Prolog

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,,Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?", fragte sie den Mann hinter der breit aufgefächerten New York Times mit zum Plausch aufgelegter Stimme, ließ sich ihm aber zugleich gegenüber auf dem antiken Rokoko-Stuhl nieder, ohne überhaupt irgendeine Antwort abzuwarten. Verwundert stellte sie fest, dass der Stuhl noch nicht einmal so unbequem war wie sie es zuvor vermutet hätte. Ihr Hintern schien jedenfalls sehr dankbar über das weiche Polster zu sein, der zuvor noch die harte Parkbank unter sich hatte erdulden müssen.

Besonnen strich sie mit den Fingerspitzen über das feine Mahagoniholz und fragte sich, was dieser Tisch wohl gekostet haben musste. Bestimmt ein Vermögen, dachte sie sich und rief sich die restliche Einrichtung des Cafés in Erinnerung, die sie vorher schon mit beinahe offenem Munde ausgiebig bestaunt hatte.
Es war eines jener Cafés wie man sie sich in Träumen oder Romanen nur allzu gern vorstellte. Antike Möbel, dunkler Parkettboden, Geschirr von feinstem Porzellan, edle Kristallgläser, Silberbesteck und schließlich die riesigen Torten, die einem allein schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Ganz zu schweigen von den besten Kaffees und den ausgewähltesten Teesorten, die ihren verlockenden Duft im ganzen Raum verströmten.
Ihr Blick fiel auf die edle Tasse vor ihr. Einladend braun schimmerte das schon seit Jahrhunderten beliebteste Heißgetränk in dem elfenbeinweißen Porzellan.
Was mochte ihn dieser Kaffee wohl gekostet haben? Mit größter Wahrscheinlichkeit viel mehr als der Kaffee bei Starbucks. Sie wollte es sich gar nicht erst ausmalen.
Das ganze Café wirkte schon so nobel und teuer als wäre es nur für die gutbetuchte Schicht vorgesehen.
Auch hingen hier keine jungen Studenten und Teenager ab, die gemeinsam den Raum mit der vulgären Jugendsprache, lautem Gegröle und den überquellenden Hormonen erfüllten. Und zugleich fühlte sie sich so fehl am Platz wie ein Elefant im Porzellanladen es wohl sein musste.

Die Zeitung raschelte, was sie schleunigst aufblicken ließ.
Ihr Gegenüber hatte seine New York Times sinken lassen und musterte sie nun aus stechend moosgrünen Augen. Doch es ging ihr ein wenig zu lange, sodass sie begann grimmig zurückzustarren.
Ihre blauen Augen konnten nämlich wahre Funken sprühen, wenn sie nur wollte.
Schließlich lachte ihr Gegenüber belustigt auf. Seine raue und doch so melodiös angenehme Stimme jagte ihr dabei einen Schauer über den Rücken.
,,Sie besitzen eine außerordentliche Dreistigkeit, Miss...?", schmunzelte er, legte die Zeitung beiseite, nahm einen Schluck Kaffee und sah sie abwartend an.
,,Meyland", antwortete sie ihm.
,,Amelie Meyland. Und mit wem habe ich die Ehre?"
Eine ausgesprochen seltsame Frage, wenn man eigentlich genau wusste mit wem man es zu tun hatte. Selbst ihr Gegenüber schien verwundert darüber zu sein und hob überrascht eine Augenbraue. Doch er überspielte seine Verblüffung geschickt mit einem leicht amüsiertem Räuspern.
,,Jona, Jona Anderson", stellte er sich unnötigerweise vor.
Augenblicklich fiel ihr die Kinnlade herunter. Es stimmte also wirklich.
Es gab ihn tatsächlich, Jona Anderson, den milliardenschweren CEO von Silvers.
Sie hatte zwar zuvor schon immer gewusst, dass es ihn dort draußen irgendwo gab, aber es war doch nochmal etwas ganz anderes ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Sie zweifelte immer Sachen oder Gerüchte an, solange sie sie selbst nie zu Gesicht bekommen hatte. Und nun saß sie ihm also gegenüber und sie stellte fest, dass jede Bemerkung über ihn mindestens einen Funken Wahrheit besaß.

Er war groß, seine Schultern breit und durchtrainiert, das schneeweiße Hemd spannte ihm unter dem tiefschwarzen und gewiss maßgeschneiderten Sakko ein wenig um die Brust, das etwas längere blonde Haar trug er zurück gegelt. Allgemein schien er besonders vornehm gekleidet zu sein, was man von ihr, in ihrer braunen Lederjacke, wohl kaum behaupten konnte.
Seine Lippen glänzten in einem verführerischen Rotton unter der perfekten Nase. Die Kieferpartien waren markant aber keineswegs zu dominant und die Wangen ein klein wenig höher angesetzt. Die dunklen Augenbrauen waren von Natur aus wunderbar geschwungen und überhaupt nicht buschig, dafür waren die Wimpern umso dichter und voller. Jedes Mädchen wäre blass vor Neid geworden. Sein Lächeln schließlich war aber so viel mehr als nur charmant wie all die anderen es ihr zuvor beschrieben hatten. Amelie meinte darin die laue Frühlingssonne zu sehen, als er sie amüsiert anlächelte.

©Eine Milliarden GründeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt