„Tom, Telefon!"
Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus dem Schlaf. Wer sollte ihn um 8 Uhr an einem Sonntagmorgen anrufen?
„Martin ist dran, er sagt, es ist wichtig, ich soll Dich wecken."
Tom war auf der Stelle hellwach.
„Tom, es ist was Schreckliches passiert. Xenias Opa ist gestorben." Er schluchzte. „Er hat vorgestern einen Herzinfarkt gehabt, und diese Nacht ist er gestorben."
„Martin, ich rufe Dich in einer halben Stunde zurück."
Tom sackte im Sessel neben dem Telefon zusammen. Er starrte nach draußen, wo dicke, schwere Flocken fielen. „Kein schöner Schnee," dachte er. „Typisch Sauerland im Februar." Er kämpfte gegen die Tränen. Keine Zeit dafür jetzt. Ein Plan musste her, wieder einmal. Es war klar, was Martin wollte. Tom ging in sein Zimmer und holte sein Tagebuch aus der Schublade. Er sah sich die beiden Seiten mit den Adressen und Telefonnummern an. Die Nummer aus Salamis sprang ihm ins Gesicht. Der Plan stand.
Seine Mutter merkte, dass sich wieder etwas zusammenbraute, so wie vor ein paar Monaten, als Tom mit diesem Martin nach London geflogen war. Von der Küche aus konnte sie gar nicht anders, als mitzuhören, was ihr Sohn ins Telefon sprach.
„Martin, Du willst hin, stimmt's?"
„Ja. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ich mich fühle. Ich hab ihm versprochen, ihn um Xenias Hand zu bitten, wenn es so weit ist." Er musste wieder schluchzen. „Ich muss zu Xenia."
„Ich bin auch sehr traurig. Ich habe nachgedacht. Was hältst Du davon: Wir fliegen in den Osterferien hin. Ich habe nachgesehen, wir haben beide vom 3. bis zum 18. April frei. Ich rufe Admiral Lakis an und sage ihm, ich unterrichte seine Kinder. Statt meinem Lohn soll er für uns Flüge kaufen, von Frankfurt aus, das liegt genau auf der Mitte. Und er soll uns ein Zimmer am Strefi reservieren, ich will nicht auf Salamis wohnen, und Du kannst bestimmt nicht bei Xenia wohnen. Agios Andreas wäre eine Option, aber von da aus dauert es zu lange nach Salamis, wenn ich da jeden Tag hin muss. Sag was."
„Was soll ich sagen? Bis eben war ich völlig fertig, weil ich dachte, wenn ich Ostern fliege, reicht das Geld nicht für den Sommer. Meinst Du, der Admiral macht das?"
„Da bin ich ziemlich sicher. Jetzt muss ich nur noch überlegen, wie ich die Sache meinen Eltern klarmache."
Das war einfacher als gedacht. Seine Bekanntschaft mit dem griechischen Admiral gehörte zu den Teilen seiner Griechenland-Abenteuer, die er zuhause erzählt hatte. Seine Eltern hatten keine Bedenken. Jedenfalls äußerten sie sie nicht. Es wäre Zeitverschwendung gewesen, das wussten sie.
Am Nachmittag musste er 2 Stunden warten, bis die Vermittlung sein Griechenlandgespräch zustande brachte. Es wurde Zeit, dass die Post endlich auch mit dem Ausland Selbstwählgespräche einführte, dachte er.
„Tom, welche Freude, hast Du Dir mein Angebot noch mal überlegt?"
„Herr Admiral, hier ist so ekliges Wetter, Schneematsch, und ich wollte einfach mal hören, wie auf Salamis das Wetter ist."
„Es ist ziemlich kalt, 20 Grad, die Sonne scheint. Neidisch? Aber da ist doch sicher sonst noch was."
Tom erzählte ihm, was passiert war, und wie er sich die Osterferien vorstellte. Ganz so einfach würde es dann doch nicht werden. Das griechische Osterfest und damit auch die Schulferien waren eine Woche später als in Deutschland. In der ersten Woche wäre gar kein Unterricht möglich, denn ihre Freunde waren bis 16 Uhr in der Schule.
Tom dachte kurz nach. Die Lösung war doch ganz einfach.
„Dann können wir das anders machen. In meiner ersten Woche gibt es keinen Unterricht, dafür in der zweiten ganztägig. Wir können die Zelte in Agios Andreas aufbauen, und dann verbringen wir die Woche alle zusammen da. Dann brauchen wir auch nur ein Hotelzimmer für eine Woche."
Der Admiral zögerte nicht lange. Immerhin würden sich drei Familien die Kosten teilen, und die Folgen der Euböa-Aufenthalte seiner Sprösslinge waren bis heute spürbar. Besonders Philipos hatte sich zum Musterschüler entwickelt, wenngleich sein Privatleben chaotische Züge aufwies. Zwei Mädchen aus Piräus, die zwei Jahre älter waren als er, buhlten um seine Gunst. Aufgrund eines Sprachfehlers – er konnte nicht nein sagen – war das Drama Dauerzustand.
Tom schrieb einen sehr langen Brief an Nikos und einen wesentlich kürzeren an Sophia, in dem er nichts von seiner Osterreise erwähnte. Er wollte sie überraschen. Am Abend eines grauen Tages lag er im Bett und dachte an Xenia und ihren Großvater, den ehemaligen Professor und Widerstandskämpfer, zu dem sie alle aufgeschaut hatten. Jetzt war Zeit.
Aus einem Brief von Nikos
Agios Andreas, 15. März
Lieber Tom,
Du hast recht, es ist traurig, dass wir uns deswegen schon so bald wiedersehen. Trotzdem freue ich mich. Zu Deinen Plänen.
Ich komme mit Sandy zum Flughafen und bringe Euch zum Hotel. Ich habe Sophia nichts verraten. Am Sonntag hole ich sie ab, zum Musikmachen, sage ich ihr. Ich bringe sie zum Hotel. Sie wird in Ohnmacht fallen. Sandy ist einverstanden, dass wir in der Osterwoche im Garten die Zelte aufstellen. Er freut sich, hat auch die Woche frei. Er gibt noch viele Neuigkeiten, aber die erzähle ich Dir in drei Wochen. ...
Aus einem Brief von Kilimanjaro
London, Mar 17, 1971
Dear Martin,
es tut mir sehr leid, dass der Opa Deiner Verlobten gestorben ist. Er muss ein sehr guter Mann gewesen sein. Sei froh, dass Du hinfliegen kannst, das wird ihr helfen.
Ich arbeite zwei Tage in der Woche in einer Wäscherei, ziemlich hart, schlecht bezahlt, aber Arbeit. Unsere erste Platte ist rausgekommen, sie haben nur 200 gepresst, schade. So wird das nichts mit Top Ten. ...
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Die richtigen Leute Band 3: Der schönste Ort auf Gottes Erde
Historical FictionDie abenteuerliche Reise geht weiter. Nachdem Dave sich plötzlich einem Erpressungsversuch durch die IRA ausgesetzt sieht, reisen Tom und Martin nach London, um ihm bei der Problemlösung zu helfen. Dabei lernen sie weitere „richtige Leute" kennen, d...