wo ist Bruno

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Auch am nächsten Tag hatte niemand Bruno gesehen, oder etwas von ihm gehört. Alle schienen sich bereits Sorgen zu machen, doch keiner sagte etwas. Sofia stand nach dem Frühstück mit Julieta in der Küche und bereitete das Essen vor, mit welchem die Dorfbewohner geheilt werden sollten. 

"Was denkst du, wo er hin ist?", fragte sie die Ältere und wollte es beiläufig klingen lassen, was ihr aber nicht recht gelang.

Julieta seufzte und wischte sich die Finger an ihrer Schürze ab. "Ich weiß es wirklich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so geht und alle zurück lässt."

"Er hat es schon mal getan.", gab Sofia zu bedenken und obwohl allein der Gedanke daran ihr einen Stich ins Herz versetzte, so musste sie es dennoch aussprechen.

"Er würde dich nicht einfach so verlassen, so kurz vor der Hochzeit. Ohne ein Wort."

"Und wenn er, wie damals bei Mirabel, eine Vision gehabt hatte?" Sofia nahm sich die dreckigen Schüssel und bereitete den Abwasch vor. 

Julieta nickte traurig und lehnte sich an die Arbeitsplatte. "Ja, damals ist er gegangen. Doch diesmal ist alles anders. Er liebt dich. Von ganzem Herzen. Ich bin der festen Überzeugung, wenn etwas gewesen wäre, dann hätte er es gesagt."

"Trotzdem ist er jetzt nicht da.", beharrte Sofia. Darauf wusste auch seine Schwester nichts weiter zu erwidern, was ihre Meinung eventuell umstimmen könnte. Zum Glück kam in diesem Moment ihr Mann Agustín herein, der aussah, als hätte ihn eine ganze Armee Bienen umzingelt und gleichzeitig überfallen.

"Oh, mi amor!", seufzte Julieta und drückte ihm eine ihrer selbstgemachten Köstlichkeiten in den Mund. 

"Noch immer nichts gehört?", fragte er nach, doch beide Frauen schüttelten nur mit dem Kopf. "Das wird schon, er taucht bestimmt bald wieder auf."

Ja, das hoffte sie.

"Ich glaub, ich drehe eine Runde im Dorf, vielleicht gibt es etwas, was ich tun kann.", sagte sie und eilte, ohne auf eine Antwort zu warten, raus. Die Gedanken schwirrten in ihrem Kopf hin und her, sodass sie Camilo gar nicht mit bekam, der gerade die Casita betreten wollte, und mit voller Wucht in ihn rein rannte. 

"'Tschuldige.", murmelte sie und strich sich eine verirrte Strähne hinters Ohr. "Hab dich nicht gesehen."

Prüfend sah er sie an. "Kein Ding. Wo willst du denn hin?"

"Nur ein bisschen spazieren. Kommst du mit?"

Eigentlich hatte der Lockenkopf etwas anderes geplant, doch so verwirrt wie sie schien, wollte er sie nicht allein lassen. Dementsprechend nickte er nur und bot ihr seinen Arm an. Sie liefen gerade mal ein paar Meter, da kam ihr plötzlich ein Gedanke in den Sinn. 

"Meinst du...", fing sie an und biss sie auf die Unterlippe. "dass Manuel vielleicht etwas damit zu tun hat?"

Camilo schüttelte den Kopf. "Wenn, dann hätte Dolores schon etwas gesagt."

Sofia runzelte die Stirn. "Dolores sagt momentan gar nichts dazu. Meinst du, sie weiß etwas?"

"Naja sie hört ja so gut wie alles. Leider. Also gehe ich mal davon aus.", sagte er und grüßte stumm eine ältere Frau, die an ihnen vorbei lief. 

"Sie mag mich nicht.", platzte Sofia raus. "Sie sagt es zwar nicht, aber sie mag mich nicht."

Milo lachte nur. "Das würde ich jetzt so nicht sagen. Denk doch mal nach. Sie hat sich an dem Abend verlobt, als du mit Bruno ins Zimmer verschwunden bist. Danach stand fest, dass ihr heiratet und somit wurde ihre Verlobung und ihre Hochzeit mit Mariano erstmal unwichtig."

Sofia dachte einen Moment lang darüber nach und musste gestehen, dass er recht hatte. Kurzer Hand nahm sie sich vor, es auf jeden Fall wieder gut zu machen, soweit es ihr irgendwie möglich war. 

"MADRIGAL!!!"

Camilo zuckte zusammen und die beiden drehten sich zu der wütenden Frauenstimme um. Eine junge, recht kurvige Frau um die 20 kam auf sie zu geeilt, die Hände zu Fäusten geballt.

"Was fällt dir eigentlich ein?? Halte dich von Alejo fern und hör auf, ihm weiterhin irgendwelche Flausen in den Kopf zu setzen.", sagte sie und kam schnaufend vor dem Lockenkopf zum Stehen. Sie war einen guten halben Kopf kleiner als er, ließ sich davon aber nicht beirren.

"Ich habe gar nichts gemacht.", erwiderte er und hob beschwichtigend die Hände.

"Gar nichts gemacht???" Ihr Kopf schien vor Wut ganz rot zu werden. "Wegen dir ist er jetzt der Meinung, er müsse nicht mehr auf Papá oder mich hören. Halte dich von ihm fern, oder ich schwöre dir, du bekommst es mit mir zu tun!"

So schnell wie sie gekommen war, dampfte sie auch schon wieder ab. Zurück blieben ein Kopf schüttelnder Camilo und eine mehr als verwirrte Sofia.

"Was war das denn?", fragte letztere ihren besten Freund, als die junge Frau außer Hörweite war.

"Marissa.", sagte er knapp. "Die Tochter vom Bäcker."

"Na die scheint dich ja sehr zu mögen.", erwiderte Sofia lachend und schüttelte den Kopf, als sie sich wieder in Bewegung setzten. "Was ist passiert?"

Er zuckte nur mit den Schultern. "Ich glaube, ich habe ihrem Bruder nur gesagt, dass er seinen Weg schon finden wird. Er war sich nicht sicher, ob er irgendwann wirklich die Bäckerei seines Vaters übernehmen möchte. Aber wer ist mit 16 Jahren schon sicher, was er genau möchte."

"Ach Milo." Sofia tätschelte seinen Arm. Ja, vielleicht hätte er sich da raus halten sollen, doch hatte er im Grunde ja anscheinend nichts falsches gesagt. "Vielleicht solltest du ihr erklär-"

"Vergiss es.", unterbrach er sie sofort. "Sie hasst mich, schon als wir Kinder waren, war das so. Keine Ahnung warum. Sicher würde sie mir nicht zu hören. Ignoriere es einfach."

Skeptisch sah die Schwarzhaarige ihn an, beließ es aber dabei. Camilo war schließlich alt genug und würde schon wissen was er tut. Zusammen liefen sie weiter, bis sie den Marktplatz erreichten. Schon von weitem sah sie Manuel und seinem Stand mit frischem Obst. Gerade, als sie Camilo darum bitten wollte, einen anderen Weg einzuschlagen, sah er sie direkt an. Schneller, als sie auch nur irgendwie reagieren konnte, kam ihr ehemaliger Verlobter auf sie zu.

"Erst unsere Hochzeit platzen lassen, dann den nächsten vergrault und jetzt sich dem da an den Hals werfen? Du bist eine größere Hure, als ich gedacht hätte!", fauchte er ihr entgegen und zog die Aufmerksamkeit des halben Marktplatzes auf sich.

"Pass auf, was du sagst.", knurrte Camilo so wütend, wie sie ihn bis jetzt noch nie erlebt hatte. 

"Wieso? Macht es dich wütend, wenn ich deine kleine Hure, Hure nenne?", lachte Manuel.

Beruhigend drückte Sofia Milos Arm. "Ist schon ok.", sagte sie zu ihm, bevor sie sich an Manuel wandte. "Manuel, es tut mir leid, was geschehen ist, es war sicher nicht meine Absicht, dich zu verletzen."

"Nicht deine Absicht.", er spuckte die Worte geradezu aus. "Red dir das ruhig weiter ein, aber du wirst schon sehen, was du davon hast. Immerhin hast du den Freak von Madrigal ja auch nicht lange halten können. Bist du so schlecht im Bett, oder ist er wegen deinem dummen Gelaber abgehauen."

 Sofia spürte, wie Camilo vor Wut bebte und auch sie musste sich zurück halten, um nicht irgendwas falsches zu sagen. Doch da fiel ihr auf, was er da eigentlich sagte. "Woher weißt du, dass er weg ist?"

Wieder kam ein Lachen von ihm. "Ist doch gestern früh zwischen den Bergen davon geritten. Hatte es anscheinend sehr eilig, von dir weg zu kommen."

Ihre ganze Welt fing an sich zu drehen und Camilo musste sie stützen, damit sie nicht zusammen brach. Wenn das wahr ist... dann war er anscheinend wirklich wegen ihr gegangen.

"Bring mich nach Hause.", hauchte sie ihrem Freund zu, der dies nur zu gern tat. Die durch einen dichten Nebel hindurch bekam sie mit, wie Manuel hinter ihr schadenfroh lachte. 


dos oruguitas (Bruno x OC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt