"Ja, ich werde es lieben dort..."

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Es ist Oktober und die Sonnenstrahlen kitzeln mein Gesicht. Brennen fast schon auf meinem Gesicht. So wie an einem hitzigen Sommertag. Kein Wunder. Ich lebe ja auch in Eastbourne, direkt an der Küste. Zumindest habe ich da mal gelebt, um genau zu sein: vor genau zehn Minuten war das noch mein Zuhause gewesen. Jetzt sitze ich in unserem alten Pick up Truck auf dem Weg zum Flughafen. Neben mir meine total nervöse Mom. Hibbelig wie eh und je. Ich frage mich, wie sie sich aufs Autofahren konzentrieren kann.

„Nathalie, bist du dir sicher, dass du zu Joe"- „Ja ich werde es lieben dort", unterbreche ich sie und mühe mir dabei einen ab, auch wirklich ehrlich rüberzukommen. Ich bin nicht gut darin zu lügen. Noch viel weniger gut bin ich allerdings darin, jemandem den ich liebe im Weg zu stehen, also lüge ich eben doch. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich Angst.
Angst davor, neu zu beginnen.
Angst davor, den Ort zu verlassen an dem ich die schönsten Momente meines 17-jährigen Lebens verbracht habe, mit ihm.
Angst davor, gleich in einem Hafenort mit knapp 2500 Menschen - mitten in der Einöde von Schottland zu landen - bei einem Menschen, der zwar mein Vater ist, den ich aber zuletzt mit zwölf Jahren gesehen habe. Mit anderen Worten: Es sind 5 Jahre vergangen. Er ist wie ein Fremder für mich.

Allerdings hat meine Mom - die größte Verfechterin der Umwelt, die ich kenne - dieses überwältigende Angebot bekommen. Zwei ganze Jahre lang wird sie diverse Forschungsprojekte zum Erhalt einer unserer wichtigsten Ökosysteme in Madagaskar leiten. Wer sagt da schon nein? Genau, meine Mom. Zumindest war das ihre erste Reaktion. Sie wollte wirklich einen ihrer größten Träume für ihre 17-jährige Tochter an den Nagel hängen. Bevor es mich gab, hätte sie alles stehen und liegen lassen nur DAFÜR und jetzt würde sie das einfach so abblasen wollen? Nie und nimmer. Natürlich hatte ich das also nicht zugelassen und meine wochenlange Überredungsarbeit hatte schlussendlich gefruchtet. Mich aber einfach so, ganz alleine in Eastbourne zurück zu lassen - schließlich war ich erst 17 Jahre alt - kam für sie, ich zitiere „auf. gar. keinen. Fall." In Frage. Deshalb beiße ich also in den sauren Apfel und ziehe zu meinem Vater nach Schottland, auf die Isle of Sky. Eine verdammte Insel. Dafür eine verdammt schöne Insel. Zumindest sagt Google das..wenigstens etwas.

Ich blinzle zu ihr rüber. Sie ist so eine starke Frau und gesegnet mit absolut, grenzenloser Schönheit. Leider habe ich nicht alle ihre Merkmale abbekommen. Ihre Haut ist braungebrannt und sonnengeküsst, meine hingegen aschfahl. Ihre schwarzen Haare fallen aalglatt und glänzend ihre Schultern herunter, meine sind mehr wellig, die meiste Zeit verfranst, dafür ellenlang. Immerhin. Das einzige, das wir äußerlich wirklich gemeinsam haben sind unsere Augen. Dunkelbraun und manchmal fast schon schwarz, so wie Mangaaugen. Ich gebe einen stillen Seufzer von mir und wende mein Gesicht wieder der Küste entgegen, die an mir vorbei rauscht. Gerade bin ich wirklich froh das meine Mutter fährt wie eine Schnecke, nur noch langsamer. Ganz alleine hat sie sich das Leben aufgebaut, das sie immer wollte. Hart dafür gekämpft, nie etwas geschenkt bekommen außer einem Haufen schwerer Steine, die ihr regelmäßig in den Weg gelegt wurden. Nicht zu vergessen, hat sie mich dabei noch groß gezogen und ich glaube, dass hat sie gut hinbekommen. Denke ich mal. Hoffe ich doch. Plötzlich wird mir ganz schlecht, bei dem Gedanken daran, mich von ihr trennen zu müssen.

Nach zig Umarmungen bin ich also in den Flieger gestiegen, die Augen so rot, wie das feurige  Chilli was Mom immer zum kochen benutzt. Geweint habe ich nicht, ich habe das Gefühl, das ich das schon länger nicht mehr kann. Weder vor Trauer, noch vor Freude. Ich erschaudere kurz. Ich würde sie so vermissen. Nein ich vermisse sie, jetzt schon. Was soll ich ohne sie machen? Wir sind die besten Freunde. Sie ist um ehrlich zu sein, die einzige Freundin die ich besitze.

Mittlerweile stehe ich mit meinem Rollkoffer, in Hoody und Jogginghose, mit meinen ausgelatschten weißen Converse am Flughafen in Portree - für mich sieht es mehr aus wie ein kleiner Landeplatz - wie bestellt und nicht abgeholt. Meine welligen Strähnen klatschen mir ins Gesicht, der Wind ist ja nicht schlecht hier. Von Sonne kann gar nicht die Rede sein. Ich sehe einen Drei-Tage-Bart auf mich zujoggen, in der Hand ein Schild mit der Aufschrift Nathalie. Es lässt mich augenblicklich besser fühlen, weil ich mich jetzt mehr so fühle als wäre ich gerade in einer Millionenstadt am Flughafen gelandet und nicht auf einer Insel, mit gefühlt fünf Einwohnern.

One HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt