Kapitel 8 - Faith

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Ich kann Nates Verhalten immer noch nicht deuten. Den einen Tag beschützt er mich, den anderen bedroht er mich und heute sieht er mich an, als würde ihm alles leidtun.
Ich hätte vielleicht etwas sagen sollen, aber was? Es gibt im Grunde nichts zu sagen und das macht mich fertig.
Ich habe jetzt Unterricht. Kunst. Maddy ist in meinem Kurs.
Und wie es das Schicksal so will, begegnen wir uns auf dem Gang.
"Hey, Faith!", ruft sie und kommt auf mich zu.
"Oh, hey."
"Cassie hat mir erzählt, dass du Cheerleader bist und ich habe gesehen, wie du auf der Party getanzt hast. Du bist gut. Nicht so gut wie ich, aber gut."
Natürlich nicht. Niemand ist so gut wie Maddy Perez.
"Ähm ja...", sage ich und lächle verlegen.
"Also, überleg es dir."
"Was?"
"Na das Team. Ob du beitreten willst. Ich werde dich jetzt nicht anflehen. Du weißt ja, wo du mich findest."
Bevor ich noch etwas sagen kann, betritt sie den Raum und setzt sich an den Tisch vor mir.
Neben mir sitzt Jules. Sie sieht besorgt aus, wie wir alle irgendwie.
"Hey, hast du Rue gesehen?", fragt sie leise.
Ich schüttle den Kopf.
"Wieso?"
"Ich erreiche sie nicht und sie ist auch nicht hier."
Auf Jules Hals bilden sich Stressflecken.
"Sie ist bestimmt krank und zu Hause geblieben. Wir können ja nach der Schule zu ihr fahren. Was hältst du davon?"
Jules nickt erleichtert.
Auch, wenn ich viel zu müde bin, um zu Rue zu fahren, möchte ich für Jules da sein, weil sie auch immer für mich da ist.
Um ehrlich zu sein habe ich die Nacht kaum geschlafen. Nates Drohung ging mir nicht aus dem Kopf.
Wenn sein Vater meinem Vater kündigt, dann haben wir nichts mehr. Gar nichts.
Ich bin mir nicht sicher, ob sich Nate dessen bewusst ist. Wahrscheinlich nicht. So fies ist er nicht.

Wir bekommen die Aufgabe, ein expressionistisches Bild zu malen, was ich ganz gut finde, um meine Gefühle irgendwie auf Papier zu bekommen.
Nach einer Weile ertönt plötzlich eine Ansage aus dem Lautsprecher:

"Nate Jacobs und Faith Evans bitte in das Büro des Rektors."

Alle um mich herum fangen an zu tuscheln. Maddy dreht sich zu mir um. Erst sieht sie irritiert aus, dann verfestigt sich ihre Miene. Mir gefriert das Blut in den Adern. Sie sieht so aus, als wüsste sie, was los ist.
Als würde sie meine Gedanken lesen können und alles wissen. Was hat Nate ihr erzählt?

Ich stehe auf und verlasse den Raum.

Nate steht bereits vor dem Büro, als ich dazustoße. Wir tauschen kurz Blicke aus, sagen aber nichts.
Er wirkt angespannt. Genau wie ich.

Plötzlich geht die Tür auf und der Rektor steht vor uns.

"Kommt doch herein", sagt er und bittet uns, uns hinzusetzen.

"Also, ihr fragt euch bestimmt, wieso ihr hier seid. Und zwar ist ein Video aufgetaucht. Es wurde am Freitag Abend veröffentlicht und zeigt Nate, wie er Andy verprügelt. Du Faith stehst im Hintergrund. Was hat das zu bedeuten?"

Nate räuspert sich.

"Ich weiß, wie das auf sie wirken mag, aber ich hatte meine Gründe", sagt Nate.

Der Rektor nickt bloß.

"Und deshalb hast du ihn verprügelt? Dir ist schon bewusst, dass wir an unserer Schule keine Toleranz dafür aufbringen."

Nate nickt.

"Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann bist du suspendiert."

"Nein! Ich kann das erklären!", sage ich.

Nate und der Rektor sehen mich erwartungsvoll an.

"Ach ja?", fragt er. Ich nicke.

"Andy hat mich sexuell belästigt und Nate hat das mitbekommen. Er hat mich nur verteidigt. Das war der Grund für die Schlägerei."
Der Rektor nickt bloß und macht sich Notizen.
"Andy hat es verdient suspendiert zu werden. Nate nicht. Er hat mich in dem Fall gerettet."
"Ist das die Wahrheit?"
Nate nickt.
"Wir müssen Andy deswegen noch befragen. Zur Zeit liegt er noch im Krankenhaus, aber wir brauchen von jedem eine Aussage. Nun, so lange darfst du Nate weiter zur Schule gehen. Aber keine Schlägereien mehr, klar?"
"Natürlich, Sir."
"Dann geht zurück in euren Unterricht."

Wir stehen auf und verlassen den Raum.

Ich bin immer noch voller Adrenalin und frage mich, ob das überhaupt die richtige Entscheidung war. Hat Nate es verdient, dass ich ihn verteidigt habe?
Was wäre passiert, wenn er Andy nicht verprügelt hätte?

Ich laufe im schnellen Schritt den Gang runter und merke, dass Nate mir folgt.

"Faith, warte!", ruft er.
Ich verlasse das Schulgebäude und atme tief ein, als ich an der frischen Luft bin.
"Warte!"
Er greift mich am Arm und zieht mich an sich heran.
Sein heißer Atem berührt mein Gesicht.
"Lass mich los", sage ich leise und versuche meinen Arm aus seinem Griff zu befreien, ohne Erfolg.
"Du musst deine Familie sehr lieben. Ich werde meinem Vater sagen, dass dein Vater ein guter Geschäftspartner ist und er ihn nicht kündigen soll."
Ich schnaufe.
"Du denkst ich hab es deswegen getan?", frage ich belustigt.
"Weil ich meine Familie liebe?"
Ich reiße mich von ihm los.
"Du hast es nicht verdient gerettet zu werden, Nate! Aber ich habe es trotzdem getan!"
Er folgt mir weiter auf den Parkplatz.
"Ich habe es in erster Linie nicht für meine Familie getan! Ich habe es für dich getan!", rufe ich aufgebracht.
Es fühlt sich an, als würde ich nun alle Gefühle zulassen können. Ich spreche das aus, was ich bisher nur gedacht habe und nicht wirklich einordnen konnte.
"Ich habe es aus Liebe zu dir getan und ich hasse mich dafür, weil ich für dich keine Liebe empfinden darf! Aber ich tue es..."
Die letzten Worte sage ich so leise, dass ich sie kaum hören kann.

Nate kommt auf mich zu und packt mich an den Schultern.

"Du darfst mich nicht lieben, Faith. Ich bin ein schlechter Mensch."
"Nein, das bist du nicht..."
Er wischt mit seinem Daumen meine Tränen weg und hebt dann mein Kinn an.
"Wieso weinst du dann wegen mir?", fragt er leise.
Er beugt sich näher zu mir herunter. In meinem Bauch kommt ein seltsames Gefühl auf, welches ich zuvor noch nie gespürt habe.
"Du gefällst mir viel besser, wenn du lachst, Faith. Ich liebe dein Lachen."
Automatisch fange ich an zu lächeln.
"Schon besser", haucht er. Seine Lippen sind nur noch einige Zentimeter von meinen entfernt.

"Nate! Wo bist du?!", ruft plötzlich eine Stimme. Es ist Maddys Stimme.

Euphoria - Nate & FaithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt