"Verachtung und Rache."

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Nathalie:

Ein paar laute Stimme reißen mich unangenehm aus meinem Schlaf, der ohnehin nicht sehr tief gewesen war, aber immerhin um einiges besser als die Monate zuvor. Ob es daran liegt, dass ich heute Nacht in Neils Zimmer geschlafen habe? Vielleicht waren es auch einfach nur die Nachwehen und die Erschöpfung der ganzen Aufregung, von gestern.

Ich reibe mir meine verschlafenen Augen, so als würde ich danach wieder klarer sehen können und dann fällt mir auf, dass die lauten Stimmen nicht von irgendwoher im Haus kamen, sondern von einer Frau und einem Mann mittleren Alters. Er trägt einen glatt gebügelten und hochglänzenden,  royalblauen Anzug und seine Haare sind perfekt nach hinten gestriegelt worden. Die Frau trägt ein eng anliegendes Midi-Kleid in der selben Farbe, ihre Haare liegen in einem streng nach hinten gebunden Pferdeschwanz. Die Beiden sehen aus, als wären sie ein Gefolge von Elisabeth der II. Im nächsten Moment wird mir bewusst, wer da vor mir steht. Oliver und Theodora Lancaster.

Neils Eltern stehen gerade mitten im Raum und starren mich an als wäre ich ein noch nicht entdecktes Wesen vom Mond. Augenblicklich laufe ich rot an und ziehe mir wie automatisch die Decke, die so weit nach unten gerutscht ist, dass man die nackte Haut meiner Beine sehen kann, nach oben. Neils Vater räuspert sich kurz und ich denke er hat jetzt vielleicht die Güte das Zimmer zu verlassen, so das ich mich anziehen kann, aber das Gegenteil ist der Fall. Er bleibt unbeschämt stehen und durchlöchert mich mit seinen kalten, grauen Augen.

Seine Frau steht derweil neben ihm und hätte am Liebsten mit Giftpfeilen auf mich geschossen, hätte sie die Möglichkeit dazu gehabt.

Wo ist denn Neil, verdammt.

„Hören sie mal, ich weiß nicht wer sie sind, aber ich gehe stark davon aus, dass mein Sohn mal wieder irgendein Flittchen abgeschleppt hat, die sich jetzt schön in unseren Gemächern ausruht und womöglich denkt auch noch hier frühstücken zu können. Nicht wahr?"

Ich muss schlucken, als ich das amüsierte und falsche Grinsen von Neils Mutter bei seinen Worten wahrnehmen kann.

Was sind das nur für Menschen? Meine Wut kocht von Sekunde zu Sekunde mehr über, aber gleichzeitig empfinde ich auch ein megamäßiges Schamgefühl. Ich habe hier nichts zu suchen...

„Ich werde sofort gehen, bei dieser reizenden Begrüßung fällt mir das auch nicht gerade schwer."

Keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, ihm nicht sämtliche Schimpfwörter entgegen zu brüllen für das Flittchen und die abwertenden Blicke, aber vielleicht wollte ich auch einfach nicht sein Niveau einnehmen.

Ich werde auf eine vertraute Stimme aufmerksam.

„Was ist hier los?", fragt Neil und taucht hinter seinen Eltern auf. Er drängt sich zwischen ihnen durch und stellt sich breitbeinig vor das Bett, so als würde er mich damit vor den bösen Blicken der Beiden schützen wollen.

„Deine Mutter und ich haben uns nur gerade mit deiner Bettgeschichte bekannt gemacht. Wir haben bereits darüber geredet, dass sie auf der Stelle dieses Anwesen verlassen wird."

Arschloch. Ich will ihn mit seiner scheiß Krawatte erwürgen.

Neil bäumt sich derweil immer mehr auf und wirkt sichtlich angespannt. „Sie ist keine Bettgeschichte", presst er unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Wie dem auch sei", meint der Arsch im blauen Anzug, legt seine Hand auf die Taille von Neils Mutter und setzt zum Gehen an. Sie hat während der ganzen Zeit keinen Ton gesagt, aber das ist auch überhaupt nicht nötig gewesen, denn wie es aussieht braucht Theodora Lancaster keine Worte um jemandem zu zeigen, was sie von ihm hält. Absolut nicht.

„Es tut mir leid. Meine Eltern sind keine angenehme Gesellschaft, aber bleib bitte noch ich will sicher gehen dass du auch was isst und danach fahre ich dich nach Hause."

Keine angenehme Gesellschaft? Das ist wohl maßlos untertrieben.

Ich stehe mit verschränkten Armen vor ihm in dieser riesigen, total übertriebenen und fast schon königlichen Küche. Man hat alleine beim Laufen Angst etwas kaputt zu machen, selbst dann, wenn überhaupt nichts in der Nähe ist.

Trotzdem sterbe ich fast vor Hunger und wie es aussieht sind die Beiden schon längst gegangen.

Ich streife mir die losen Strähnen hinter die Ohren und bewege mich von einen auf den anderen Fuß.

„Na gut", sage ich und weiß noch nicht, dass ich es im nächsten Moment auch schon wieder bereuen würde.

Neil bat mich schon einmal nach Draußen zu gehen, bis er das Frühstück in der Küche zusammengesammelt hatte und jetzt stand ich in einem fast schon königlichen Garten. Um mich herum die unterschiedlichsten Blumen, derer Existenz ich mir überhaupt nicht bewusst gewesen war. Eine riesige, weiße Hollywoodschaukel, welche golden verschnörkelte Verzierung in sich trägt, baumelt vor einem noch viel größeren Pool.

Ich gehe ein paar Schritte weiter um die Villa, bis ich plötzlich in meiner Bewegung stocke. Neils Vater steht dort und diskutiert hitzig mit seinem Telefon. Wen auch immer er am anderen Ende an der Strippe hängen hat, ist ihm so wie es aussieht nicht wohlgesinnt. Wundert mich das?

Wieso ich jetzt leise wie eine Maus weiter in seine Richtung gehe und mich an der Wand halte, so das er mich nicht sehen kann, verstehe ich selbst nicht genau.

Ich gehe soweit, bis seine Stimme für mich klarer wird.

„Ihr verfluchten Taugenichts. Amateure, lauter Amateure. Wie kann so ein Fehler passieren, das ist unerhört. Lasst diese Akte verschwinden und zwar zügig und wenn ich sage zügig dann meine ich es auch genau so, ich habe keine Lust dieser Frau noch mehr Geld in den Rachen zu stopfen, schließlich hat sie schon ein halbes Vermögen bekommen, für den Deal mit der Herzspende. Bin ich denn hier von lauter Idioten umgeben?! Keiner darf erfahren, dass dieser Junge noch am Leben gewesen ist!"

Mein Atem geht flach und mal wieder ersticke ich geradewegs. Ich will mich übergeben und zwar direkt vor den Füßen dieses Mannes.

Das kann nicht möglich sein. Hier geht es doch nicht um Caleb oder? Nein. Bitte lieber Gott, nein.

Ich schließe die Augen und kann kaum glauben was ich da gerade gehört habe. Meine Hände zittern so sehr, dass ich Angst habe sie fallen gleich ab.

Seltsamerweise bin ich gerade zu bereit, diesem Dreckskerl das Handwerk zu legen. Wenn es hier wirklich um Caleb geht, dann werde ich mich rächen und wenn nicht, dann werde ich es trotzdem tun.

Anstatt den Schmerz erneut zu zulassen, baue ich die nächste Mauer auf und diese besteht aus nichts mehr, als einem Haufen Verachtung und Rachegelüsten. Gelüsten, denen ich mich gerade mehr als gerne hingebe. Rachegelüste, die so tief gehen, dass sie mich in einen tonnenschweren Eisklotz verwandeln.

One HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt