"Wieso hast du uns das angetan?", wollte Abuelita nach einer Ewigkeit des Schweigens atemlos wissen. Zum ersten Mal in meinem Leben glaubte ich, Tränen in ihren Augen glänzen zu sehen.
Alle hoben den Blick von ihren Tellern und sahen zu Thiago.
Dieser legte sein Besteck beiseite, schluckte den Bissen seines Fischfilets runter, begann zu erzählen: "Ihre Enkelin hat mir den Kopf verdreht, das Herz aus meiner Brust gerissen und es für einen anderen Mann linksliegengelassen."
Gänsehaut überzog meinen Körper. So hatte ich die Sache noch nie gesehen.
"Ich habe sie nicht entführt, um es mir zurückzuholen", fuhr er fort. "Mein Herz gehörte ihr, sobald sie mich mit ihren Rehaugen ansah und es wird für immer ihres sein. Was sie damit anfängt, liegt ganz bei ihr."
Wieder legte sich eine Stille über den Tisch.
Ich fühlte mich ein wenig unwohl wegen dem, was er über mich gesagt hatte. Die Worte ließen mich wie eine undankbare Egoistin dastehen, dabei hatte ich zu dieser Zeit keine Ahnung, dass sein blutendes Herz in meinen Händen lag.
"Ich habe ihre Enkelin entführt, weil ich ihr zeigen möchte, wie sich echte Liebe zwischen Partnern anfühlt. Das, was sie mit Miguel hat, ist nicht wofür sie es hält. Keine Ahnung, ob Sie ihn fürchten oder es einfach nicht sehen, aber ihr Ehemann liebt Lorena nicht. Er benutzt sie."
Unter dem Tisch ergriff Thiago meine Hand.
"Nicht zuletzt möchte ich diese wahnsinnig gütige Frau für mich haben. Ich möchte mein Leben mit ihr verbringen. Ich möchte, dass sie mir gesunde Kinder schenkt. Ich möchte, dass sie mich anlächelt und ich möchte sie anlächeln... für immer." Bei den letzten Worten sah er in meine Richtung.
Etwas schüchtern lächelte ich ihn an, guckte dann wieder zu Abuelita, die schwerschluckend und kreidebleich hinter mich schaute.
Was bedeutete das? Ich runzelte die Stirn.
Ohne nachzudenken, blickte ich über die Schulter.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Einen Augenblick später sprang ich auf und warf mich vor Thiago, dessen Kopf drohte, von einer Kugel durchlöcherte zu werden.
Mit einem unbegreiflichen Schmerz bohrte besagte Kugel sich stattdessen durch meine Eingeweide.Unsanft landete ich auf den harten Fliesen, doch mein Körper war von dem Adrenalin wie betäubt.
"Lorena!"
"¡Mierda santa!"
Kurzatmig schnappte ich nach Luft, als zwei Köpfe über mir erschienen.
Thiago und Miguel.
"Wir brauchen sofort einen Krankenwagen", hörte ich Arabella im Hintergrund rufen.
Panik stieg in mir auf. Ich wollte mich aufsetzten, aber meine Muskeln streikten.
"Lorena, ruhig." Thiago warf sich neben mich auf die Knie und drückte gegen die feuchte Stelle an meinem Bauch.
"Nimm die Finger von ihr", zischte Miguel und presste seine Anzugjacke auf die Blutung.
Genervt ächzte Thiago, folgte der Aufforderung jedoch. Er nahm stattdessen meinen Kopf in seine Hände, legte diesen in seinen Schoß.
Meine Lider wurden immer schwerer ebenso wie das Atmen.
"Bleib bei mir", sagte er zu mir, woraufhin mein Ehemann sich einmischte.
"Du schaffst das", meinte dieser. "Wenn du es geschafft hast, fliegen wir nach Italien, ja? Gott, wir können die ganze Welt bereisen, nur lass mich bitte nicht wieder alleine."
In meiner Kehle wurde es eng und ich war unsicher, ob es wegen diesen überraschenden Worten oder dem Blut, welches ich daraufhin spuckte, war.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich meine Cousine die sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund schlug.
Mein Blick wanderte weiter zu Pablo, der seine Frau und seinen Sohn fest umklammerte. Elio kreischte aus vollem Halse.Sein Geschrei war das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich das Bewusstsein verlor und alles auf einmal verschwand.
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Lady White Dress
Romantizm"In der Liebe gehen Freude und Schmerz Hand in Hand. Manchmal ergänzen sie sich, tanzen wie ein verliebtes Paar und vereinen sich zu etwas Unzertrennlichem. Aber manchmal kann es dich auch in die Knie zwingen, auf deiner Haut brennen und dich zerstö...