21 - [I Need Her]

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Mühsam schleppte ich meine Beine über den Boden. Ich hasste diesen Geruch, diesen Ort.

Tod und Trauer konnte ich aus den einzelnen Räumen entnehmen, als ich mich langsam auf das Zimmer 22 zubewegte.

Ich konnte nicht über die Schwelle treten, stattdessen stand ich lieber im Rahmen der Tür und beobachtete Nando aus der Ferne.

Das Piepen des Herzmonitors dröhnte unaufhörlich in meinen Ohren, und übte Druck auf meiner Brust aus.

,,Er ist außer Lebensgefahr" Nuschelte mir Valentino benommen zu. Wann immer er das Krankenhaus betrat, stand er völlig neben sich.

Nando war außer Lebensgefahr, aber noch immer im Koma.

Schwer schluckend schweifte mein Blick zu Aurora, deren Haut in diesen abgedunkelten Raum völlig blass wirkte.

,,Lass uns gehen" Wisperte ich in ihren Nacken, als sie zu mir gelaufen kam. Kurz sahen meine Augen noch einmal zu Valentino, der unser verschwinden wohl nicht bemerken zu schien.

,,Ist alles in Ordnung, Gaia?" Fragte mich ihre liebliche Stimme, als wir im Fahrstuhl standen. Dabei legte sie mir ihre warme Hand auf meine Wange und strich mit ihrem Daumen meine dunklen Augenringe entlang.
,,Ich brauche nur frische Luft"

Auroras besorgter Blick ließ nicht von mir los. Unaufhörlich starrte sie mich an, ohne es überhaupt heimlich zu tun. Nervös krallten sich ihre Finger in die Innenseite ihrer Handflächen, während sie sich mit ihren Zähnen auf die Unterlippe biss.

Ich konnten diesen Blick nicht entkommen, nicht einmal zu Hause. Meine Hände ließen vom Lenkrad ab und mein Körper wandte sich zu ihr.
,,Lass uns doch für eine Weile draußen bleiben" Hauchte ich ihr zu.

Es war egal gewesen, ob wir nun unsere Zeit im Garten verbrachten, auf den Balkon oder in meinen geschlossen vier Wänden. Aurora hätte sich trotzdem sorgen gemacht.

Nickend lächelte sie mir zu, dabei behielt ich recht: noch immer trug sie diesen besorgten Ausdruck auf den Lippen, als sie aus dem Wagen ausstieg.

,,Ich hätte dir die Tür öffen sollen" Sprach ich zwar laut aus, doch erwartete ich eigentlich keine Antwort, als ich lachend zu Aurora sah.
,,Beim nächsten Mal"

Mein Körper kam zu ihr auf die anderen Seite des Wagens gelaufen. Ich konnte den Mond in ihren Augen erkennen.

Das blau ihrer Augen vermischt mit diesen dreckigen grau des Mondes zu sehen, war auf eine ganz eigene Art, atemberaubend mit anzusehen.

,,Darling" Flüsterte ich so leise, dass mich das Rauschen der Wellen beinah übertönt hätte.
,,Folge mir einfach"

Meine Hand ergriff ihre, ohne meine Augen von ihr zu nehmen. Auroras Schönheit hatte mich wieder einmal in ihren Bann gezogen.

Wenn ich den Weg in den Hintergarten nicht in und auswendig gekannt hätte, wären wir vielleicht niemals bei dieser Aussicht angekommen, die mich fast dazu gebracht hätte, dass ich meinen Blick von ihr abwand.

Das Rauschen des Meeres war unüberhörbar gewesen. Mit einer Wucht schlugen die Wellen gegen den riesigen Vorsprung, an welchen wir standen.

,,Du bist wunderschön, Darling"
,,Warum redest du heute so viel zusammenhangsloses?" Hörte ich sie leise lachen.
,,In deiner Gegenwart kann ich einfach keinen klaren Gedanken fassen" Argumentierte ich.
,,Vielleicht brache ich ja nur eine kleine Abkühlung"

Mein Blick fiel auf den Pool hinter uns, bevor ich auch schon meine Kleidung, bis auf meine Unterwäsche auszog.

Auroras Blick striff meinem Körper herunter, dabei blieb ihr Blick allerdings an meinem Arm hängen.

,,Sie ist gut verheilt" Sprach sie sanft, als ihre Finger über die Narbe fuhr, die sie genäht hatte.
,,Nur dank dir"

Ich hatte meine Hände nicht unter Kontrolle. Sie taten, was immer sie tun wollten, doch Aurora schien es nichts auszumachen, als ich ihr langsam aus ihrer Kleidung half.

Verlegen wollte sie, dass ich meinen Blick von ihr nahm, doch konnte ich das nicht. Nicht einmal, als sie mich sanft in das kühle Nass drängte und sie mir hinein folgte.

Meine Arme umschlangen ihre Taille, während sie sich auf meinem Oberkörper leicht stützte.

Ihre Augen reflektierten nicht mehr den Mond, sondern das glitzernde Wasser, auch wenn sie nicht zu mir sah, sondern zu dem Rosengarten.

,,Giovanni, mein Vater, hat damals all diese Rosen für meine Mutter gepflanzt" Sprach ich einfach, ohne darüber nachgedacht zu haben, dass er sie schon mal an diesen Ort gebracht hatte.
,,Wunderschön"
,,Ja, sie hat diesen Garten geliebt. Jeden Tag folgten Nando und ich ihr und hörten ihr dabei zu, wie sie uns irgendwelche Bücher vorlas"

Lustig, mittlerweile wusste ich nicht einmal mehr, wie ihre Stimme überhaupt klang, obwohl ich ihr jeden Tag für mehrere Stunden zuhörte.

Aurora sah mich mit einer schlimmen Vorahnung an, trotzdem stellte sie ihre Frage.
,,Was ist mir ihr passiert?" Sie zögerte. Ihr Stimme versagte, dass letzte Wort zu sprechen.
,,Sie wurde erschossen"

Vielleicht bildete ich es mir ein, doch plötzlich war das Wasser pechschwarz, man konnte nicht einmal mehr den Boden erkennen, welcher sonst in einem hellen weiß strahlte. Leichte Wellen formten sich, die mit Kraft auf uns stürzten.

,,Sie lag im Krankenhaus" Ich wurde das Gefühl nicht mehr los, dass mich irgendjemand an meinen Beinen packte und versuchte in die Tiefe zu ziehen.
,,Ich hörte nur noch den Herzmonitor. Das Zimmer hatte einen merkwürdig Geruch angenommen und auf einmal hörte ich das Piepen nicht mehr"

Ich klang erbärmlich. Meine Stimme war ganz heiser, während meine Augen einfach in den dunklen Himmel starrten, um sie nicht ansehen zu müssen.

,,Ich brauche frische Luft, sagte ich. Aber eigentlich wollte ich nur noch weg. Ich hatte Nando mit ihren leblosen körper allein gelassen, ohne mir irgendwelche Gedanken über ihn zu machen. Ich ging auf das Dach und sah Giovanni eine rauchen - damals rauchte er noch normale Zigaretten, heute sind es ja nur noch Zigarren. Er bot mir eine an und dann kam ich nicht mehr von den Dingern los"

Ihre Finger fuhren durch mein nasses Haar. Ihre sanften Berührung brachten mich dazu, sie endlich anzusehen.

Fast war sie den Tränen nah, was mich doch etwas auflachen ließ.

,,Ich habe Angst um Nando" Gestand ich ihr meine eigentlichen Gefühle.
,,Du hast Valentino gehört, er ist außer Lebensgefahr" Wollte sie mich beruhigen, doch konnte ich ihr nicht weniger zustimmen.
,,Er wird niemals außer Gefahr sein, so langer er dieses Leben führt"

Ich glaube, dass ich tatsächlich zum ersten Mal Domenicos wahre Gefühle verstand.

Diese Angst, diese tiefe Dunkelheit, welche sich nur weiter ausbreitete, und alles in sich sog, was einem lieb und teuer war.

,,Du wirst es aber auch niemals sein"

Karma Is A Bitch Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt