Retrospektive:
,,Verdammt!", fluchte Lucas und schlug mit der Faust heftig auf die weiße Tischplatte. Er war sauer, stocksauer.
,,Wo steckt dieser hirnlose Idiot bloß?!"
,,Ich habe es dir doch gesagt, wenn er klug genug ist, schaltet er das Handy einfach ganz aus", schnaubte Aiden und warf einen Blick über seine Schulter, wo sich bis eben noch Lucas schwarzer Wuschelkopf befunden hatte. Der jedoch war zähneknirschend zum Fenster gestapft und schien zu schmollen.,,Er will nicht gefunden werden..." Aiden seufzte.
,,Ich könnte höchstens noch den Standort herausfinden, von dem aus er zuletzt mit dir telefoniert hat."
Sofort sahen ihn Lucas eisblaue Augen aufgeregt an.
,,Unbedingt!", rief er und eilte neben ihn.Eigentlich bereute Aiden seine Worte ja zu tiefst, aber es wäre gelogen, hätte er sich nicht auch für Jonas Verbleib und vor allem Wohlbefinden interessiert. Er war immerhin sein bester Freund.
,,Mach schon! Mach schon!", drängte Lucas und stützte sich erwartungsvoll neben ihm auf dem Schreibtisch ab.
,,Ja, ja...", grummelte Aiden und machte sich zugleich an die Arbeit.,,Sag mal, woher weißt du eigentlich wie man so etwas macht?", wollte Lucas schließlich von ihm wissen, was Aiden die Röte ins Gesicht trieb.
,,Nun ja...", räusperte er sich und rutschte unruhig auf dem Bürostuhl umher.
,,Ich war früher stolzes Mitglied im Programmierclub der Schule gewesen und hing oft im Internetcafé rum, wo ich sehr interessante Leute kennenlernen durfte..."
Lucas kratzte sich den Kopf.
,,Das verstehe ich nicht ganz, aber ist in Ordnung", antwortete er.
,,Du hast mir nicht zu gehört, oder?", fragte Aiden kopfschüttelnd, während er seine Finger rasch über die Tastatur fliegen ließ.
,,Was?", entrutschte es Lucas verwirrt und Aiden begriff, dass Jonas kleiner Bruder mit den Gedanken wieder ganz woanders war. So war er eben.Plötzlich schreckte Lucas neben ihm wie ein scheues Pferd zusammen. Seine eisblauen Augen weiteten sich und er schien angestrengt zu lauschen.
,,Aiden!", zischte er und packte ihn bei der Schulter.
,,Wir müssen von hier verschwinden!" Er horchte ebenfalls auf. Laute Schritte ertönten und Stimmen erklangen.
Hastig schloss er die Fenster auf dem Rechner und schaltete ihn aus.,,Scheiße!", fluchte Lucas und sah sich hektisch um.
,,Unter den Tisch?", schlug Aiden vor.
,,Spinnst du?! Wir sind doch keine Kinder mehr!", entgegnete ihm Jonas kleiner Bruder, wobei er ihm ausnahmsweise mal Recht geben musste.
,,Was jetzt?", fragte er aufgebracht und Lucas zuckte mit den Schultern.
,,Es gibt da genau zwei Lösungen...", murmelte der schwarze Lockenkopf.
,,Entweder..."
Er sah ihn forschend an, musterte ihn rasch von unten bis oben, warf einen sehr eindringlichen Blick auf sein Gesicht und schüttelte dann allerdings wieder den Kopf.
,,Nichts, was ich mit dir machen könnte. Dann bleibt nur noch..."Lucas eilte auf einen Kleiderständer zu, riss sich einen weißen Kittel vom Haken und warf ihn sich um die Schultern. Er richtete das kleine Namensschild an der Brust und hob das Kinn. Aiden sah ihn mit weiten Augen an. ,,Das kannst du doch nicht machen!", flüsterte er aufgebracht.
,,Das kann ich sehr wohl", erwiderte Lucas leise, als im nächsten Moment auch schon die Tür aufflog und zwei Männer in reinweißer Kleidung hereintraten.,,Guten Tag, die Herren", grüßte Lucas sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen, woraufhin die beiden Männer ihm verwirrt entgegenblickten.
,,W...", setzte der Jüngere von den zweien an, aber Lucas ließ ihn gar nicht erst aussprechen.
,,Darf ich vorstellen? Doctor Garcia, Diego Garcia."
Er reichte ihnen die Hand und schüttelte beide kräftig.
,,Ich bin der Vertretungsarzt von der Chirurgie in der Notfallaufnahme. Schön Sie kennenzulernen. Mister Window hat mich soeben in Ihr System eingewiesen, damit ich Zugriff auf die Patientenakten habe."
,,Natürlich", entgegnete der Jüngere zögerlich.,,Ich bin auch nur vorübergehend hier, solange der Chef krank ist", mischte sich Aiden kleinlaut mit brüchiger Stimme ein. Er räusperte sich.
,,Mich scheint es auch schon erwischt zu haben..."
,,Eine gute alte Tasse heißer Tee mit Ingwer, Zitrone und Honig sollten helfen", riet der Ältere und nickte ihm zu, ehe er sich an Lucas wandte.
