Kapitel 18

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Kapitel 18

Plötzlich hob Duhan mich hoch und wirbelte mich umher. Ein Kichern kam es aus mir, als sei ich ein Kleinkind.

»Ein anonymer Spender hat es wohl gemacht. Wer macht so etwas?«, fragte er mit einem breiten Grinsen, als wir uns wieder von der Umarmung lösten. Ich zuckte mit den Schultern und spürte, dass mein Herz aus meiner Brust springen wollte. Ich wusste nicht wieso, aber es hatte mich so viel Glück gepackt, wie lange nicht mehr, obwohl ich davon ja vorher wusste. Vielleicht war sein Glück ja auch mein Glück. Ja. Vielleicht war er mir schon so wichtig geworden.

»Wer macht so etwas?«, wiederholte er, immer noch überrascht. »Ich meine, es gibt so viele Patienten auf der Erde. Gerade meine Mutter hat der Spender erwischt.«
Ich wollte etwas dazu sagen, irgendetwas, aber es kam nichts raus. Stattdessen grinste ich nur und genoss den Augenblick. Was sollte ich denn auch sagen? Dass es wegen mir passiert war, konnte und wollte ich nicht aussprechen. Wie würde das klingen? Nein. Ich traute es mir ja nicht einmal selber zu sagen. Es war, als ob die Böden, die Wände, als ob alles hier Ohren hätte und es zu meinem Onkel weitersagen würde.

»Ich fasse es immer noch nicht«, lachte er und fuhr sich fassungslos durch das Haar.
»Sie wird also gesund«, klang meine Stimme. Duhan nickte. »Und ich darf sie besuchen! Die Operation soll erst morgen früh anfangen. Ich darf sie jetzt gleich in Begleitung mit einem Betreuer sehen! Ich darf es, Nevra! Ich muss nicht fliehen. Keine Gesetze brechen. Ich darf es!«
»Grüß sie ganz doll von mir!«, erwiderte ich nur und biss mir auf die Lippe. »Ich kann dir nicht erklären, wie sehr mich das freut.«
»Ich auch nicht.«
Zusammen lachten wir noch kurz. Er ging dann mit einem Betreuer aus dem Heim. Ich folgte beiden bis zum Tor und winkte ihm noch ganz doll. Mein Herz war erfüllt und ich sehnte mich jetzt schon nach seiner Ankunft.

»Hi!«, begrüßte die klangvolle Stimme von Kiraz mich. Sie kam eine halbe Stunde, nachdem Duhan gegangen war.
»Hey«, lachte ich.
»Ist was? Du strahlst so!«
»Ich hab dich gesehen und die Sonne ist aufgegangen!«, streckte ich ihr meine Zunge heraus. Sie drückte mich sofort an sich und kicherte.

»Heute ist für uns Duschtag«, meinte sie dann. »Wir müssen schon am Mittag duschen. Die andere Gruppe duscht am Abend.«
Duschtag. Einmal pro Woche duschen und die restlichen Tage mit Lappen auskommen. Das war das Heimleben.
»Endlich duschen!«, seufzte ich und folgte Kiraz ins Gebäude.
Es hatte sich schon ein Schlange bei den Duschen gebildet. Es gab nur fünf.

Die meisten Mädchen tuschelten und lachten herum. Ich und Kiraz standen schweigend da. Das war uns beiden aber recht.

»Soll ich euch von etwas erzählen, aber ihr müsst die Klappe halten können!«, meinte eins der Mädchen. Sie hatte schwarzes Haar und honigbraune Augen. Der Rest sah gebannt zu ihr.
»Firuze, du weißt doch, dass wir den Mund halten können«, schmollte ein anderes Mädchen.
»Ja ja, ihr habt ja recht«, lachte Firuze. »Aber Lear und Cour haben mir ausdrücklich gesagt, dass ich es niemandem weitersagen soll!«
»Na spuck's schon raus!«, drängten die Mädchen.
»Selena, ihr wisst ja noch, dass sie am Montag versucht hat, vom Dach zu springen, oder?«
Die Mädchen nickten eifrig.
»Sie ist jetzt in einer Anstalt für Gestörte oder so, aber darum geht's mir eigentlich nicht! Ich hab nämlich an dem Tag auf ihrem Bett einen Abschiedsbrief gefunden! Sie war schon nicht mehr im Raum, als ich aufgestanden war und ich hab mir den Brief halt geschnappt.«
»Und dann!?«, sprachen die Mädchen geschockt im Chor.
»Ja, ich hab's gelesen!«, erklärte Firuze. »Es stand wirres Zeug drin, von wegen, es ist nicht dieses Heimleben, dass sie umbringt, sondern die Tatsache, dass sie niemanden hat. Sie wurde wohl von jedem verlassen oder so und der einzige Weg, von allem rauszukommen, bedeutete wohl, dass sie sich umbringt. Keine Ahnung, was die hat, ich war ja auch nie scheiße zu der.«
»Stand da mehr?«, raunte eins der Mädchen. Da war auch schon Firuze dran. »Ich sterbe mit stolz, auch wenn ihr mich eigentlich dazu zwingt, oder so etwas hatte sie auch geschrieben. Kein Plan.«
Schon war sie weg. Die Mädchen tuschelten weiter, machten tausend Gerüchte daraus und die Schlange wurde immer kürzer. Schließlich kam ich dann an die Reihe.

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt