Kapitel 9 - Faith

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Puh, das war knapp. Beinahe hätte Maddy mich gesehen und uns dabei erwischt, wie wir uns fast geküsst hätten. Zum Glück nur fast.
Was ist bloß los mit mir? In letzter Zeit neige ich zu verrückten Aktionen, wie Nate Jacobs zu küssen und ihm meine Liebe zu gestehen. Total verrückt.
"Faith?!"
Ich ducke mich wieder hinter den Jeep. Ist Maddy zurückgekommen?
"Faith!"
Nein, das ist nicht Maddys Stimme. Das ist Jules.
Ich stehe auf und komme auf sie zu.
"Wieso versteckst du dich hinter einem Auto?", fragt sie verwirrt.
"Lange Geschichte. Wieso bist du so aufgeregt?"
"Es geht um Rue. Ihre Mutter hat mich angerufen. Sie ist im Krankenhaus. Überdosis."

In meinen Ohren klingelt es. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal mit Rue geredet habe. Das war auf dem Mädchenklo vor mehreren Tagen.
Rue ist eine Freundin. Es müsste mir doch auffallen, wenn sie nicht da ist und wenn es ihr nicht gut geht. Aber ich war nur mit mir beschäftigt und deswegen ist es mir nicht aufgefallen.
"Lass uns losfahren", murmle ich, noch immer unter Schock.

Jules und ich schweigen, während wir mit den Fahrrädern zum Krankenhaus fahren. Wir halten vor der Notaufnahme und stürmen herein.
"Da ist Rues Mum!", ruft Jules.
"Wie geht es ihr?", fragen wir sie.
"Es geht. Ihr Zustand ist stabil, aber sie ist sehr benommen."
"Können wir zu ihr?"
Sie nickt.

Wir betreten das kleine Zimmer mit dem piependen Monitor. Rue liegt schlafend in ihrem Bett.
"Oh Gott", schluchzt Jules und lässt sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen. Sie greift nach Rues Hand.
"Es ist meine Schuld...ich habs nicht gesehen..."
"Nein, das ist nicht deine Schuld", sage ich.
"Rue weiß, dass du sie liebst."
Jules wischt ihre Tränen mit einem Taschentuch weg.

Ich mustere Rues schlafendes Gesicht. Sie sieht so friedlich aus, obwohl in ihr gerade die Hölle los sein muss.
"Wieso nehmen Menschen Drogen?", fragt Jules. Es sind einige Stunden vergangen und draußen ist es bereits dunkel. Rues Mutter hat uns Kaffee besorgt und fährt kurz nach Hause, um sich um Rues Schwester zu kümmern.
"Weil sie der Realität entfliehen wollen", antworte ich.
"Das war zumindest mein Grund."
Jules blickt auf.
"Du hast...?"
"Jep."
"Das hast du mir nie erzählt..."
"Ist auch nicht gerade die schönste Geschichte über mich...", sage ich leise.
"Erzählst du sie mir trotzdem?"
Ich überlege kurz.
"Willst du die ganze oder nur die halbe Wahrheit? Denn ich warne dich: Es ist wirklich keine schöne Geschichte."
"Die ganze."
Ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Die meisten Erinnerungen an diese Zeit sind sehr verschwommen.

"Ich fing damals mit Gras an. Es war harmlos, jeder an meiner Schule hat gekifft. Und es hat Spaß gemacht. Irgendwann kamen Pilze und so ein Kram dazu. Weiter gings mit Molly und LSD. An Heroin habe ich mich zum Glück nie rangetraut. Ich fing mit der Scheiße an und hab meine beste Freundin Holly da mit reingezogen. Wir rutschten ziemlich ab und gerieten an komische Typen, die versucht haben uns im Rauch zu belästigen. Zum Glück kam es nie so weit. Holly hatte einen Freund, sein Name war Jacob. Wir waren alle gut befreundet und nahmen öfter mal Drogen zusammen, wenn wir bei ihm waren. Eines Tages war es auch so und wir saßen bei ihm auf der Couch und haben gekifft. Holly ging mal kurz telefonieren und Jacob und ich waren allein im Raum. ich weiß nicht, was damals mit mir los war, aber ich fing an ihn anzumachen und er stieg darauf ein. Wir fingen an rumzumachen und es wurde ziemlich heftig, bis auf einmal Holly reinkam und uns sah. Sie war sehr wütend, verständlicherweise."

Ich mache eine kurze Pause und kämpfe gegen die Tränen an.

"Sie rannte raus und wir folgten ihr. Ich habe gesagt, dass es ein Versehen war. Sie beschimpfte mich als Hure. Sie rannte raus auf die Straße und...wurde angefahren. Sie hat es nicht überlebt."

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter.

"Ich habe es eine lange Zeit auf die Drogen geschoben, dass ich so drauf war. Welche beste Freundin tut ihrer besten Freundin so etwas an? Aber manchmal denke ich daran, dass ich an dem Abend nur einen Joint geraucht habe. Ich war nicht mal wirklich high. Ich war einfach ein schlechter Mensch."

Ich wische die Träne auf meiner Wange sofort weg, aber Jules bemerkt sie.
"Du bist kein schlechter Mensch, Faith. Das was passiert ist, ist schrecklich, aber ihr wart alle auf Droge."
Ich nicke, auch wenn mich die Schuldgefühle heute noch plagen.
"Und ich lerne nicht einmal wirklich aus meinen Fehlern, weil ich mich in einen Typen verliebt habe, der vergeben ist", seufze ich.
"Nate?", fragt Jules leise.
Ich nicke und beiße mir auf die Unterlippe.

"Wow, und ich dachte mein Leben wäre scheiße", sagt Rues trockene Stimme plötzlich.
"Oh mein Gott, Rue!"
Jules springt von ihrem Stuhl auf und umarmt Rue.
"Hey! Nicht so fest!"
"Ich hole die Schwester", sage ich und verlasse den Raum.
Draußen atme ich erstmal tief durch. Ich habe lange nicht mehr darüber geredet, aber irgendwie hat es ganz gut getan.
Es hilft mir jedes Mal ein Stück mehr, die Vergangenheit hinter mir zu lassen.
Und ich habe jetzt ein neues Leben und neue Freunde.

Mein Handy vibriert plötzlich und ich hole es aus meiner Jackentasche. Es ist eine Nachricht von Nate:
"Ich vermisse dich."

Euphoria - Nate & FaithWo Geschichten leben. Entdecke jetzt