,,Dann wollen wir Sie mal nicht länger aufhalten, Doctor Garcia. Die Notfallaufnahme ist voll."
Lucas nickte eifrig und hob zum Abschied die Hand.
,,Dann machen Sie es gut."
,,Machen Sie es besser, Doctor Garcia. Einen schönen Tag noch", wünschte ihm der ältere Mann, während der jüngere ihm nur still nachblickte.Aiden sah zu, dass er sich an Lucas Fersen heftete und räusperte sich ein letztes Mal. Verdammt war das illegal.
Als die Bürotür hinter ihnen ins Schloss fiel, gab Aiden Lucas erst einmal einen gewaltigen Klaps auf den Hinterkopf.
,,Sag mal, hackts eigentlich bei dir?!", schimpfte er zischend.
,,Das gleicht ja einer gewaltigen Amtsanmaßung!"
Lucas rieb sich fluchend den Hinterkopf.
,,Mann, ein Gehirnschaden reicht schon!"
,,Ich glaub eher, du hast bei deiner Geburt zu wenig Sauerstoff abbekommen!", knirschte Aiden wütend.
,,Was kann ich dafür, wenn du dich auch darauf einlassen musst!", erwiderte Jonas kleiner Bruder und entledigte sich des gestohlenen Arztkittels, indem er ihn in einen der Wäschewagen schmiss.,,Du gestehst dir also ein, dass das eine saudumme Idee war?", fuhr Aiden ihn an und packte Lucas am Ohr, als wäre dieser ein kleines freches Kind.
,,Au!", schrie Lucas gedämpft und versuchte seinem Griff zu entkommen.
,,Lass mich los! Es ist ja nichts passiert!"
,,Nichts passiert? Wir wären beinahe in die Hände der Polizei geraten, Lucas! Und das nur, weil dein Plan total bescheuert war! Sich in das Ärztebüro schleichen, ehrlich? Der jüngere Arzt sah nicht gerade danach aus, als hätte er uns geglaubt!"
,,Um Jona zu finden!", protestierte Lucas.
,,Um Jona zu finden!", wiederholte Aiden und schmiss die Arme in die Luft. ,,Ich sag dir jetzt mal was, Lucas: Dein Bruder ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen!"Lucas blieb stehen und sah ihn verdutzt an. ,,Das ausgerechnet du das mal sagst", murmelte er, was ihn einem giftigen Blick von Aiden einfing.
,,Was soll das jetzt schon wieder heißen?", keifte dieser und rümpfte die Nase.
,,Na, du musst doch immer das Kindermädchen von Jona spielen, ihm alles nachtragen und so!", erklärte Lucas, woraufhin Aidens Blick nur noch finsterer wurde.,,Außerdem", wagte er. ,,Bist du nicht ganz unschuldig, Aiden. Immerhin hast du dem Ganzen zugestimmt und dir Zugriff auf deinen Laptop über den Ärztecomputer verschafft." Schnaubend blieb Aiden stehen.
,,Nicht dein verdammter Ernst, oder? Du hast mich ja wohl dazu angestiftet!"
,,Aber du hast dich darauf eingelassen", entgegnete Lucas mit zusammengekniffenen Augen.
,,Weil du mich erpresst hast!", behauptete Aiden daraufhin zornig.
,,Nein, hab ich nicht!", widersprach ihm Lucas.
,,Doch!", platzte Aiden hervor und starrte ihn grimmig an.
,,Nein!", rief Jonas kleiner Bruder, was Aiden sofort widerlegte: ,,Doch!"Knurrend warf Lucas die Hände in die Luft. Er wusste schließlich, dass der Klügere nachgab.
,,Gibt es diesen Doctor Garcia überhaupt?", wollte Aiden dann wissen, woraufhin Lucas nur genervt die Augenbraue hob.
,,Ja", grummelte er.
,,Es stand auf dem Namensschild. Und falls du jetzt behauptest, dass man es früher oder später herausbekommen würde: Wir sind in einem gigantischen Krankenhaus, wo sich keine Seele ein Gesicht merken kann, vor allem, wenn es nur ein Vertretungsarzt ist. Hier sagen sich nicht Fuchs und Hase 'Gute Nacht'."
Aidens Gesicht sprach Bände. Er hatte mächtig Schiss, dass man ihn dieses Vergehens bezichtigte. Dennoch schwieg er.,,Was wäre eigentlich die zweite Option gewesen?", fragte er schließlich, während sie weiter durch den hellen Gang liefen.
,,Die zweite Option? Sagte ich doch, nichts was ich mit dir machen könnte, Aiden."
,,Jetzt kannst du es mir ja wohl verraten", beharrte er.
,,Jetzt, wo wir eh schon Dreck am Stecken haben."
Lucas sah zu ihm hinüber und schüttelte den Kopf.
,,Glaub mir, das willst du nicht wissen."
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©Eine Milliarden Gründe
RomanceJede Nachrichtenagentur rauft sich allein bei seinem Namen schon die Haare; jeder Journalist lässt ergeben die Schultern hängen. Jona Anderson, milliardenschwerer CEO der Firma seines Vaters und ein Gentleman der Extraklasse durch und durch, ist un...