Neil:
Ich hatte noch keine Fünf Worte über die Lippen gebracht, da fing Nathalies Dad bereits an, in den höchsten Tönen zu fluchen. Als er dann endlich zur Seite fuhr und ich ihm die gesamte Story nahegebracht hatte und zwar mit allen verstörenden Details, meinte ich sogar einen Funken Mitleid mir gegenüber in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
Jetzt, nach zehn Minuten, ohne das auch nur einer von uns einen weiteren Ton gesagt hatte, stehen wir immer noch am Rande einer verlassenen Landstraße.
"Es muss schrecklich für Nathalie gewesen sein, als sie davon erfuhr", bricht er das Schweigen und wendet seinen Kopf vom Fenster ab. "Es muss auch schrecklich für dich gewesen sein."
Ich sehe ihn leicht entgeistert an, ich hätte nicht mit so viel Verständnis gerechnet, erst recht nicht von dem Mann, der mich zuvor noch gerne eigenhändig erwürgt hätte.
Ich räuspere mich. "Sir, sie sind doch Psychologe nicht wahr? Halten sie es etwa für möglich, dass...ich meine das."- ich halte inne, denn das, was ich fragen möchte ist doch brutaler Schwachsinn. Ich meine, so etwas gibt es schlicht weg und einfach nicht.
"Nenn mich einfach Joe. Du meinst, ob ich es in Erwägung ziehe, daran zu glauben, dass Calebs Seele womöglich noch irgendwo in dir herumschwirrt? Sich solche Fragen zu stellen ist alles andere als lächerlich, falls das der Grund dafür gewesen ist, dass du sie gerade eben nicht zu Ende gesprochen hast."
Er sieht wieder aus dem Fenster und ist urplötzlich relativ gelassen.
"In meiner Zeit als Psychologe habe ich schon einige skurrile Dinge erlebt und gehört. Menschen kommen mit den verschiedensten Anliegen zu mir. So einen Fall wie deinen hatte ich noch nie."
Seine Worte lösen das Gefühl leichter Enttäuschung in mir aus. Was hatte ich mir erhofft? Joe ist Psychologe und nicht Gott.
"Man sagt, Menschen die ein Herz transplantiert bekommen, fühlen sich nach diesem Eingriff nicht mehr wie zuvor. Es ist, als wären sie nicht mehr komplett alleine in ihrem Körper, so als wäre da noch jemand anderes. Nicht selten haben solche Menschen schlechte Träume, meinen sogar ihren Spender in diesen Träumen sehen zu können. Geht man logisch vor, dann liegt das zumeist daran, dass die Empfänger von Organen ihren Spender niemals kennenlernen dürfen, also begeben sich viele selbst auf die Suche. Sie wollen herausfinden wer ihr Spender gewesen war, was er für ein Mensch war, wie er gelebt hat, was seine Eigenschaften waren. Sie können nahezu verrückt werden. Es kann sich eine regelrechte Obsession entwickeln und der Verstand fängt an ihnen sämtliche Dinge vorzuspielen, die überhaupt nicht existieren."
Ich sehe gespannt zu ihm auf und überlege für einen kurzen Moment, ob ich ihm vielleicht erzählen sollte, dass ich nicht von meinem vermeintlichen Spender, sondern von seiner Tochter geträumt und sie so gefunden habe, überlege es mir aber doch anders, da ich denke dass er mir darauf genauso wenig eine Antwort geben kann, wie jeder andere. Er könnte der beste Psychologe der Welt sein, für so eine Sache gibt es keine logische Erklärung.
"Und was ist mit Nathalie? Sie hat mir gesagt, dass ich sie in gewisser Weise an Caleb erinnere und solche Dinge..." Ich grabe meine Nägel tief in die Innenflächen meiner Hände. Jedes Mal keimt diese Wut in mir auf, dass sie mich mit ihm vergleicht, obwohl sie nichts dafür kann. Ich schätze, ich bin einfach nur schrecklich eifersüchtig und verletzt.
"In gewisser Weise ist das eine vollkommen normale Reaktion. Außerdem scheint sie zutiefst traumatisiert zu sein und ich kann nicht fassen, dass ihre Mutter mir nichts davon erzählt hat.."
Er startet den Motor und sieht mich fest entschlossen an.
"..weshalb wir jetzt sofort zu meiner Tochter sollten."
Das sehe ich genau so. "Ich weiß auch schon wie wir am Schnellsten dort hin kommen werden. Vertraust du mir Joe?", frage ich ihn.
"Du bist ein Lancaster, wie könnte ich dir vertrauen?" Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie er die Lippen aufeinander presst, um ein Lächeln zu verhindern, was mir sagt, dass er mir sehr wohl vertraut."
"Vielleicht solltest du mir gerade deshalb vertrauen, weil ich einer bin." Seit meiner Kindheit begleiten mich die unkonventionellen Methoden meines Vaters um das zu bekommen was man will. Ich bin nicht wie er, aber trotzdem habe ich zugegebenermaßen gelernt, dass es immer einen Weg gibt.
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Ich hoffe, ich habe euch nicht gelangweilt, da dieses Kapitel ausschließlich einen einzigen Dialog enthält, allerdings ist mir dieser sehr wichtig gewesen und ich hoffe natürlich es hat euch trotzdem gefallen <3
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One Heartbeat
RomanceVor 6 Monaten verlor sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben, aber er ist nicht komplett verschwunden. Er ist noch da. Näher als sie zu denken vermag. Als die 17-jährige Nathalie den attraktiven Studenten Neil k...