Neil:Ich vermisse dich so. Warum tut es so weh? Es tut so weh. Erschrocken jage ich halb aus meinem Bett. Mir steht der Schweiß auf der Stirn und wie immer bekomme ich fast keine Luft und brauche eine halbe Ewigkeit, bis ich mich wieder beruhigt habe.
Mit zittrigen Händen fahre ich mir durch meine braunen Haare und lasse mich wieder ins Kissen fallen. Sie war wieder da. In meinen Träumen. Das Mädchen mit der schönen, langen Mähne. Jedes Mal ziehen mich ihre dunkel leuchtenden Augen in den Bann. In einen Strudel, voller verschiedenster Gefühlsregungen. Verzweiflung, Trauer, Hilflosigkeit, Liebe, Sehnsucht,Hoffnung, Dunkelheit. Alles mögliche spielt sich darin ab.
Ich muss unentwegt an sie denken. Wer ist sie?
Ein nervtötendes Klingeln geht los. Beim Blick auf mein Smartphone fällt mir auf, dass es schon wieder sieben Uhr Abend ist.
„Mr. Lancaster?"
Eine braunhaarige Langbeinige Mittdreißigerin in Rock und weißer Schürze steht in meinem Türrahmen. Meggie, unsere Haushälterin. Köchin. Mädchen für Alles. Herrgott. Wieso können die nicht alle vorher mal anklopfen? Wieso können die mich nicht alle mal in Ruhe lassen?
Ich sehe sie genervt an, will aber nicht unhöflich sein. „Gibt es was Maggie?", frage ich und hieve mich derweil aus meiner Komfortzone. Ich bin Oberkörperfrei und habe nichts weiter als eine Boxershorts an, aber wen juckt das schon.
Mir entgeht nicht, dass ihre Blicke kurz an meinen Bauchmuskeln hängen bleiben. Ich bin sowas gewohnt, allerdings interessiert es mich schon länger nicht mehr. Früher wäre ich sofort darauf angesprungen, hätte irgend einen flirty Spruch gerissen. Mutter hatte deswegen schon ein dutzend Mal sämtliches weibliches Personal gekündigt. Nicht das ich mit ihnen in der Kiste landen könnte.
Sie braucht noch kurz um sich zu fangen, dann meint sie: „Mrs. Lancaster besteht darauf, dass sie sofort nach unten kommen." Ich verdrehe die Augen. Meine Mutter. Diese Hexe.
Ich trotte an ihr vorbei und schiebe mich durch die Tür.
„Sagen sie ihr ich komm gleich."
Ich laufe den Flur entlang, auf dem cremefarbenen, bambusseidenen Teppich, den Mutter hat extra einfliegen lassen. Was für eine Verschwendung. Nach einer halben Weltreise bin ich im Bad angelangt. Wir leben in einer Villa mit drei Stockwerken. Auf jedem gibt es mindestens zwölf Zimmer, was absolut normal und gar nicht übertrieben ist. Zumindest meint sie das.
Ich betrachte mich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Er ist - ganz klar - mit einem goldenen Rahmen geschmückt. Alles hier hat irgend ein goldenes Detail an sich. Nur blöd, dass das die dunklen Seiten dieser Familie auch nicht schöner macht. Persönlichkeit lässt sich eben nicht so leicht manipulieren und schön schmücken. Vorsichtig fahre ich mit dem Daumen über die große Narbe zwischen meiner Brust. Jedes Mal verspüre ich dieses Ziehen, wenn ich sie berühre und jedes Mal kann ich wieder ihr wunderschönes Gesicht vor meinem inneren Auge sehen. Ihr trauriges, wunderschönes Gesicht. Ich schließe die Augen und merke wie sich augenblicklich etwas zwischen meinen Beinen regt. Ich sehe nach unten und fange an zu fluchen. Der bloße Gedanke an sie erregt mich und ich weiß noch nicht mal ob dieses Mädchen überhaupt existiert. Sie muss existieren.
—
„Mutter was möchtest du?", frage ich und sehe dabei gelangweilt an ihr vorbei, den Blick auf eins ihrer neuesten Kunstwerke gerichtet. Ein Porträt. Nicht irgend eins. Es ist von ihr selber und dann auch noch überdimensional groß. Theodora Lancaster in ihrer vollen Größe. Ihre Eidechsen-grünen Augen starren mich arrogant an und ihre roten Lippen spitzt sie prunkvoll. Die Haltung wie die einer Königin. Nur das sie das nicht ist. Es sei denn man rechnet die böse Königin von Schneewittchen mit ein. Die beiden würden die besten Freundinnen werden.„Seit deiner Herztransplantation hast du dich verändert Sohn. Du bist"- Sie fuchtelt wild mit ihren Händen in der Gegend rum. „Ein absoluter Nichtsnutz geworden. Schläfst den ganzen Tag und gehst nur noch selten zur Universität." Sie macht sich eine Zigarette an und lässt ihr Glas schwenken, wobei die Eiswürfel in ihrem Whisky anfangen zu klirren. Ihr Blick ruht kritisch auf mir.
„Wie dem auch sei. Dein Vater und ich haben beschlossen, wir werden dir ab jetzt den Zugriff auf all deine Konten verweigern, solltest du nicht aus deinem Looser-Dasein herauskommen." Mein Vater. Da muss ich ja fast lachen. Sie meint wohl den Mann, der sich dazu durchringt, sich alle Jubeljahre blicken zu lassen. Den Rest der Zeit ist er auf Geschäftsreisen oder lässt sich von jungen Blondinen den Nacken kraulen. Das will sie aber natürlich nicht wahr haben. Nicht mal bei meiner OP war er da. Ist ja nicht so wichtig. Ich hätte ja nur sterben können. Die beiden haben sich echt verdient.
„Dann ist das eben so", sage ich stumpf. Ich begegne ihr mit einem kühlen Blick, halte ihrem genau so zermürbenden stand, auch wenn das nicht immer leicht ist. Ich gebe mich gelangweilt und stehe auf. Mit einer abwinkenden Handgeste kehre ich ihr den Rücken und laufe gen Ausgang, reiße dem Concierge meine Autoschlüssel aus der Hand. Er steht seit einer geschlagenen halben Stunde dort wie ein Sklave. Was anderes ist er für meine Mutter auch nicht. Ein Sklave. Ein Untertan. Jeder hier ist das für Sie. Sogar ihr eigener Sohn. Ich komme gut klar ohne dieses dreckige Geld und für Notfälle habe ich was in einem versteckten Save in meinem Zimmer gebunkert.
Sie hat recht, ich ging nicht mehr zu Uni, seit der Op, die jetzt schon fast sechs Monate her ist und seit ich von Ihr träume und seit ich im Allgemeinen anders geworden bin. Ich sehe Dinge anders, sie fühlen sich anders an, ich weiß manchmal nicht, ob das ich bin. Aber dafür interessiert sich Theodora Lancaster nicht. Sie interessiert sich nur für sich und ihr Modeimperium.
„Ich verspreche dir. Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen Neil Lancaster", schreit sie mir hinterher. Ich stoße ohne eine weitere Antwort die gold-weißen hohen Türen unserer Villa auf, steige in den schwarzen Mercedes Benz und trete in die Vollen.
Meine Hände krallen sich so fest um das Lenkrad, dass das weiß meiner Knochen hervortritt. Ich hasse es, in diese Familie hineingeboren zu sein.
Plötzlich höre ich wieder diese innere Stimme. Nein. Es ist mehr ein Gefühl. Es lenkt mich, das hat es schon oft getan. Leider verlor ich nach gewisser Zeit den Faden und finde mich an irgend einem Ort wieder, an dem ich noch nie zuvor gewesen bin.
Es klingt so verrückt, aber ich weiß, dass dieses Gefühl mich zu Ihr bringen wird. Zu meinem Mädchen. Ich kenne Sie nicht. Ich habe sie noch nie getroffen. Noch nie gesprochen und trotzdem bin ich mir so sicher wie nie, dass sie zu mir gehört. Ich muss sie finden. Heute noch.
Ich brettere über die Landstraßen von Schottland, weg von der Hauptstadt Inverness, bis das Schild mit der Aufschrift Isle of Skye erscheint. Hier muss ich lang? Dort bin ich bisher noch nie gewesen. Wie eigentlich so gut wie an jedem Ort hier. Meine Jungs und ich hielten uns meistens in Edinburgh auf. Da das die einzige Stadt ist, in der was geht.
Isle of Skye hört sich nicht spannend an, aber wenn diese innere Stimme meint, dass ich dort hin muss, dann gehe ich dort hin. Ich würde auch ans Ende der Welt reisen. Wenn ich Sie dafür finden würde.
Der nächste Teil kommt die nächsten zwei bis drei Tage :)
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One Heartbeat
RomanceVor 6 Monaten verlor sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben, aber er ist nicht komplett verschwunden. Er ist noch da. Näher als sie zu denken vermag. Als die 17-jährige Nathalie den attraktiven Studenten Neil k...