"Du krallst dich an ihm fest, weil du denkst ein Stück Caleb steckt in ihm."

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Nathalie

Ich..ich kann nicht." - obwohl ich es so sehr will.

Ich löse mich von ihm und bei Gott, es fällt mir alles andere als leicht, aber wie kann ich mit einem Jungen solche Dinge tun, wenn ich innerlich einem vernichtenden Hurricane gleiche, der jede Minute droht alles mit sich zu reißen.

Mir schießen Tränen in die Augen, als ich zu Neil aufblicke, in sein wunderschön geformtes Gesicht und seinen jetzt leicht geschwollenen Lippen, von diesem sehr leidenschaftlichen Kuss, der hätte nie enden dürfen, aber enden musste.

„Ich dachte...ich dachte ich kriege das hin, mit dem vergessen, aber in jeder Sekunde in der ich die Augen schließe und dich zu nah an mich heranlasse, dann fühlt es sich so an als wäre Caleb wieder da."

In seinen warmen, grünen Augen verblasst die Leidenschaft und wird abgelöst von ganz anderen Gefühlen, nicht sehr schönen Gefühlen. Trauer? Enttäuschung? Ich meine sogar einen Funken Wut darin aufblitzen zu sehen. Kein Wunder..es wäre ihm nicht zu verübeln.

Er lässt seinen Kopf leicht nach unten sinken und zupft gedankenverloren an dem weichen Stoff, der grau-melierten Bettdecke herum. Schlussendlich setzt er sich auf, mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich kann sehen, wie sich seine breiten Schulter unter dem dünnen Stoff seines Shirts beginnen anzuspannen.

„Willst du..willst du nichts sagen?" frage ich mit gesenktem Kopf.

„Ich bin nicht Caleb, Nathalie. Ich habe mich in gewisser Weise seit der Herztransplantation verändert, ja  und ich muss zugeben, dass ich viele Seiten an mir entdeckt habe, die ich zuvor an mir nie gesehen hatte, geschweige denn wusste, dass ich überhaupt in der Lage sei, sie zu besitzen." Kurz stoppt er in seinem Redefluss und nimmt einen langen Atemzug. Ich fummle derweil nervös an der selben Stelle der hochwertigen Bettdecke herum, wie er zuvor. Wie viel die wohl gekostet hat? Nichts worüber du dir jetzt Gedanken machen solltest du blöde Kuh.

„Ich denke, dass das viel mehr an dir liegt, verstehst du?" Noch immer sitzt er mit dem Rücken zu mir und starrt vermutlich gerade die Wand an. Bei seinen Worten fliegen mir mal wieder die Leitungen sämtlicher Gehirnzellen heraus.

„Wie meinst du es liegt an mir?"

Er stützt seine Ellenbogen auf seinem Oberschenkel ab und wippt schon fast nervös mit seinem Oberkörper. „Alles klar, ich kann nicht still sitzen." Abrupt stößt er sich von der Bettkante und dann sieht er mich doch an und sein Blick ist nicht weniger intensiv, wie gerade eben, als wir vergessen wollten.

„Ich kann nicht still sitzen, weil Du hier bist. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, weil Du hier bist und ich kann um Himmels Willen nochmal keine Sekunde länger ansehen, wie du dich fertig machst. Vor ein paar Monaten hätte ich wahrscheinlich bei diesem ganzen romantisierten Gefasel kotzen müssen, aber das hatte spätestens ein Ende, als ich von dir geträumt und als wir uns kennengelernt haben. Da ist es endgültig gewesen, ich mutiere zum reinsten Philosophen wenn ich in deiner Nähe bin und du bist die reinste Droge für mich, leider setzt du mich ständig unter Entzug, indem du dich ständig von mir entfernst."

Seine Worte klingen hart, aber gleichzeitig sind sie das Schönste dass jemals jemand zu mir gesagt hatte und ich bin dankbar dafür, dass ich gerade sitze ansonsten wäre ich höchstwahrscheinlich halbwegs in Ohnmacht gefallen. Die Reaktionen meines Körpers auf alles was Neil sagt, wie er es sagt, wie er dabei aussieht und wie seine Augen dabei seine Worte nochmals wiedergeben, sind unbeschreiblich. Sie sind einzigartig und echt und doch erinnert mich jede Silbe an Caleb, wenn auch gleich ich für ihn nicht oder noch nie das empfand, was ich für Neil empfinde.

Liebe, flüstert eine tiefe Stimme in mir.

Du krallst dich an ihm fest, weil du denkst ein Stück Caleb steckt in ihm, schreit mich die andere Stimme an, ich denke sie gehört dem Teufel in mir.

Meine Kehle ist trockener, als der Sand in der Sahara. Ich versuche sie zu befeuchten, indem ich einen riesigen Schluck des Minztees nehme. Er schmeckt köstlich und ist wahrscheinlich so viel wert wie mein gesamtes Outfit. Wieso schweife ich nur ständig so ab.

Ich versuche etwas hinauszuzögern.

Ich bin ein Feigling.

Unversucht, seinem tiefen Blick auszuweichen, suche ich nach Worten, nach Worten die nicht halbwegs wie Schwachsinn klingen.

„Du..Ich..Du hast Merkmale von ihm an dir und manchmal da verändert sich deine Stimme so, so als würde Er mit mir reden nicht du", stammle ich.

Neils Hände bilden Fäuste und seine Augen verschwinden schon fast unter seinen vollen und beneidenswerten, schwarzen Wimpern.

Einen Moment lang sagt er nichts, als müsse er sich erst wieder sammeln. Dann kommt er zu mir herüber und geht leicht in die Knie, er stützt sich an der Bettkante ab und nimmt meine Hände in seine.

„Du bildest dir das ein Nathalie", behauptet er.

Ich ziehe meine Hände unter seinen hervor, leicht genervt davon, dass er mich nicht im Ansatz ernst zu nehmen scheint.

„Ich bilde mir überhaupt nichts ein!" entgegne ich ihm gereizt.

Er gibt einen leisen Seufzer von sich.

„Weißt du, was der Unterschied zwischen uns ist? Das ich meine Gefühle für dich nicht auf diese dämliche Verbindung schiebe, die zu bestehen scheint, weil ich sein Herz trage. Diese Gefühle die ich für dich empfinde sind echt" - dann steht er auf und läuft Richtung Tür. „Ich schlafe nebenan", ist alles was er noch sagt, bevor er leise die Türe hinter sich schließ. Alles was zurück bleibt ist der unsagbar-frische Moschusduft und Verwirrung, gepaart mit einem beißend, schlechten Gewissen.

Ich glaube, ich habe gerade ziemlichen Mist gebaut, denn so verletzt wie gerade eben habe ich ihn in der ganzen Zeit noch nicht gesehen. Ich bin eine verdammte Egoistin.

One HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt