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Retrospektive:
Anschließend an 15

Sie wusste nun genau drei Dinge:
Erstens: Sie brauchte unbedingt etwas Hochwertigeres zum Ausgehen als ihre billige Jeans und ihre museumsreife Lederjacke.
Zweitens: Sie konnte sich wohl kaum das Essen bei diesem erstklassigen Spanier leisten.
Drittens: Jona Anderson hatte sie in eine unausweichliche Falle laufen lassen.
Was sollte sie nun tun?
Was für eine Frage!
Sie war weder ein Feigling noch eine undankbare Schuldnerin.
Sie musste gehen.
Also war nun Folgendes geplant:
Sie würde ihre Mutter anrufen müssen, damit sie ihr Abendkleid von ihrem Schulabschluss holen und sie ihr es mit ihren talentierten Händen umschneidern konnte.

Seufzend ließ Amelie sich über die Lehne ihres Sofas fallen, ihr altes Smartphone fest gegen das Ohr gedrückt.
,,Hey, Mum", meldete sie sich und sofort plapperte ihr die muntere Stimme ihrer Mutter entgegen.
,,Hallo, mein Schatz! Du hast schon lange nichts mehr von dir hören lassen. Dir geht es doch gut oder?"
,,Ja, klar", antwortete sie ihr und wollte zugleich auf den Punkt kommen. ,,Du, Mum? Könnte ich heute noch vorbeikommen..."
Und ehe sie weiter kam, unterbrach sie ihre Mutter.
,,Ja, klar! Komm ruhig vorbei! Dein Dad und ich freuen uns immer riesig über deinen Besuch, vor allen Dingen nach der Sache mit Kanja..."
Amelie schluckte.
,,Ich weiß...Ich könnte öfters mal vorbeikommen..."
,,Mach dir deswegen keine Sorgen, Amelie. Dein Dad und ich kommen ganz gut zurecht. Wir sind ja schließlich alt genug."
Ihre Mutter lachte am anderen Ende, woraufhin sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
,,Aber sag, Schatz, weshalb genau kommst du mal wieder ins gute alte Elternhaus geschneit? Ich kenne dich ja und weiß deswegen, dass du nicht ohne Grund kommst."
,,Es geht um mein altes Abendkleid vom Abschlussball. Ich wollte es abholen und dich fragen, ob du es mir noch anpassen könntest, falls es nicht mehr richtig sitzt."
,,Wo soll es denn hingehen?", fragte ihre Mutter spitz.
Innerlich fluchte Amelie. Sie hätte wissen müssen, dass ihre Mutter eine dieser Personen war, die immer alles wissen wollte, was andere nur ungerne preisgaben. Darin war sie früher schon immer besonders talentiert gewesen. Das Schlimme war daran, dass sie immer alles aus einem herauskitzeln konnte.
,,Ich gehe auf ein Klassentreffen...", log sie und sie musste zugeben, es war nicht gerade die beste Lüge.
,,Und da zieht man eine Abendkleid an?"
,,Sie wollten mal wieder etwas ganz Besonderes daraus machen und es sich richtig kosten lassen."
,,Seid wann gehst du denn bitte auf ein Klassentreffen, Amelie? Ist das schon noch meine Tochter?"
,,Um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht so genau, was mich dazu geritten hat. Ich dachte wohl, ich müsse die Party mit meiner Anwesenheit verderben."
,,Ach, Schatz, du bist ein ganz entzückender Gast. Man kann sich niemand Besseren an seinen Tisch wünschen, als dich."
,,Das kannst du aber auch nur behaupten, weil ich deine Tochter bin", gab sie zurück und schnaubte amüsiert.
,,Ach, Amelie! Hör doch einfach mal auf das, was ich dir sage!"
,,Schon gut, Mum. Ich werde so gegen zwei bei euch sein. Vielleicht können wir dann ja noch eine Tasse Tee gemeinsam trinken und miteinander über alte Zeiten quatschen. Bis dann!", verabschiedete sie sich rasch und legte einfach auf...
Ihre Mutter würde sie ja noch heute sehen. Sie würde es ihr also verzeihen können.
Amelie schmiss ihr Handy gähnend auf das nächst beste Kissen, warf einen kurzen Blick auf ihre Wanduhr und schloss die Augen. Bis zur vereinbarten Zeit waren schließlich noch drei Stunden. Somit hatte sie also genügend Zeit, Schlaf nachzuholen.

Und so kam es also, dass sie sich bereits zwei Stunden später in New Yorks regen Straßen wiederfand. Bunt zogen die Autos an ihr vorbei, verschwammen in ihrem Augenwinkel, während ihr Blick selbst auf dem gepflasterten Weg vor ihr haftete. Fußgänger eilten schnellen Schrittes vorüber, hasteten zu ihren nächsten Meetings oder vereinbarten Terminen. Amelie jedoch schlenderte gemütlich und ohne jegliche Eile geradewegs weiter, blieb hier und da an einem Schaufenster stehen und betrachtete ganz in Ruhe die zur Schau gestellte Ware. Ab und zu machte sie sich einzelne Notizen in ihr kleines aber schlaues Handbuch, damit sie Ideen für ihre Geschichten sammeln konnte.

©Eine Milliarden GründeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt