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Retrospektive:
anschließend an 14

,,Sie müssen mir den Weg weisen, Miss Meyland. Wir sind jetzt zwar schon in der Marine-Street, aber die B21 ist nicht ganz so leicht zu finden."
Die grauen und auch ein wenig heruntergekommenen Fassaden der hohen Häuser betrachtend, schloss sie die schwarze Mappe auf ihrem Schoß und hielt Ausschau nach dem Gebäudekomplex ihrer Wohnung.
Die Visitenkarte rutschte dabei ganz in den Hintergrund.

Trotz dass sie nun schon zwei Jahre in diesem Eck wohnte, tat sie sich manchmal noch recht schwer auf Anhieb ihre Wohnung zu finden, denn die Häuser in dieser Straße sahen alle gleich aus; grau, schwer und alt. Selbst die kleinen Fenster und Türen waren allesamt gleich anzusehen. Aus dem Auto heraus war das Ganze noch einmal ein klein wenig schwerer, wenn alles an einem schneller vorbeizog als zu Fuß.

,,Lassen Sie mich einfach hier raus, den Rest kann ich auch selbst bewältigen..."
,,Ah, wer sagt's denn, da ist es ja", funkte der Milliardär lächelnd dazwischen und fand direkt auf Anhieb einen Parkplatz vor der Tür ihres Gebäudekomplexes.
,,Sehr schön", und da sie nicht wusste, was sie sonst noch hätte sagen sollen, bedankte sie sich kurzerhand bei ihm.
,,Danke. Sie haben mir heute einige Schritte erspart und natürlich den Hungertod."
Silvers CEO lächelte über den Rückspiegel.
,,Nichts zu danken. Es war mir ein Vergnügen."
,,Also man sieht sich."
Sie tippte sich zum Abschied mit der Hand gegen die Stirn, vergewisserte sich, dass sie alles bei sich hatte und wollte gerade die Tür aufmachen, um auszusteigen, da war ihr ein gewisser jemand zuvor gekommen.
Ganz nach britischer Gentlemanmanier hielt ihr Jona Anderson die Tür auf.
,,Sie wollen mich aber jetzt nicht noch etwa mit hineinbegleiten?", war das Erste, was ihr dazu über die Lippen kam.
,,Wieso denn eigentlich nicht?", grinste er schief und sie verdammte sich dafür, ihn das gefragt zu haben.
,,Sie haben meine Wohnung gesehen, also darf ich jetzt Ihre sehen. Dann wären wir quitt."
,,Ganz schlechte Idee. Bei mir herrscht das größte Chaos, das man sich überhaupt vorstellen kann", versuchte sie ihn loszubekommen.
,,Am Anfang war alles Tohuwabohu", konterte er.
,,Natürlich die Bibel...", seufzte sie und ließ ergeben die Schultern hängen. In Sachen Schlagfertigkeit war er bestimmt ein Weltmeister, als großer Geschäftsmann und Firmenleiter.
Auch wenn es die größte Beschämung für sie sein würde, so hatte sie doch keine Chance gegen seine Hartnäckigkeit.

So stieg sie also aus und führte ihn durch das Treppenhaus, mit dem bröckelnden Putz, den zerkratzten Türen und den abgetretenen Stufen. Vor manchen Wohnungen war allerlei Krempel oder Kartons abgestellt, die einen schon beinahe nicht mehr passieren ließen. Aus jeder zweiten Tür, drang ein beißender Geruch von billigen Zigaretten oder schlechtem Alkohol hindurch und ließ sie wie sooft angewidert die Nase rümpfen.
Was der Milliardär, der ihr an den Fersen haftete, nun wohl denken musste?

Als sie schließlich im obersten Stockwerk angelangten, lümmelte Caleb wieder einmal in seinem bunten Hawaii-T-Shirt auf seinem Türläufer, in grünen Badeschlappen steckend und das rote Haar mit Esstäbchen hochgewickelt. Er war ihr herzensguter Nachbar.

,,Hey, Am! Wo warst du denn letzte Nacht?", empfing er sie gut gelaunt wie eh und je. ,,Ich könnte schwören, du warst nicht da."
Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen, woraufhin sie ihm nur den Vogel zeigte und er breit grinste.
,,Und du? Musst du nicht arbeiten?", gab sie zurück.
,,Nein, bin krank geschrieben", nuschelte er und, als schließlich ihr milliardenschwerer Begleiter hinter ihr auftauchte, stieß er einen anerkennden Pfiff aus.
,,Ist der der Grund dafür, dass du, die Nacht woanders verbracht hast?"
Sein Grinsen stieg ins Unermessliche.
,,Ein richtiges Schnuckelchen hast du dir da aber geangelt", lachte er.
,,Das Schnuckelchen ist nichts weiter als ein hirnloser Volltrottel", erwiderte sie daraufhin.
,,Das Schnuckelchen kann euch hören", funkte Jona Anderson verärgert und mit gerunzelter Stirn dazwischen.
,,Oh, mein Gott!", stießen Amelie und Caleb zugleich schrill aus, schlugen sich die Hände ins Gesicht und grinsten sich gegenseitig an. Der Milliardär sah irritiert zwischen den beiden hin und her.
,,Ist nur so ein Ding", winkte Caleb ab.
,,Verstehen nur wir beide", stimmte Amelie zu, zückte ihren Schlüssel und sperrte ihre Wohnung auf.
,,Also dann: Herein, der Herr!"
Sie winkte Silvers CEO ein wenig peinlich berührt und auch irgendwie etwas verbissen in ihre kleine Stube und verabschiedete sich von ihrem Nachbarn, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

©Eine Milliarden GründeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt