Prolog

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Hochzeitstag

Mein Hochzeitstag.

Die Luft in der kleinen Kapelle war angenehm kühl, obwohl es draußen weit über 35 Grad hatte. Es war Hochsommer und obwohl es bereits später Nachmittag war, spürte ich die brennende Hitze von draußen nach innen dringen, durch das kleine Fenster vor mir. Ich liebe diese alten Kapellen, die Wände voller alter Meisterwerke, Stuck an der Decke und dann diese schweren Kronleuchter. Kerzen in jeder Ecke.

Mein Kleid war schneeweiß, Spitze von oben bis unten. Der Schleier mehrere Meter lang. Ein Traum. Ich sah mir in dem großen vergoldeten Spiegel selber in die blauen Augen und dachte dran wie schön dieses Kleid war und wie schade es doch war, dass es in diesem Moment ruiniert wurde.

Aber der Tag hatte schon schlecht begonnen. 

Mein Hochzeitstag

Obwohl es unpassend war drang ein dümmliches Lachen aus meinem Mund. Ich glaube wenn man so hilflos und seinem Schicksal ausgeliefert ist, dann setzt diese Stumpfheit ein und man muss plötzlich lachen.

Eigentlich war ich ein Mädchen gewesen, was sich auf ihre Hochzeit gefreut hatte, ich kannte die Shows, ich mochte die Ästhetik einer Hochzeit, ich wusste die Aufmerksamkeit würde mir gefallen. Und natürlich träumte ich davon meinen Traummann am Altar stehen zu sehen. Aber heute wartete kein Mann auf mich der mich liebte. Am Altar steht der Sohn einer der einflussreichsten Familien der Stadt, wahrscheinlich sogar des Landes.

Meine Familie und seine waren Feinde seit ich denken konnte. Diese Fehde zog sich bereits über Generationen. Ich erinnerte mich als meine Mutter, bevor sie verstorben war, uns erzählte dass die Familie Marchetti unsere größte Konkurrenz waren. Nicht wenig später wurde mir klar was genau für eine Konkurrenz sie darstellten. Meine Familie befand sich im Drogengeschäft, Waffenschmuggel und dem Nachtleben unseres Städtchen. Die Marchetti's ebenso.

Uns gehörte der Süden der Stadt und ihnen der Norden.

Es war so simpel und doch so kompliziert. Ich erinnerte mich an Zeiten in denen ich nicht zur Schule gehen durfte ohne bewaffnete Sicherheitsmänner, weil die Gefahr von Entführung, Erpressung und Mord bestand. Damals war ich noch ein Kind. Doch jetzt war ich es nicht mehr und die Kämpfe waren schlimmer als jemals zuvor. Straßenschlachten, Tote in den Medien, die Menschen hatten Angst und all das ganze Blutvergießen war schlecht für das Geschäft. Und wenn das Geschäft leidet, dann kommen alle zusammen. Sie treffen sich für Friedensverhandlungen.

Es war so ein grausamer Scherz.

Aber was sichert den Frieden besser als eine Hochzeit? Ich sah mit Tränen in den Augen an die Decke der Kapelle und versuchte die kleinen Engel in den Ecken zu zählen.

Ich hatte meinen Vater auf Knien angefleht mir das nicht anzutun. Ich hatte gebettelt und gebettelt, ohne Erfolg. Mein Vater kannte keine Gnade, weder im Geschäft noch in der Familie. Dennoch hatte ich bis zum Schluss gehofft dieses kalte, egozentrische Monster von Vater würde mich in einem Anflug von Nächstenliebe verschonen.

Ich war seine einzige Tochter. Und Familie Marchetti hatte nur zwei Söhne.

Mein ganzes Leben war vor meinen Augen zusammengebrochen. Die Menschen welche unsere geschworenen Feinde waren, die Männer die uns jagten und welche wir bei jeder Gelegenheit versuchten umzubringen sollten nun Familie werden.

Mikey und Vinny Marchetti. Ich hatte die Brüder Marchetti nur wenige Male zu Gesicht bekommen. Ich kannte Bilder, weil wir den Feind kennen sollten, aber ich hätte niemals gedacht es würde sich bei einem von ihnen um meinen zukünftigen Ehemann handeln.

Mikey war der Ältere, er war bereits in das Geschäft eingeführt und war die neue rechte Hand seines Vaters. Ich wusste so gut wie nichts über ihn, außer dass sich mein Magen bei seinem Namen zusammenzog. Mein Ehemann. Ich konnte es einfach nicht wahrhaben.

Meine Tante wurde auch Zwangsverheiratet und ich kannte ihre Geschichte. Sie wurde wie eine Gefangen gehalten und täglich gedemütigt, sie hatte alles verloren und letztlich hielt der Frieden zwischen den Familien nicht, was dazu führte dass ihr eigener Mann sie umbrachte.

Ich weigerte mich, das selbe Schicksal zu akzeptieren.

Mein älterer Bruder Lou war bei den Verhandlungen dabei gewesen und hatte mir versichert, dass es keinen anderen Weg gab. Es hatte nicht lange gedauert, vielleicht ein paar Wochen als Vaters neue rechte Hand, da hatte er sich angefangen zu verändern. Lou war früher ein super großer Bruder gewesen, doch der Einfluss von Vater hatte ihn verändert. Er wurde kühler, besitzergreifender und aggressiver.

In meiner Verzweiflung war ich von zu Hause weg gelaufen als erst Reaktion, nur war ich nicht weit gekommen. Ich hatte mich geweigert, doch meine Meinung interessierte niemanden. Lou und Papa hatten mich ins Auto getragen, während ich mich mit aller Kraft gewehrt hatte. Die Security standen dieses mal nur tatenlos daneben. Eddy mein jüngere Bruder stand ebenso hilflos daneben, da er sich meinem Vater genauso wenig wie ich widersetzen konnte.

Ich hörte Klopfen an der schweren Holztür. Ich bewegte meinen Kopf nicht sondern sah nur erneut in den Spiegel. Meine Kehle war so trocken, dass kein einziger Ton heraus kam. Auch nicht als ich Lou's Stimme in einem tiefen Ton vernahm. Er war ungeduldig. Ich konnte aber nicht ganz ausmachen was er sagte, da die Tür zu dick war.

Kurz war Stille und ich blinzelte durch meine Tränen. Mein Kleid war inzwischen vollkommen rot, der Stoff saugte das Blut auf wie ein Schwamm. Meine schwarzen Haare waren zerzaust und klebten mir im Gesicht. Ich lag regungslos auf dem Boden und sah zu der Leiche meines Vaters welcher sich seit einigen Sekunden nicht mehr regte.

Meine Hände rutschten von meiner Bauchwunde und ich sah den Diamanten an meinem Ringfinger ebenfalls rot verschmiert an. Ich bekam kaum noch Luft, meine Sicht wurde immer verschwommener und ich glaubte erneut die Stimme von Lou zu hören. Gewiss hatte ich nicht erwartet, dass dieser Tag sich so entwickeln würde. Sicher ich war davon ausgegangen, dass es schrecklich werden würde. Mit Schreien und einer Waffe am Kopf hätte man mich zu einem Ja-Wort gezwungen. Mit vielem hatte ich gerechnet aber nicht damit. 

Nicht an meinem Hochzeitstag

Nicht neben meinem Vater langsam auszubluten.

Das war kein Szenario welches ich bedacht hatte. 

Dem Tod nahe schloss ich meine Augen. Dankbar.

Immerhin starb ich als eine freie Frau. 

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