Retrospektive:
Lucas ließ seufzend das Smartphone sinken und gab es mit hängenden Schultern an Aiden zurück.
,,Und?", fragte dieser erwartungsvoll, aber Lucas schüttelte nur den Kopf.
,,Nichts zu machen", sagte er und schlug wütend mit der Faust gegen die Wand.
,,Verdammt!", fluchte er und schloss zähneknirschend die Augen. Er rieb sich die Schläfen und blickte besorgt aus dem Fenster.Jona war ja schon immer so anders gewesen. Während er selbst sich oft hinter einem Zeichenblock mit Stift und Radiergummi in der Hand versteckt und die Ruhe gesucht hatte, war Jona meistens auf wilden Partys unterwegs gewesen, hatte dumme Sachen angestellt und immer Ärger mit nach Hause gebracht.
Zwar war Lucas oft auf der Skateranlage gewesen, hatte sich mit alten Kumpels zum Hip-Hop tanzen getroffen und Fußgängerzonen sowie Straßen zum Parcour gemacht, aber dennoch war es nie so ausgeartet wie bei Jona, der das Abenteuer regelrecht in jedem Ding gesucht hatte. Selbst wenn sein großer Bruder dabei mächtig auf die Schnauze gefallen war, war es für ihn kein Grund gewesen, mit dem Ärger Schluss zu machen. Er war einfach immer wieder aufs Neue ins Feuer gesprungen.
Es war für sie damals wie ein Aberwitz gewesen, als Jona der felsenfesten Überzeugung gewesen war, dem Militär beizutreten. Viele waren der Meinung, er hätte sich dadurch gebessert, aber Lucas wusste es besser.
Er hatte sich nicht gebessert.
Jona war nun vielleicht erwachsener, aber mit seiner Vergangenheit vollkommen abzuschließen, war niemanden möglich.
Weshalb sollte also ausgerechnet sein großer Bruder mit seinem früheren Ich brechen?
Jona liebte schnelle Autos, scheute nicht vor dem Umgang mit Gewehr und Pistole, war ein ausgezeichneter Reiter und Jäger und sein sportlicher Körper war wie aus Stahl, den man notfalls auch wieder zusammenflicken konnte. Dass er obendrein ein hübsches Gesicht besaß, machte ihn nur noch gefährlicher.
Er selbst erschien hingegen völlig harmlos. Es mochte vielleicht sein, dass er ausreichend trainiert war, um mit seinen Bruder zumindest auf sportlicher Ebene mithalten zu können, aber dennoch war er neben Jona nicht mehr als ein kleiner Angsthase, der außer seinem Katana und einem Bogen nie eine andere Waffe in die Hand nehmen würde.
Wie oft hatte er seine Familie enttäuschen müssen, dass er nicht mit auf die traditionelle Herbstjagd ging, nur weil er den Lärm der Gewehre und das Töten der Tiere nicht ausstehen konnte?
Er war immer mit Großtante Dorothy und Großmutter Isabella sowie der überempfindlichen Tante Evie am runden Gartentisch mit der feinen Spitzendecke auf eine Tasse Tee sitzen geblieben, während die anderen sich an der Jagd hoch zu Ross ergötzten. Sein Großvater hatte schwer über ihn gejammert.Trotz dass er sich in dieser Hinsicht mächtig von seinem großen Bruder unterschied, würde Lucas alles tun, um ihn zu unterstützen oder gar zu beschützen.
,,Aiden?", wandte er sich schließlich nachdenklich an den besten Freund seines Bruders, der daraufhin von seinem Smartphone aufsah und ihn aus wachen Augen anblickte.
,,Lucas?", erwiderte der und legte den Kopf leicht schief.
,,Du bist doch so ein Computerfreak, richtig?", fragte er ihn und strich sich die schwarzen Locken hinter die Ohren.
,,Könnte man so sagen", nickte Aiden, woraufhin er ihn aus zusammengekniffenen Augen ansah, als wüsste er bereits, worauf er hinaus wollte.
,,Kannst du denn auch Jonas Handy orten?", wollte Lucas wissen und sah ihn aus neugierigen Augen schelmisch an. Aiden hob abwehrend die Hände.
,,Das kannst du doch nicht ernst meinen, Lucas! Ich soll meinem besten Freund hinterherspionieren?"
,,Ja, du sollst, Aiden. Du kannst doch nicht ernsthaft meinen, dass das gutgehen kann? Erst drei Tage bewusstlos und dann gleich ins nächste Chaos stürmen? Nein, das geht nicht gut."
Lucas Augen verengten sich zu Schlitzen.
,,Lucas, er ist ein erwachsener Mann", wandte Aiden mit gerunzelter Stirn ein.
,,Ich auch", trotzte er mit entschlossener Miene, aber Aiden schüttelte nur den Kopf.
,,Das mach ich aber nicht, Lucas. Vergiss es!"
,,Gut, dann mach eben ich es und du zeigst mir wie es geht", ließ Lucas nicht nach und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Aidens Gesicht herum, der daraufhin nur schwer seufzte.
,,Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, wie nervig du bist?", wollte Aiden von ihm wissen, was Lucas nur breit grinsen ließ.
,,Schon oft genug, Aiden", sagte er und klopfte dem Freund seines Bruders auf die breite Schulter. ,,Glaub mir, schon oft genug. Aber wäre ich dann noch wirklich ich, wenn nicht?"
Aiden ließ ergeben die Schultern hängen und vergrub stöhnend den Kopf in seinen Händen.
,,Na gut...Aber nur unter einer Bedingung: Ich muss das nie wieder tun!"
Lucas nickte, obgleich er ganz genau wusste, dass dem nicht so sein würde.
,,Also gut, was brauchen wir?"
,,Meinen Laptop und ein bisschen Geduld sowie Ruhe. Unter Druck kann ich nämlich nicht arbeiten. Hörst du, Lucas? Außerdem ist es nicht sicher, dass wir etwas erreichen, denn Jona ist verdammt nochmal klug und gerissen."
Lucas nickte aufgeregt und mit einem fettem Grinsen auf den Lippen.
Das würde einen Heidenspaß machen.
,,Vermutlich hat er das Handy eh schon ausgeschaltet oder am besten gleich entsorgt, aber das braucht dich ja nicht zu interessieren", grummelte Aiden missmutig und war sich ziemlich sicher, dass sie nachher genauso schlau sein würden wie vorher.
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©Eine Milliarden Gründe
RomanceJede Nachrichtenagentur rauft sich allein bei seinem Namen schon die Haare; jeder Journalist lässt ergeben die Schultern hängen. Jona Anderson, milliardenschwerer CEO der Firma seines Vaters und ein Gentleman der Extraklasse durch und durch, ist un...