"Das erste Mal, seit sechs Monaten..."

52 17 11
                                    


Mit ständigem einschlafen und wieder aufwachen, nach rechts und wieder nach links drehen kam ich auf sensationelle vier Stunden Schlaf. Es war eine holprige Nacht, aber hätte schlimmer kommen können.

Ich stehe mit halb offenen Augen vor dem Wandspiegel im Badezimmer und danke meinem gestrigen Ich, noch Abends die Dusche besucht zu haben, denn jetzt hätte ich es definitiv nicht geschafft.

Nach zwei Gläsern kaltem Wasser, ein bisschen Mascara und Lipgloss sehe ich tatsächlich gar nicht mehr so aus wie eine der Dämonen die, die Jungs in Supernatural  immer jagen. Herzlichen Glückwunsch. Ich zieh mir die marineblaue Uniform der Buckley Highschool an, die aus einem taillierten, kurzen Blazer, einer weißen Bluse und einem leicht ausgestellten Faltenrock besteht. Ich drehe mich im Spiegel um und betrachte das verschnörkelte B, dass jetzt meinen Rücken schmückt. Joe hatte die Uniform vor meiner Ankunft extra abgeholt, damit ich mich schon mal damit anfreunden kann. Allerdings hab ich sie erst heute morgen richtig angesehen. Ich wollte meine Nervosität und meinen Unmut auf heute nicht noch mehr steigern und aus vier Stunden Schlaf, gar keinen Schlaf machen.

Als ich in der Küche ankomme, riecht es nach frisch gepresstem Orangensaft. Ein großer Teller mit Rührei und Speck, der sogar noch leicht dampft, steht auf dem Tisch. Darunter steckt ein Zettel, auf dem steht:

Viel Spaß auf deiner neuen Schule, Liebes. Ich musste leider schon los. Habe dir hier exklusive Rühreier mit Speck gezaubert. (Ich werd noch ein Fünfsterne-Koch) Bis heute Abend.

Meine Mundwinkel heben sich tatsächlich ein bisschen. Es ist irgendwie echt süß, dass er das für mich macht und irgendwie glaube ich er flunkert mich an, wenn er sagt, die Küche ist ihm fremd, das Rührei schmeckt nämlich fantastisch. Leider bin ich mal wieder knapp in der Zeit, daran wird sich nie was ändern, da könnte ich auch auf den Mond ziehen. Deshalb stopfe ich mir noch ein paar Gabeln in den Mund und leere das Glas mit dem Orangensaft, bevor ich aus der Tür zu meinem neuen Auto laufe.

Vor dem Schulhof prangert das große Schild mit der Aufschrift Buckley Highschool. Mein Herz macht Saltos und mein Magen ist flau. Mir ist mulmig zu Mute und gerade weiß ich noch nicht, ob es nur an dem Schulwechsel liegt. Ich versuche, das komische Gefühl in meiner Magengegend zu vertreiben. Es ist eben ein Neuanfang - und ich bin alles andere als bereit dafür. Ich muss mir ständig wieder vor Augen holen, dass ich es für Mom tue, bis ich mich  dazu aufraffen kann mein Lenkrad - an das ich mich seit einer Minute klammere, wie ein angespanntes Huhn, - endlich loszulassen.

Geschichte. Kein sehr guter Anfang. An meiner alten Schule war es schon mein absolutes Hassfach. Ich umgehe die merkwürdigen, mich abscannenden Blicke der anderen Schüler und halte nach einem freien Platz Ausschau. Zu meinem Glück ist ganz hinten rechts was frei. Ab in die Ecke mit mir, in der Hoffnung dass der Lehrer mich nicht bemerkt.

Doch dann läutet der Gong auch schon die erste Stunde ein, der Lehrer kommt - geradewegs auf mich zu. Grandiose Sache. Ich merke, dass ich rot anlaufe wie eine Tomate. Der Tag kann jetzt schon nicht schlimmer werden.

„Willkommen an der Buckley Mrs. Donham, nennen sie mich doch Ray. In meinem Unterricht ist das so üblich. Alle meine Schüler nennen mich beim Vornamen." Super, Ray. „Ehm. Hallo, mein Name ist Nathalie. Mich nennen auch alle so, ist ja auch mein Name." Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade von mir gegeben habe. Was für eine gequirlte Scheiße. Der Lehrer muss jetzt schon denken, dass etwas mit mir nicht ganz richtig ist. Ist es auch nicht, antwortet meine innere Stimme mir.

Er räuspert sich nur kurz und rückt seine Nickelbrille wieder zurecht, bevor er dann doch noch lächeln muss. „Wie wärs, wenn sie sich kurz vorstellen, Nathalie."

Noch bevor ich mit einem euphorischen Nein Nein, das ist doch nicht nötig, antworten kann, hat er auch schon der ganzen Klasse offenbart, dass ich jetzt gleich aufstehen und ein paar Sätze zu meiner Person sagen werde. Wo sind wir hier? Bei der Gruppentherapie.

One HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt