Retrospektive:
5 Tage nach dem ersten Kuss...

Rasch wandte sie sich um.
Drei schwarz vermummte Gestalten waren ihr dicht auf den Fersen.
Eine, schlank und wendig, hielt noch immer das Messer von vorhin in der Hand, während die zweite, groß und ziemlich grobschlächtig, wild mit dem Baseballschläger um sich schlug.
Wo war sie da nur wieder hineingeraten?

Das Abtauchen in New Yorks dunkle Gassen hatte etwas Aufregendes und Spannendes, aber sobald ihr Typen, wie diese, sie dort wieder hinausjagten oder vielmehr auf ihren Hals aus waren, wusste sie, dass sie irgendetwas falsch gemacht hatte. Was nur, das wusste sie wie sooft nicht. Wahrscheinlich hatte sie nur einen Bandenboss doof angeblickt oder jemand hat sich einfach an ihrer Visage oder ihrem Geruch gestört.

Als Journalistin und vor allem Autorin wagte sie sich gerne in solch schmutzige Gebiete, um neue Sachen, Trends, Verbrechen oder illegale Geschäfte kennenzulernen. Manche hatten ja gar keine Ahnung wie es in diesen Gassen tatsächlich zu ging. Niemand hätte sie je allein hineingelassen, wenn sie jemanden davon erzählt hätte. Deshalb war es ihr kleines persönliches Geheimnis, das niemand jemals erfahren durfte.

Ihre Füße flogen über den Boden, ihr Herz das drohte jeden Moment aus ihrer Brust zu springen und ihr Atem war ein einziges Hetzen ihrer Lungen, während ihr salziger Schweiß die ersten losen Strähnen ins Gesicht klebte.

Gerade, als sie ein letztes Mal panisch über die Schulter blickte, nur um zu sehen, dass ihre Verfolger zu ihrem Unglück mit ihr mithielten, und um die nächste Ecke bog, prallte sie mit voller Wucht gegen etwas Hartes und Standfestes. Sie quiekte erschrocken auf, was sie für gewöhnlich nie tat, und landete kurz darauf mit ihrem Hintern voran auf dem nicht gerade weichen Boden.

Ein schmerzendes Stechen durchfuhr sie und etwas schnitt ihr in die Hand. Sie musste eine Glasscherbe erwischt haben, wie sie hier nur zur Genüge herumlagen. Sekunden darauf rann ihr auch schon etwas Warmes über die Handfläche. Na toll, dachte sie sich, versuchte den Schmerz wegzudenken und ihre vollste Konzentration auf den großen Mann vor ihr zu lenken.

Er trug eine schwarze Lederjacke mit glänzenden Schnallen, hohe, ebenso dunkle Bikerboots und eine dazu passende Bikerhose aus Leder. Blasse Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen, während ein blutrotes Tuch die Hälfte des bleichen Gesichts verbarg. Blaue Augen starrten sie unter schwarz gelockten Strähnen finster an. Die dunkle Kapuze warf tiefe Schatten.

Augenblicklich robbte Amelie ein paar Meter zurück, aber der Mann folgte ihr mit ausdrucksloser Miene und starrem Blick. Seine Schritte waren so anmutig und leicht gesetzt, dass Amelie es sofort mit der Angst zu tun bekam.
So liefen nur abgehärtete Killer, deren Opfer für sie nichts weiter waren als der rote Teppich, der ihnen den Weg in eine glorreiche Zukunft bereitete.

Allein das blutrote Tuch, das sein Gesicht verbarg, zeugte davon, dass sie niemand Geringeren vor sich hatte als Morgan Grimsoul - Hillerys Handlanger. Mit der Zeit kannte auch sie sich in der schwarzen Welt aus, hatte große, gefürchtete Namen kennengelernt, wenn sie den Leuten in den Kneipen nur aufmerksam zugehört hatte. Und Morgan Grimsoul mochte man nicht einmal im Traum begegnen, denn ihm begegnete man nie zweimal. Sie musste also wirklich etwas sehr Unkluges getan haben, dass Hillery ihr seine linke Hand auf den Hals jagte. Grimsoul musste der dritte Mann gewesen sein.

Ängstlich blickte sie an ihm hinauf und kroch noch ein weiteres Stück zurück, aber da packte er sie schon am Kragen, riss sie hoch und drückte sie gegen die Wand. Amelie staunte darüber wie ein recht schmächtig wirkender Mann eine solche Kraft offenbaren konnte, war zugleich aber auch völlig entsetzt, denn jegliche Hoffnung auf eine Flucht schwandt. Eisblaue Augen starrten sie kalt und eisern an, während sie nur hilflos um sich schlug.

,,Lass mich los, bitte!", flehte sie und sah ihn aus feuchten Augen an. ,,Ich bin mir sicher das können wir auch so klären, was auch immer es sein mag, wie zwei Erwachsene."
Grimsoul schwieg, legte ihr nur den Zeigefinger auf die Lippen und blickte über seine rechte Schulter. Die zwei anderen Typen rannten geradewegs an ihnen vorbei. Er ließ von ihr ab, sodass sie endlich wieder den Boden unter ihren Füßen spüren konnte. Amelie atmete erleichtert aus und richtete ihre Jacke.

,,Danke", sagte sie, doch die letzten Buchstaben blieben ihr im Halse stecken, als Grimsoul plötzlich einen Colt zog, die Munition wechselte und die Waffe mit einem lauten Klicken lud. Ohne ein Wort zu verlieren, richtete er die Mündung direkt auf sie.

Kein Ausdruck lag in seinen Augen, keine Wimper zuckte.
Amelie hingegen zitterte am ganzen Leibe, während sich ihre Augen panisch weiteten und Tränen sich anstauten, die ihr die klare Sicht nahmen.

,,N-nicht...", stammelte sie und wischte sich über die Augen. ,,Was habe ich denn überhaupt getan? Ich habe doch bloß etwas getrunken und bin dann gegangen..."
,,Ruhe!", zischte Hillerys Handlanger und stützte sich mit einer Hand neben ihr an der Wand ab. Er keuchte schwer und hustete trocken und pfeifend. Es klang alles andere als gesund.

,,Bitte!", flehte sie abermals. Doch das hätte sie besser nicht gemacht, denn Grimsoul fauchte sie genervt an und richtete die Waffe auf ihren Kopf.
,,Hör auf zu jammern, Mädchen, und empfang den Tod lieber mit einem Lächeln! Behalte deine Würde."

Er sah zur Seite und legte den Finger an den Abzug. Da knallte es mit einem Mal laut und grelles Licht blitzte auf.
Amelie sank in die Knie, aber Grimsoul fing sie auf. Ein tiefes Grollen hallte an den dunklen Mauern wider und wie benommen hörte sie das Quietschen von Rädern.
War da etwa ein Motorrad?

©Eine Milliarden GründeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt