass ich dich hier schon mal gesehen habe."
Sofia schüttelte den Kopf und lächelte. "Bin grad erst angekommen. Meine Familie und ich haben hier vor einigen Jahren gelebt. Ich bin zurück gekommen und hoffe, ein wenig bei meiner Tante zu leben. Zumindest, wenn ich sie gefunden habe."
"Und wer soll das sein?" Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch und sah sie abwartend an, während er das kleine Kind immer noch schaukelte.
"Rosa Guzmán." Sofia sah, wie sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Brünetten ausbreitete und zu einem Lachen wurde.
"Die kenn ich, die wohnen da drüben." Er zeigte auf einen Balkon der sich gegenüber des Springbrunnens befand. Mit diesen Worten verwandelte er sich zurück in die Frau, denn Er merkte, dass das Kind in seinen Armen unruhig zu werden schien. "Ich würde dich ja hin bringen...."
"Schon ok, ich schaff das." Sofia zwinkerte ihm zu und bedankte sich für seine Hilfe. Doch das bekam er anscheinend nicht mehr richtig mit.
Als sie sich über den Platz bewegte, bemerkte sie eine Zeichnung an einer der Wände und lief herüber. Dort waren einige Personen abgebildet, vermutlich eine Familie. Sofia erkannte den netten jungen Mann von eben und wenn sie sich nicht irrte auch die Frau aus ihren Erinnerungen, direkt über ihn. Die anderen konnte sie nicht so recht zuordnen, doch der Mann in der Mitte des Bildes bereitete ihr mit seinen leeren weißen Augen eine Gänsehaut.
Schnell schüttelte sie sich und wandte sich wieder zum Gehen. Hier und da nickten ihr einige Bewohner freundlich zu oder schenkten ihr ein Lächeln. Überall blühten die schönsten Blumen und die ganze Stadt wirkte gepflegt.
Sofia blieb vor der Tür ihrer Tante Rosa stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Würde sie Sofia willkommen heißen? Würde Rosa sie überhaupt wieder erkennen?
Zitternd hob sie eine Hand und klopfte so zaghaft an das Holz, dass sie fürchtete, man würde es nicht hören. Gerade, als sie noch einmal all ihren Mut sammeln wollte anzuklopfen, öffnete sich die Tür und eine ältere Frau um die 60 Jahre blickte ihr entgegen. Sofia erkannte sie sofort, denn sie sah ihrem Vater sehr ähnlich.
"Ja? Kann ich Ihnen helfen, Kind?"
"Rosa Guzmán?", fragte sie dennoch zaghaft. Ihr Herz schlug so laut in ihrer Brust, dass sie Angst hatte, man könnte es hören.
Jetzt traf auch Señora Guzmán die Erkenntnis, denn sie riss überrascht die Augen auf und starrte sie mit offenem Mund an. "Dios mío... S-Sofia?"
Die junge Frau nickte und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Bevor sie überhaupt wusste wie ihr geschah, wurde sie von ihrer Tante ran gezogen und fest umarmt. Sie merkte kaum, wie ihr eine Träne über die Wange lief.
"Oh komm rein, komm rein." Noch bevor sie irgendwie reagieren konnte, zog ihre Tante sie ins Haus. "Oh wie lange ist das jetzt nur her?"
"Das müssten jetzt so 20 oder 25 Jahre sein." Sofia setzte sich auf einen Stuhl am Esstisch und sah ihre Tante an. Sie konnte es noch gar nicht richtig glauben, wie herzlich sie hier grad aufgenommen wurde.
"So lange schon?" Rosa schüttelte den Kopf und lächelte dann wieder. "Oh Mariano wird sich so freuen dich zu sehen! MARIANO!", rief sie plötzlich in einer Lautstärke, die Sofia ihr gar nicht zugetraut hätte. Wie auf Knopfdruck kam ihr Vetter die Treppe herunter geeilt.
"Mamá? Was ist denn?" Marianos Blick fand Sofia und bekam einen verwirrten Ausdruck. Kein Wunder, schließlich hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, als er ein Baby war.
"Schau doch nur, wer uns besucht!" Rosa tätschelte Sofias Schulter und winkte dann ihren Sohn herbei, der immer noch ziemlich verwirrt wirkte. "Deine Cousine Sofia!"
Erkenntnis machte sich nun auf dem Gesicht des Dunkelhaarigen breit und er lächelte sie an.
In Sofia machte sich ein warmes Gefühl breit. Sie war Zuhause.
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dos oruguitas (Bruno x OC)
Hayran Kurgu-- Encanto -- Um die Verlobung Ihres Cousins zu retten, muss Sofia herausfinden, wie man dem Wunder helfen kann. Doch kann sie ihre Angst überwinden und Bruno um Hilfe bitten? Charaktere könnten ooc werden, Story abweichen