Kapitel 49

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Am Gleis angekommen sehe ich auf der Anzeigetafel, dass der Zug Verspätung hat. Was will man auch von der deutschen Bahn erwarten. Und das obwohl wir Deutschen einen hohen Wert auf Pünktlichkeit legen.

Nach zwanzig Minuten Verspätung rollt der Zug in den Bahnhof ein. Wie alle anderen Menschen bahne ich mir einen Weg mit meinen Ellbogen zur Tür und wuchte meine Tasche rein. Nur noch mehr genervt mache ich mich auf der Suche nach meinem Sitzplatz. Nach einer Weile Gesuche habe ich ihn endlich gefunden und verstaue meine Tasche unterm Sitz.

Wie es das Schicksal will sitzt hinter mir ein schreiendes Baby, der Mann auf der anderen Seite des Ganges hat seine Musik so laut an, dass es sogar der Zugführer hören könnte und von Deo hat hier auch noch keiner was gehört. Wie soll ich diese Fahrt bloß überleben?

Das ist der Preis, den du bezahlst (zu den anderen)
Also was lernen wir daraus: Lass dein Herz zurück und lauf davon,
du bist nur ein weiteres Produkt von heute
Sei lieber der Jäger als die Beute
Und du stehst in der Ecke, mit dem Gesicht nach oben, nicht den Kopf hängen lassen, denn du bist ein Naturtalent.

Entschlossen löse ich meine Wange wieder vom Fensterglas. Ich lasse mich nicht einfach abschieben. In meiner Reisetasche wühle ich das Notizbuch, einen Stift und meinen neuen Lebenslauf. Neugierig gucke ich wer ich sein soll. 

Name: Ricca Archer

Alter: 14

Ist mit ihrem alleinerziehenden Vater von Amerika hierher gezogen. Mutter starb bei einem Militäreinsatz. 

Interessen: Kampfsport


So schwer wird das nicht werden. Hoffentlich kriege ich nicht so einen Spießer als Aufsichtsperson.

Nach noch einmaligem Überfliegen wende ich mich meinem Notizbuch zu. So detailliert wie möglich schreibe ich alles auf was ich über diese Bande weiß. Auch, dass Ratte und seine Gruppe sich ihnen vermutlich angeschlossen haben, schreibe ich auf. Am Ende versuche ich mich noch in einer Skizze vom Anführer, muss allerdings sehr schnell feststellen, dass ich das definitiv lassen sollte. Das Gekritzel kann man nicht einmal als Mensch bezeichnen. Eher als eine Kindergartenzeichnung eines Galgenmännchens.

Von meiner eigenen Kreation verstört reiße ich das Blatt raus und zerknülle es. Zusammen mit dem Notizbuch und meiner neuen Identität lasse ich alles in der Reisetasche verschwinden. Wie schon am Anfang lasse ich mich gegen das Fenster sinken. Noch über eine Stunde muss ich in diesem Zug sitzen. Naja, schlimmer kann es ja nicht mehr werden.

Falsch gedacht. Schlimmer geht immer. Genau dies wird mir schmerzlich bewiesen als bei der nächsten Station eine grölende und johlende Männergruppe in den Zug steigt. Der Gestank von Alkohol vermischt sich mit dem Schweißgestank. Genervt lasse ich meinen Kopf gegen den Sitz vor mir fallen. 

Nie wieder in meinem Leben fahre ich mit der deutschen Bahn, wenn es nicht irgendeinen anderen Weg gibt. Und wenn ich den ganzen Weg laufen muss, das tue ich mir kein zweites Mal an.

Whatever it takesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt