Kapitel 16 - Faith

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TW: Panik, Atemnot

1 Woche später:

Heute ist das Spiel. Nate und ich haben die Woche in der Schule kaum miteinander gesprochen. Manchmal ein Hallo, manchmal ein Auf Wiedersehen, aber nie etwas ernstes. Dafür haben wir jeden Abend miteinander telefoniert.

Ich habe in meinem Spind meine Jacke vergessen, weswegen ich den leeren Flur entlang laufe. Alle sind bereits auf dem Platz und fiebern dem Spiel entgegen.
Nachdenklich öffne ich meinen Spind und hole meine Jacke heraus. Als ich ihn wieder schließe, höre ich Geräusche. Hier ist niemand. Alle sind bereits draußen. Was war das?

Oh man, ich bin schon total paranoid geworden. Hier ist nichts.
Im schnellen Schritt laufe ich den Gang wieder runter. Plötzlich werde ich in einen Klassenraum gezogen. Die Tür knallt zu. Jemand drückt mich gegen die Wand. Erst denke ich, es ist Andy, aber er ist es nicht. Es ist Nate.
"Du hast mich erschreckt!", rufe ich außer Atem und boxe ihm gegen die Schulter.
"Tut mir leid, aber das war die einzige Möglichkeit, dich nochmal zu sehen, bevor das Spiel beginnt."
Er lächelt.
"Musst du nicht in der Umkleide sein?", frage ich.
"Ich habe noch genau fünf Minuten", erwidert er nach einem kurzen Blick auf seine Uhr.
"Wir sollten diese fünf Minuten wohl sinnvoll nutzen", schlage ich vor und wackle mit den Augenbrauen, woraufhin Nate lachen muss.
Er beugt sich zu mir runter und wir küssen uns. Seine Hände wandern an meine Taille und dann meinen Rücken hoch.
Ich wusste gar nicht, wie sehr ich ihn und seine Küsse vermisst habe.
"Nach dem Spiel findet noch eine Party statt. Gehst du hin?", frage ich.
"Maddy will, dass wir hingehen, aber..."
Er beendet den Satz nicht, sondern seufzt bloß.
"Du musst es ihr erzählen, stimmts?", frage ich.
"Ja, das wäre nur fair. Wir wollten bis zum Spiel warten."
Ich nicke. Einerseits ist es wohl richtig so. Maddy muss es erfahren und auch für uns ist es besser. Wir können dann endlich offiziell zusammen sein.
Andererseits habe ich Angst vor dem Moment, wenn sie es erfährt. Wird sie mit einer Axt auf mich losgehen? Dieser Gedanke bringt mich irgendwie zum lachen.
"Wir müssen los", sagt Nate und öffnet die Tür.
"Und egal was ist..."
Er schaut mir tief in die Augen und legt seine Hand an meine Wange.
"Ich liebe dich."
"Ich dich auch", antworte ich.

Ich betrete in Gedanken an ihn die Umkleide und setze mich neben Cassie, die bereits fertig geschminkt ist.
"Hier. Ich habe noch ein paar Glitzersteine für dich", sagt sie.
"Danke."
Dann beugt sie sich zu mir rüber.
"Habt ihr es ihr schon gesagt?"
"Maddy? Nein, wir tun es nach dem Spiel..."
Cassie beißt sich auf die Unterlippe und seufzt.
"Ihr müsst es ihr sagen, Faith."
"Ja, das tun wir auch, aber..."
"Sie ist meine beste Freundin. Und sie ahnt es. Ich kenne sie. Wie könnt ihr sie nur so lange belügen?"
"Cassie, ich weiß, was du denkst, aber..."
"Tu es, Faith. Bevor ich es tue."
In dem Moment kommt Maddy in die Umkleide.
"Ich werde es ihr sicherlich nicht jetzt sagen", flüstere ich und ziehe mir meine Sachen an.

Am Spiegel klebe ich mir die Glitzersteine ans Auge und schminke mich etwas.
Als ich wieder zu den Bänken laufe, sehe ich, dass alle anderen bereits weg sind. Nur Cassie und Maddy stehen noch da. Sie schweigen sich an und als Maddy mich sieht, starrt sie mich hasserfüllt an.
"Du hast es ihr gesagt...", flüstere ich. Cassie dreht sich zu mir um.
"Sorry, aber es musste sein."
Mein Atem wird flach. Meine Brust fühlt sich an, als wäre ein Laster rüber gefahren. Ich kriege keine Luft.
Maddy kommt auf mich zu. Scheiße. Was hat sie vor.
Sie bleibt dicht vor mir stehen und in ihren Augen sehe ich Tränen, gegen die sie ankämpft.
"Ich wusste, dass du mir was verheimlichst", sagt sie leise.
"Aber dass du so falsch bist, hätte ich nicht gedacht."
"Maddy, es tut mir so leid, wenn ich es verhindern hätte können, hätte ich es getan, aber..."
Sie hält die Hand hoch und bringt mich damit zum schweigen.
"Spar dir deine Lügen."
Sie wendet sich von mir ab und verlässt die Umkleide.

"Wieso hast du das getan, Cassie? Wieso?!", rufe ich verzweifelt.
"Ich kann da jetzt unmöglich rausgehen!"
"Sie ist meine beste Freundin, Faith! Ich habe es eine Woche vor ihr geheim gehalten, das hat gereicht. Und jetzt hab wenigstens den Mut dazu, da rauszugehen, wenn du schon zu feige warst, um es Maddy zu beichten."
Sie lässt mich in der Umkleide zurück und verlässt sie ebenfalls.
Scheiße, ich habe eine Panikattacke. Fuck. Ich kriege keine Luft, mein Herz rast wie verrückt. Ich werde sterben. Ich werde sterben. Ich werde sterben.

Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und schaue mich im Spiegel an. Meine Augen sind rot. Ich sehe schrecklich aus.

"Faith, kommst du?!", ruft eine Stimme in die Umkleide herein. Ich weiß nicht, wem die Stimme gehört. Irgendjemandem aus dem Team. Aber das ist jetzt egal.

Ich verlasse die Umkleide und betrete mit zittrigen Beinen das Spielfeld. Ich nähere mich dem Team und stelle mich auf meine Position.
Alles ist so laut. Das Klatschen, das Gejubel der Zuschauer. Die Lichter sind so grell, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Und egal, wo ich hinsehe, ich sehe nur Maddy.

"Okay, let's go!", ruft sie, als das Spiel beginnt. Ich schaue hinaus auf das Feld und suche nach Nate, kann ihn aber nicht finden, was auch egal wäre, denn er kann mir jetzt auch nicht helfen.
"Los!", ruft Maddy wieder.
Die Musik geht an und wir müssen performen.
Ich folge den Schritten, auch wenn ich dazu gar nicht in der Lage bin. Ich zittere und habe keine Energie. Ich fühle mich so...verlassen.
Gleich kommt die Pyramide.

Ich klettere hinauf und versuche die Balance zu halten. Der größte Fehler, den man machen kann, wenn man ganz oben steht, ist hinunter zu gucken. Unter mir steht Maddy. Sie hält mein linkes Bein und stützt mich.
Ihre finsteren Augen blicken mich an.

Um mich herum verschwindet alles, bis ich starke Schmerzen an meinem linken Knöchel empfinde. Maddy krallt mit ihren Fingernägeln in meine Haut. Ich sehe Blut. Scheiße. Mir wird schlecht. Ich sehe nur noch schwarz. Ich falle.

Euphoria - Nate & FaithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt