"als würde ich gerade höchstpersönlich durch die Hölle reiten.."

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Neil:

"Wo sollen wir als erstes nach ihr suchen?", frage ich Joe. Wir wissen zwar, dass sie in Eastbourne ist, aber wir wissen nicht wo genau. "Ich glaube nicht, dass ich gerade in einem Privatjet der Lancasters gesessen bin", meint er, ohne auf meine vorherige Frage einzugehen. Allerdings sagt er es mehr in einem einmal und nie wieder  als in diesem das stand schon lange auf der Liste der Dinge, die ich schon immer mal machen wollte -Ton. Lach. 

"Für irgendwas muss der Reichtum ja gut sein, oder?" Meine Lippen formen sich zu einem schiefen Lächeln, obwohl mir gerade alles andere als zu Lachen zu Mute ist. 

Erstens, ich will zu Nathalie. 

Zweitens, diese Stadt erinnert mich an meine OP, durch die ich zwar eine neue Chance auf das Leben bekommen habe, aber sie sich nicht sehr verdient und ehrlich anfühlt, bedenkt man, dass deshalb jemand anderes gestorben ist, der hätte vielleicht gerettet werden können. 

Drittens, ich hasse diese Stadt einfach. 

Die Sonne steht tief und trotzdem treibt sie mir Schweißperlen auf die Stirn. Das Klima hier ist deutlich wärmer als in Schottland, was natürlich auch nicht sonderlich schwer ist. Es könnte allerdings auch an der Tatsache liegen, dass wir wie auf Speed halb durch die Stadt rennen und ich dazu scheiße nervös und kurz vor dem Durchdrehen bin. 

"Wir gehen zum East Royal Hospital, es sind noch circa zwei Minuten."

Wir laufen schnellen Schrittes über den Pier, vorbei an einem Musiker mit Hut und langen Haaren. Er trägt an jedem Finger mindestens drei Ringe und sieht aus wie ein waschechter Countrysänger in seinem Aufzug, hat aber Gleichzeit Kajal unter den Augen und seine Arme sind bis oben hin voller Tattoos, weshalb er mich auch irgendwie an einen Rockstar erinnert. Hätte ich meine Kamera dabei und wäre, naja eben nicht in der Situation, in der ich mich gerade befinde - also der wahrscheinlich schlimmsten seit Langem - dann hätte ich ihn gefragt, ob ich ein Foto von ihm schießen darf. Ich fotografiere gerne besondere Menschen und er ist genau so jemand. 

Schneller als Joe "wir sind da" sagen kann, sind wir eben auch schon da. In meinem Herzen breitet sich eine unangenehme Unruhe aus. Ich halte automatisch Ausschau nach den wunderschönen, brünett-gewellten Haaren und den großen, dunklen Rehaugen, die im Kontrast zu Nathalies heller Haut noch  dunkler wirken, als sie eigentlich sind. Sie ist nirgends zu sehen, deshalb betreten wir jetzt das riesige, villenartige Gebäude. Das East Royal Hospital macht seinem Namen wirklich alle Ehre. Es sieht majestätisch aus. 

"Entschuldigen sie bitte, wir suchen dieses Mädchen hier, haben sie sie vielleicht irgendwo gesehen?" Joe hält der Dame am Empfang ein noch relativ aktuelles Foto vor die Nase, woraufhin sie sich die platinblonden Haare kratzt. "Tut mir leid, noch nie gesehen." Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert sein soll, da schiebt sie ihre Brille auf die Nase und meint: "Warten sie, ich glaube...ich glaube irgendwie kommt sie mir doch bekannt vor. Sie müssen entschuldigen, wir hatten gerade einen riesiges Chaos hier. Der Feueralarm wurde ausgelöst und naja es gab kein Feuer. Was für ein Wunder"- sie räuspert sich kurz und gibt ein nervöses Lächeln von sich. "Ich meine natürlich, was für ein Glück." Jetzt bricht sie in schallendes Gelächter aus und klatscht in die Hände. 

Ohweh, ich glaube mit der Alten stimmt etwas ganz gewaltig nicht. Neben mir wird Joe derweil merklich ungeduldiger und ich habe auch alles andere als Lust mich weiter mit dieser Tussi auseinander zu setzen. 

"Also haben Sie sie nun gesehen, oder nicht?", frage ich und ernte dafür einen bösen Blick. 

"Ja, das Mädchen auf dem Foto ist diejenige gewesen, die mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass irgendjemand den Alarm ausgelöst hat. Sie ist dann aber verschwunden."

An dieser ganzen Geschichte ist irgendwas faul und stinkt bis zum Himmel. Ich habe den Gedanken noch gar nicht zu Ende geführt, da klingelt mein Handy. 

Es ist Nathalie. Ich atme erleichtert aus und nehme den Anruf sofort entgegen. 

"Nathalie, wo bist du oh mein Gott? Wie kannst du sowas machen. Dein Vater und ich sind fast durchgedreht vor Sorge und außerdem sind wir hier. Ich meine wir sind auch in Eastbourne und"- 

Joe reißt mir das Handy aus der Hand, als er merkt dass gerade seine vermisste Tochter am anderen Ende der Leitung ist. "Dich müssen alle guten Geister verlassen haben, mir sowas anzutun."

Er läuft vor mir weg, raus aus dem Krankenhaus und ich ihm hinterher wie ein kleiner Junge. Wenn er mir jetzt nicht sofort mein Handy wieder gibt, dann spring ich ihm auf die Schulter und reiß ihm das blöde Ding aus der Hand, aber dann hat er schon aufgelegt. 

"Was soll das? Wo ist sie, wo ist Nathalie und"-

und sie steht vor uns. 

Ihre kleinen Hände in die Schlaufen ihres Rucksacks gekrallt, das Haar zerzaust und die Augen rot, steht sie einfach da und sieht trotzdem noch aus wie ein Engel. Wie ein gebrochener Engel. 

Ich sprinte auf Nathalie zu und schließe sie in eine feste Umarmung, die sofort erwidert wird. Das kann nur ein gutes Zeichen sein, oder? Erst jetzt fällt mir wieder auf, wie klein sie eigentlich ist. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Nacken und ein leichter Pfirsichduft steigt mir in die Nase. Manchmal glaube ich, sie riecht von Natur aus einfach so gut.

Am liebsten hätte ich sie an den nächsten Baum gedrückt und leidenschaftlich geküsst, allerdings scheint mir das mehr als unangebracht. 

Ich löse mich schweren Herzens von ihr, damit sie im nächsten Moment von ihrem Vater überrannt werden kann. 

"Dad, ist schon gut. Mir gehts gut." Wenn sie ihn Dad nennt, dann will sie wohl irgendwas von ihm. 

"Neil und ich müssen jetzt los. Wir müssen zu Calebs Mom", ist alles was sie zu Joe sagt und sieht mich dabei erwartungsvoll an. 

Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich soll zu seiner Mom und was genau sagen? Hey, hier ist der Typ, wegen dem sie vielleicht ihren Sohn für immer verloren haben, aber keine Sorge, ich wusste davon nichts? 

Ich hoffe zum ersten Mal inständig, dass Joe hart bleibt und wir einfach sofort von hier verschwinden, bis mir einfällt, dass ich es dem Mädchen, das ich liebe schuldig bin mich dieser Sache zu stellen. Was auch immer sie dort will, es scheint einen Grund zu haben und trotzdem fühle ich mich, als würde ich gerade höchstpersönlich durch die Hölle reiten. 


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