08 | Blut und Familie.

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Spät am Abend kehrten wir zurück. Auch wenn es nicht mehr Abend, sondern eher Morgen war.

Aurora hatte die gesamte Rückfahrt nicht mehr mit mir gesprochen. Eigentlich hätte es mir nichts bedeuten sollen, doch machte es mich wahnsinnig.

In dem Moment, wo sie auf mein Bett zu stürmte, brach ich mein Schweigen. "Was ist dein Problem?" Der Satz kam doch schärfer als gewollt heraus.

Wütend zuckte sie zusammen und zögerte sie zu sprechen. "Du hast mich allein gelassen." Ihre Hände krallten sich in die Decke des Bettes. "Jetzt bin ich hier." Versuchte ich mich jedoch herauszureden. "Du hattest es versprochen!" Wollte Aurora brüllen, stattdessen verstummte sie nur.

Ich verstand ihre Wut und Enttäuschung. Ihre Angst und Verzweiflung. Doch bedeuteten meine Worte in ihren Ohren etwas anderes. Meine Augen sollten nicht die ganze Zeit auf ihr liegen. Ich war nur da, um sicher zu stellen, dass alles problemlos verlief.

Aber ich schätze, für uns beide hätte sich die Bedeutung verändert. Wäre es nicht für Camilla gewesen, hätte ich meine Augen vielleicht wirklich nicht von ihr genommen.

Genau wie es Aurora wollte.

Ich war eine Frau meiner Worte. Ich meinte meine Versprechen ernst, doch schämte ich mich tatsächlich.

Ungeduldig seufzte ich auf. Genau das wollte ich eigentlich vermeiden. "Es tut mir leid." Sprach ich in einem kühlen Ton, welcher nicht wirklich schlau gewählt war. Ich hörte mich wie eine Lügnerin an.

Aurora behielt ihren Kopf gesenkt. Kein einzigen Blick würdigte sie mir. Sie legte sich einfach wütend in das Bett und ignorierte meine Entschuldigung. "Du bist Mitglied der Mafia, warum bist du also so nett zu mir?" Fragte sie mich stotternd.

Überrascht legte ich mich auf die andere Seite des Bettes. Ich war nicht davon ausgegangen, dass sie noch mit mir reden würde.

Bei ihrer Frage fiel mir auf, dass ich eigentlich nie wirklich erwähnt hatte, dass ich kein offizielles Mitglied war. "Weil ich etwas verändern möchte." Es war zwar die Wahrheit, doch eine Lüge um die Frage zu beantworten.

Die Stille kehrte wieder ein. Die Stille die ich so unerträglich fand. "Wer war sie?" Wollte Aurora aus heiterem Himmel heraus wissen.

Mit einem Grinsen starrte ich zur Decke, in der Hoffnung, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. "Eine Stripperin." Lachte ich provozierend. "Was habt ihr in diesen Zimmer getan?" Aurora klang immer verunsicherter. Sie konnte es ahnen, doch wollte sie die Wahrheit nicht wirklich wissen.

"Wir hatten Sex."

Aus meinem Augenwinkel heraus beobachtete ich sie. Ihre Lippen zitterten und ihr gesamter Körper spannte sich an.

"Bist du etwa neidisch?" Fragte ich sie, bevor ich mich über sie positionierte.

Der dünne Träger meines Kleides rutschte von meiner Schulter herunter. Zentimeter trennten uns voneinander, noch bevor ich wieder etwas Abstand zwischen mir und Aurora brachte, welche die Luft unabsichtlich anhielt.

Ihr Kopf richtete sich zu der Balkontür, als würde sie hoffen, dass ihre Rettung jede Sekunde dadurchstürmen würde. "Deine Leute haben mich entführt, geschlagen und du hast mich zu diesen Job gezwungen, ich werde sicherlich keinen Sex mit dir haben!" Sprach sie leise, als würde sie versuchen sich selbst davon zu überzeugen.

"Okay, wenn du es so möchtest." Lachte ich mit einer Art Zufriedenheit. Schließlich war es das, was ich wollte. Ich hatte es geschafft, sie zu provozieren. Aber wirklich glücklich machte es mich auch nicht. "Ich habe dir gesagt, dass ich niemanden zu so etwas zwinge."

Perplex ließ Aurora meine Worte erstmal sacken, bevor sie mir ihren Rücken zu wandte. "Werde ich meine Familie je wieder sehen?" Fragte sie mich. Ihre Stimme war dabei so zerbrechlich gewesen, dass ein einfacher Windzug sie hätte zerschlagen können.

Ich war in ihren Augen ein Monster, was hätte es mir also gebracht, wenn ich das gesagt hätte, was Aurora so verzweifelt hören wollte? Es hätte nur noch mehr Leid für sie bedeutet. "Sie sind wahrscheinlich schon tot."

Trocken sprach ich die mögliche Wahrheit aus. Giovanni war ein gewissenloser Mann, der keine halben Sachen machte. Wenn er also nicht das bekam, was er wollte, dann sollte es niemand haben.

Aurora wollte nicht in Tränen ausbrechen, doch konnte sie ihr schluchzen nicht zurück halten.

Ich lauschte der Brünetten zu, wie an einem verregneten Sonntagabend, wenn sich schon alle Wolken vor dem Mond geschoben hatten.

Mit einer inneren Unruhe trug ich meinen Körper aus dem Bett und stellte mich vor Aurora. In den nur spärlich beleuchteten Raum, warf ich dennoch einen Schatten über sie, der fast ihre Schönheit versteckt hätte.

"Erzähl mir etwas über deine Familie." Forderte ich und ließ mich in den schwarzen Ledersessel herabgleiten, welcher an der Wand stand.

Vorsichtig öffnete Aurora ihre Augen, welche sie vor Schmerz immer wieder schloss.

Intensiv beobachtete ich das Trauerspiel, bevor ich der Schönheit ein Taschentuch anbot, um ihre Tränen wegzuwischen.

Sogar in diesem Zustand war sie wunderschön.

Zögerlich nahm sie es an, bevor sie sich aufrichtete und ihre Arme, um ihre Beine schlang.

"Meine Familie—" Wisperte sie, doch schien ihr nichts einzufallen, was sie über diese hätte sagen können. "Bestand nur aus einem Haufen Junkies."

Perplex starrte ich sie an. Ich hatte mit vielem gerechnet, doch nicht mit dem. "Wenn sie nur Junkies waren, warum trauerst du dann so um sie?" — "Du bist Teil der Mafia, ist Familie nicht das wichtigste für euch, selbst wenn ihr euch nicht leiden könnt?"

Leicht zuckten meine Mundwinkel nach oben, schließlich waren die ersten beiden, die mir vor meinen geistigen Augen erschienen, Valentino und Nando.

Egal wie sehr ich Nando hasste, für ihn hätte ich die sieben Weltmeere überquert.

Und egal wie sehr mich Valentino nervte, nie hätte ich ihn im Stich gelassen.

"Blut macht uns noch lange nicht zu einer Familie." Redete Aurora mit einem traurigen Lächeln weiter.

Wie hypnotisiert, konnte ich meine Augen nicht mehr von ihr nehmen. Intensiv lauschte ich ihren Worten und ließ mir jedes Detail noch einmal durchgehen.

"Es kreiert nur eine Art von gezwungener Verbundenheit, die du in dieser Gesellschaft brauchst."

Zum letzten Mal fuhr sich Aurora mit dem Taschentuch über ihre Augen, bevor sie es in den kleinen Papierkorb am Rande ihrer Seite des Bettes herein schmiss.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass du jeden hier leiden kannst." Redete die Schönheit ohne Ziel.

Ich musste schon fast herzhaft auflachen, doch zeigte ich stattdessen nur ein belustigtes Lächeln. "Wir hassen uns alle gegenseitig." — "Warum?"

Misstrauen schlich sich in mein Lächeln. Hatte ich zu viel gesagt, oder war sie einfach eine gewandte Rednerin, die mich alles vergessen ließ? Ich erhob mich aus dem Sessel und lief wieder zu meiner Seite des Bettes, dabei konnte ich Auroras verwirrten Blick auf ihr liegen spüren. "Du stellst zu viele Fragen."

Schwer schluckte sie, als sie den finsteren Blick meinerseits bemerkte.

Schweigend legten wir uns beide hin, wobei wir mit unseren Rücken zu einander gedreht waren.

"Entschuldigung."

Karma Is A Bitch Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt