Sich kampflos entführen zu lassen, kam für Sophia nicht infrage. Doch so sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich nicht aus dem Griff von Barrymore befreien. Sie stolperte immer wieder, da sie Mühe hatte, sich seinem schnellen Tempo anzupassen. Nach nur wenigen Metern konnte sie nicht mehr und stürzte. Ein fürchterlicher Schmerz jagte durch ihren rechten Knöchel, so stark, das es ihr die Tränen in die Augen trieb.
Barrymore warf ihr einen abfälligen Blick zu, ehe er sie wieder empor zerrte und weiterzog. Sophia stöhnte vor Schmerz, jeder Tritt schien ihren Knöchel zum Bersten zu bringen. Angestrengt biss sie sich auf die Lippen und versuchte den Schmerz zu ertragen. Sie erdolchte den Rücken von Barrymore mit bösen Blicken, ehe sie prüfend hinter sich blickte. Das sie Enrico im Nacken hatte, gefiel ihr überhaupt nicht. Aber er hatte genügend Abstand zu ihr, was sie ein wenig beruhigte. Wie sollte sie den beiden nur entkommen?
Kurz überlegte sie, ob sie laut schreien sollte, hoffend jemand würde sie hören und ihr helfen. Schnell entschied sie sich aber dagegen, denn die Chance auf Hilfe mitten im tiefsten Wald war eher gering. Vermutlich würden die beiden ihr den Mund versiegeln. Sie seufzte leise und versuchte nicht ihrer Verzweiflung zu erliegen. Sophia fragte sich, ob Cole schon von dem Angriff und ihrem Verschwinden wusste. Sein Zorn würde gewaltig sein.
"Euch ist doch wohl bewusst, dass Cole sich rächen wird", sagte sie.
"Solange ich dich habe, wird er Ruhig bleiben", meinte Barrymore.
"Vielleicht, aber nehmen wir mal an, der Tausch wird vollzogen. Denkt ihr wirklich, wenn ich wieder bei ihm bin, dass er dann ruhig bleiben wird? Ihr habt seine Schwester auf den gewissen. Ihr habt mich entführt und es gewagt sein Haus und seine Leute anzugreifen. Ich kann euch versichern, er wird mit allem, was er hat, gegen euch gehen", sagte sie und sah zufrieden, wie Barrymore ihr kurz einen verunsicherten Blick zuwarf. Darüber hatte er sich wohl noch keine Gedanken gemacht, er hatte seinen Plan nur bis zum Erhalt des Schatzes durchdacht. Barrymore war schlichtweg ein Idiot, der nur an seine eigene Gier dachte.
Irgendwo im Unterholz knackte es und sogleich waren Barrymore und Enrico alarmiert. Hektisch sahen sie umher, aber es gab nichts Verdächtiges zu entdecken. Sie kamen zu dem Entschluss, dass es irgendein Wildtier gewesen war. Rasch setzte Barrymore seinen Weg fort.
Doch dann, plötzlich und unerwartet, echote ein lauter Knall durch die Luft. Barrymore hielt ruckartig inne und blickte aufgeschreckt zurück. Sophia tat es ihm gleich. Beide wurden Zeuge, wie Enrico verblüfft auf seine Brust nieder blickte. Dort färbte sich der Stoff seines Hemdes rot vom Blut. Jemand hatte auf ihn geschossen! Sophia verspürte kein Mitleid für ihn, stand aber unter Schock als sie mit ansehen musste, wie er langsam zu Boden sackte und dort mit röchelnder Atmung sein Leben aushauchte.
Barrymore fluchte und sah sich suchend nach dem Schützen um. Doch dieser schien ein Talent dafür zu haben, sich versteckt zu halten. Sogleich musste Sophia an Rainer denken. Barrymore wusste, er würde das nächste Ziel werden. Das er im Grunde ein Feigling war bewies er damit, dass sein Fluchtinstinkt mit ihm durchging. Er ließ Sophia los und rannte davon. Weit kam er aber nicht, denn wie aus dem Nichts tauchte Rainer auf und stellte sich ihm in den Weg. Barrymore musste hart abbremsen und kam stolpernd zum Stehen. Er verlor jegliche Farbe im Gesicht als er direkt in die Waffe blickte, mit der Rainer auf ihn zielte. Schwungvoll warf er seine Arme empor und signalisierte damit, dass er sich ergab.
"So ist richtig, keine schnellen Bewegungen", drohte Rainer und Sophia atmete erleichtert aus. Sie wusste, dass sie nun in Sicherheit war und ließ sich sogleich auf dem Waldboden nieder, um ihren schmerzenden Knöchel zu schonen. Dass die Leiche von Enrico nur wenige Schritte von ihr entfernt lag, versuchte sie einfach zu ignorieren.
"Ich werde dich jetzt fesseln. Versuche keine Scheiße, sonst drück ich ab. Jetzt leg brav deine Hände auf den Rücken", verlangte Rainer und Barrymore gehorchte. Zufrieden sah Sophia dabei zu, wie er gefesselt wurde.
"Ihr solltet froh sein, dass die Lady gerade zusieht, sonst würde euch der Boss sofort in Stücke reißen. Dank ihr, habt ihr noch ein wenig Aufschub", sagte Rainer und Sophia hörte, wie sich hinter ihr jemand näherte. Ein Blick hinter sich genügte und ihr entfloh ein freudiger Aufschrei als sie Cole erblickte. Ihren schmerzenden Knöchel missachtend, sprang sie auf und wollte ihm entgegen eilen. Doch ihr Knöchel strafte dies mit fürchterlichen Schmerzen, sie stolperte und sah sich schon stürzen. Doch Cole machte rasch einen Satz nach vorne und fing sie auf. Erleichtert darüber, dass er hier war, schlang sie sogleich ihre Arme um ihn.
"Wie konntest du uns so schnell finden?", fragte Barrymore zischend.
Er bekam keine Antwort, den Cole hatte nur Augen für Sophia. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte mit einer Hand über ihre Wange, jene Stelle, wo sie von Enrico geschlagen worden war. Es hatte keine Spuren hinterlassen, doch etwas an seinem Blick ließ Sophia wissen, dass er davon wusste. Tief atmete er ein und aus, ehe sich sein Blick, gefüllt mit eisiger Kälte, auf Barrymore legte. Mit langsamen, aber deutlich bedrohlichen Schritten lief er auf Barrymore zu. Dieser wurde sichtlich bleich und man sah ihm an, dass er liebend gerne davongelaufen wäre, aber er war gefesselt und Rainer hatte ihn gut im Griff. Sophia zuckte zusammen als Cole ausholte und Barrymore einen wuchtigen Hieb verpasste. Seine Lippe platzte auf und aus seiner Nase begann sogleich das Blut zu laufen. Barrymore keuchte und seine Knie sackten ein, doch Rainer zog ihn wieder hoch.
"Bring ihn weg, ich kümmere mich später um ihn", verlangte Cole und mit einem Nicken zerrte Rainer den gefesselten Barrymore davon.
"Wo bringt er ihn hin?", fragte Sophia als Cole wieder zu ihr kam.
"Dorthin, wo er dir nichts mehr tun kann", war seine Antwort und half ihr zu einem am Boden liegenden Baumstamm. Dort setzte sie sich und er streifte ihr Schuhwerk ab. Sogleich konnte man sehen, wie dick und geschwollen ihr Knöchel war.
"Deinen Fuß solltest du in nächster Zeit nicht belasten", stellte Cole fest.
"Das wird schon, aber sag mir, wie hast du uns so schnell gefunden?", fragte sie.
"Einer von meinen Männern, die mit den Pferden arbeiten, kam in die Stadt geeilt und berichtete von dem Angriff. Ich machte mich sofort auf den Weg. Der Kampf war schon vorbei und die meisten von Barrymores Leuten geflohen. Man sagte mir du wärest in den Wald gegangen und zu meinem Glück traf ich dort recht schnell auf Rainer und er brachte mich zu deinem Versteck. Dort sahen wir, wie Barrymore und Enrico dich wegbrachten", erzählte Cole und Sophia schluckte schwer. Dann hatte Cole vermutlich gesehen, wie Enrico sie geschlagen hatte und vielleicht hatte er auch gehört, was mit seiner Schwester passiert war. Sollte sie ihn darauf ansprechen?
"Cole, deine ...", sie stockte als auf aufsah und nickte.
"Ich weiß", sagte er und erhob sich.
"Insgeheim hab ich es schon immer gewusst", fügte er deutlich leiser hinzu und Sophia wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Vermutlich gab es kein Wort auf der Welt, das ihn trösten konnte. Auch wenn Cole es nicht offen zeigte, wusste sie, dass sein Herz gerade sehr schwer war. Sie beschloss zu warten, bis er von alleine darüber sprechen wollte. Wortlos ließ sie daher zu, dass er sie auf seine Arme hob und davontrug.Verwirrung suchte Sophia heim, als sie aus einem tiefen Schlaf erwachte und sich im Bett vorfand. Sie wusste nur noch, wie Cole sie durch den Wald getragen hatte. Offensichtlich war sie dabei eingeschlafen. Wie viel Zeit war vergangen? Als sie sich vorsichtig im Bett bewegte, spürte sie gleich einen fürchterlichen Schmerz in ihrem Knöchel. Rasch schlug sie die Decken beiseite und sah, dass ihr Knöchel verbunden worden war und ein kühlendes Tuch darüber lag. Nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür und Maria trat ein. Sophia bombardierte die arme Frau sofort mit lauter Fragen.
Maria erzählte ihr daraufhin, dass es zu einem Feuer gekommen war, man dieses aber hatte löschen können. Es habe viele Verletzte gegeben, um die sich aber bereits gekümmert worden war. Leider gab es einige, denen man nicht mehr hatte helfen können. Das fand Sophia einfach nur schrecklich, doch sie war erleichtert zu hören, dass es Isabelle gut ging.
"Wie lange habe ich den geschlafen?", wollte Sophia wissen. Maria erklärte ihr, dass es gerade früher Morgen des nächsten Tages war. Dies bedeutete, Sophia hatte den gestrigen Nachmittag und die folgende Nacht durchgeschlafen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, so müde gewesen zu sein.
"Was ist mit Cole?", fragte Sophia und Maria wirkte betrübt.
"Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass euer Knöchel behandelt wird, ging er, um sich um Barrymore zu kümmern. Ich weiß nicht, was genau er mit ihm gemacht hat, doch die Männer von Barrymore haben sich von ihm abgewandt. Die meisten haben die Insel verlassen. Das Land von Barrymore ist nun frei und ohne Anspruch. Der Herr scheint kein sonderliches Interesse daran zu haben. Vor einigen Stunden konnten die Überreste von Alina geborgen werden. Der Herr hat sie bei ihren Eltern begraben lassen und seitdem weiß keiner wo er ist. Wir sollten ihm Zeit geben", erzählte Maria und Sophia schluckte schwer. Offensichtlich war Cole genau wie sie, wenn es um Trauer ging. Als sie damals akzeptiert hatte, dass John nicht mehr lebte, hatte sie auch allein sein wollen. Allerdings hätte sie, wenn es anders gewesen wäre, sowieso niemanden gehabt, an dessen Schulter sie sich hätte ausheulen können. Sie hoffte, dass Cole wusste, dass ihm ihre Schulter jederzeit zur Verfügung stand.
"Ich werde euch etwas zu essen bringen", bot Maria an und Sophia nickte ihr dankend zu.Eine Stunde später fühlte sich Sophia satt und gestärkt. Sie erhielt Besuch von Isabelle und wie nicht anders zu erwarten war das Thema zwischen den beiden der Angriff und alles, was danach passiert war.
"Würdest du mir helfen? Ich will das Grab von Alina sehen", bat Sophia schließlich und Isabelle nickte. Mit dem verletzten Knöchel konnte Sophia kaum laufen, weshalb sie sich an Isabelle stützte. Doch kaum hatten die beiden das Gemach verlassen, kam ein junger Mann zu ihnen. Sophia hatte ihn schon öfters gesehen und glaubte zu wissen, dass er Johann hieß und nicht älter als achtzehn war.
"Was macht ihr hier? Der Herr hat gesagt, ihr sollt das Bett nicht verlassen", mahnte er.
"Ich habe nur einen geschwollenen Knöchel und bin daher nicht Bettlägerig. Ich würde gerne an die frische Luft und das Grab von Alina besuchen", erwiderte Sophia.
"Aber ihr sollt doch euren Fuß schonen".
"Hör zu, ich lasse mir nichts von dir sagen. Entweder hilfst du mir oder du gehst", sagte sie und Johann schien angestrengt zu überlegen, was er tun sollte. Schließlich kam er zu dem Entschluss, dass es besser wäre ihr zu helfen. Sophia war ganz verblüfft als er sie schwungvoll auf seine Arme hob. Auch Isabelle schaute nicht schlecht.
"Ihr müsst mich nicht tragen", meinte Sophia
"Miss, wenn der Herr sieht, dass ich euch mit eurem Fuß laufen lasse, macht er mich einen Kopf kürzer. Wenn ich euch also nicht dazu bewegen kann in das Bett zurückzukehren, werde ich euch eben tragen müssen", erwiderte er. Sophia gab nach, konnte sich schon bald aber ein Grinsen nicht verkneifen, denn Johann hatte ordentlich zu kämpfen. Er ächzte und schnaufte. Seine Arme zitterten unter ihrer Last. Wenn Cole sie trug, sah es immer so leicht aus. Allerdings konnte man ihn auch kaum mit Johann vergleichen. Sophia erschauderte als sie die Eingangshalle erreichten und sie einige Stellen in den Wänden entdeckte, wo eindeutig Einschusslöcher zu erkennen waren. Alle anderen Spuren des Angriff waren jedoch bereits beseitigt. Johann pfiff aus dem letzten Loch als sie die Gräber erreichten und er Sophia absetzte. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln und ließ sich dann in das Gras nieder. Isabelle tat es ihr gleich, während Johann sich den Rücken klopfend davon humpelte. Lange betrachteten die beiden Freundinnen nun das Grab von Alina.
"Traurig wie es geendet ist, aber es macht mich glücklich, dass sie nun wieder bei ihrer Familie ist", meinte Sophia und Isabelle schenkte ihr ein Nicken.
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Des Piraten liebster Schatz
RomanceSophia arbeitet erst seit kurzem im Hause der Cortens als Dienstmagd und begreift viel zu spät, dass das adelige Ehepaar finstere Geheimnisse hütet. Bald schon kommt es Schlag auf Schlag und sie wird unrechtmäßig zu einer Verbrecherin erklärt, nach...