Retrospektive:
Anschließend an 8

Benommen blickte sie auf.
Helles Licht blendete sie unweit von dem Ausgang der schmalen Gasse her und Amelie begann zu blinzeln.
Noch immer hing sie in Grimsouls Armen, der sie nicht gerade zärtlich unter den Armen gepackt hielt.

Als sie schließlich wieder etwas sehen konnte, erkannte sie einen großen Motorradfahrer mit breiten Schultern, der seine Maschine mit grollendem Motor schräg gebremst hielt.
Das grelle Sonnenlicht spiegelte sich auf dem schwarzen Visier des dunklen Helmes wider. Die Wolken mussten für einen Moment gebrochen sein, denn, als sie von Zuhause weg gegangen war, war der Himmel ein einziges, schweres Grau gewesen.
Wer der Fahrer wohl war und was er hier suchte?

,,Lass sie los!", forderte eine raue Stimme, aber Grimsouls Griff wurde nur noch fester. Der Mann auf dem Motorrad ließ die Hände vom Lenker gleiten, griff nach seinem schwarzen Helm und zog diesen mit einem Ruck ab.

Dunkelblondes, wirres Haar glänzte in den goldenen Sonnenstrahlen kupfern, während moosgrüne Augen böse funkelten.

,,Grau Mantel", hauchte sie entgeistert und Grimsoul ließ sie sofort los. Amelie stolperte nach vorne und wäre beinahe zu Boden gefallen, wenn Mister Anderson sie nicht aufgefangen hätte.

,,Alles gut?", fragte er besorgt und sie nickte nur zögernd.
,,Fass sie nie wieder an oder dein Leben wird dir lieb und teuer werden!", drohte er Grimsoul, der noch immer halb in der Gasse stand und sie wortlos aus seinen eisblauen Augen anstarrte. Dann verschwand er auf einmal spurlos, aber Amelie traute sich noch nicht, wieder erleichtert aufzuatmen. Die Angst kontrollierte sie noch immer. Der Schock saß in ihren Knochen.

,,Der ist vorerst einmal weg. Komm, steig auf", sagte Mister Anderson mit weicher Stimme, drückte ihr fürsorglich den Helm in die Hände und half ihr so gut es ging beim Aufsteigen. Erst als sie hinter ihm saß, zog sie mit zitternden Händen seinen Helm auf.

,,Halt dich gut fest, ja?"
Sie nickte stumm, aber erst als er ihre Hände in seine nahm und sie an seine Taille führte, hielt sie sich an ihm fest. Er hatte eine schlanke, sehnige Taille, die durch die enge Motorradjacke besonders hervorgehoben wurde. Etwas, das in seinen Anzügen nicht so sehr auffiel.

,,Du blutest ja", fiel ihm auf, zog ein Stofftaschentuch hervor, drückte es ihr in die Hand und wischte das wenige Blut, das an ihm hängengeblieben war mehr oder weniger an seiner Jacke ab.
,,Pass auf, ich bring dich jetzt wohin, wo wir etwas mehr Ruhe finden, okay?" Wieder nickte sie nur stumm und Mister Anderson stieß sich vom Boden ab, um loszufahren.

Er ließ den Motor aufheulen, bog in den New Yorker Straßenverkehr ein und lenkte seine Maschine sanft durch die langen Autostaus, während Amelie sich schweigend an seinen Rücken schmiegte und ihre beiden Arme um seinen Körper schlang.

New Yorks Straßenverkehr verwandelte sich in weiße Schlieren und zog in dünnen, leuchtenden Fäden an ihnen vorbei. Der kühle Fahrtwind strich in zärtlichen Wogen an ihnen vorbei und Amelie fühlte sich sicher, weshalb sie schon bald getrost die Augen schloss und sich voll und ganz gegen ihn lehnte.
Er gab ihr auf eine ganz besondere Weise Wärme und Halt, Geborgenheit, was sie noch nie zuvor sonst bei irgendwem gefühlt hatte.

Nicht allzu viel später hielt Jona Anderson sein Motorrad vor einem riesigen, modernen Hochhaus mit aufpolierten Fenstern an.
Hätte nur die Sonne geschienen, so hätten sie mit Sicherheit ganz New York widergespiegelt. Ein blauer Teppich lag unter dem bedachten Eingang und führte direkt auf eine glänzende Drehtür zu, die von zwei großen Männern in dunklen Anzügen bewacht zu werden schien. Der gepflasterte Boden ringsum um das Gebäude war sauber gehalten, sodass nicht einmal ein rasch ausgetretener Zigarettenstummel zu sehen war.

©Eine Milliarden GründeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt