Das Essen schmeckte fabelhaft und die Stimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Das war, bis Thiagos Mundwinkel kippten.
"Scheiße", hörte ich ihn sagen.
Seine Augen hefteten auf etwas hinter mir. Ohne es groß zu hinterfragen, blickte ich über die Schulter.
Mein Herz stoppte einen Moment lang und mein Lächeln verblasste, als ich den Mann erkannte, der den Laden soeben betreten hatte und nun meinen Blick kreuzte.
Schwerschluckend beobachtete ich, wie Miguel auf uns zukam.
Was machte er hier? Wieso war er in Monterrey? Hatte er vor, uns zu treffen?
"Ist schon gut." Sachte strich Thiago über meinen Handrücken. "Ich kläre das."
Ehe ich es realisieren konnte, stand er direkt vor meinem ehemaligen Ehemann.
Die zwei tauschten ein paar Worte aus. Thiago sah zu mir rüber. Seine Stirn prägte eine tiefe Falte.Ich sah seinen Brustkorb, der sich mit ungewöhnlich viel Luft füllte, dann kam er zu unserem Tisch zurück.
Gespannt sah ich ihn an.
"Er möchte dich sprechen", erklärte er. "Möchtest du hören, was Miguel zu sagen hat?"
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ängstlich warf ich einen Blick über meine Schulter.
Wollte ich es hören? Ein Teil in mir war neugierig. Der andere Teil befürchtete, enttäuscht zu werden.
Ich dachte, mit dem Brief hätte sich alles erledigt, doch wie es aussah, wären Miguel und ich niemals miteinander fertig.
"Lorena, du musst nicht." Thiago erkannte die Furcht in mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. "Wenn du das nicht hören möchtest, musst du das nicht. Es ist okay."
Mit unstetigen Atem schluckte ich den Kloß in meinem Hals runter.
Es wäre nur fair, sich anzuhören, was er mir zu sagen hatte. Ich wollte nicht unfair sein, aber mich beängstigte die Vorstellung, durch seine Worte wieder aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Meine schwitzige Hand griff nach Thiagos. "Lass uns gehen", hauchte ich gefasst.
Stumm nickte er. "Ich werde sofort bezahlen, dann gehen wir, ja?" Er küsste meine Stirn und ging an Miguel vorbei zu einem Kellner.
Meine Augen blieben bei dem Mann hängen.
Plötzlich kam die Erinnerung an den Tag, an dem er abschoss. Er wollte Thiago umbringen.Tränen brannten in meinen Augen. Wie konnte ein Mensch so selbstsüchtig sein? Wie konnte er es übers Herz bringen, einen anderen zu töten, nur um sein eigenes Glück zu finden?
Die letzten Monate flogen wie ein Traum vorrüber. Ich hatte die Ereignisse nie richtig verarbeitet.
Plötzlich traf es mich wie ein Schlag.
Thiago hatte etwas ähnlich schlimmes getan - mich von meinem Ehemann gerissen.
Ihm hatte ich verziehen? Ihm konnte ich vertrauen? Das kam mir auf einmal so absurd vor.
Ein überwältigendes Gefühl durchströmte mich wie eine Welle.
Verrat. Hilflosigkeit.Dieser Mann erschien mir ebenso wenig sündenfrei.
War er denn überhaupt besser als Miguel?
"Lorena, komm."
Erschrocken schnappte ich nach Luft, als er plötzlich wieder vor mir stand.
"Tut mir leid." Sanftmütig lächelte er mich an, hielt mir seine Hand hin.
Mein Herz raste und das Blut pochte in meinem Schädel. Mein Atem war flach und ich glaubte, jeden Augenblick zu ersticken.
Mit Schwung sprang ich auf, stürmte an beiden Männern vorbei aus dem Restaurant hinaus.
Er war nicht besser als Miguel.
Ich spürte die Tränen nicht länger nur hinter meinen Liedern. Sie flossen nun unkontrolliert über meine Wangen.
"Lorena." Ein Paar brauner Augen blickte auf mich hinab. Sie waren nicht so von endloser Leere gefüllt, wie ich es von ihnen kannte. Ich sah Sorge, Angst, Bedauern und Trauer.
Beinahe glaubte ich, mich in ihnen zu verlieren.
Nein, nein, nein!
Ich sprang auf, als mich ein weiteres Augenpaar erblickte - grau.
Kopfschüttelnd wich ich zurück.
Alle beide waren sie fürchterliche Menschen. Alle beide hatten sie mich manipuliert und benutzt. Alle beide spielten sie ein gefährliches Spiel mit meinem Herzen.
Es war krank. Sie waren krank und ich war es auch, zu glauben, das, was diese beiden Männer empfanden, wäre Liebe, dabei war es nichts weiter als eine krankhafte Besessenheit.
Panikartig ergriff ich die Flucht.
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Lady White Dress
Romance"In der Liebe gehen Freude und Schmerz Hand in Hand. Manchmal ergänzen sie sich, tanzen wie ein verliebtes Paar und vereinen sich zu etwas Unzertrennlichem. Aber manchmal kann es dich auch in die Knie zwingen, auf deiner Haut brennen und dich zerstö...