Kapitel 26

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Kapitel 26

In mir herrschte ein Chaos von Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Warum war Kirazs Name dort? Warum war Ediz vorgetreten? Hatte Ediz wirklich den Namen reingeschrieben? Wenn ja, warum gab es zu?
Weiterer solcher Fragen fanden ihre Platz in meinem Kopf.

Kiraz war der Mund aufgeklappt. Sie sah mit aufgerissenen Augen zu Ediz. Die Situation war mehr als nur überfordernd. Was würde jetzt geschehen?
»Ich entschuldige mich für dieses Verhalten«, wiederholte Ediz. Die Mensa war mucksmäuschenstill.
»Woher kann ich mir da sicher sein, dass du es wirklich warst?«, erklang plötzlich die Stimme von Miss Lear, die sichtlich geschockt war. Sein gutes Bild bei ihr hatte er wohl versaut.

»Sie können den jenigen doch bitten, gleich in ihr Büro zu kommen oder einen anonymen Brief zu schreiben, mit der Erklärung, dass er es war«, schlug Ediz vor. Was machte ihn so sicher, dass die Person sich nicht melden würde? Oder war es gerade das, was ihn bewegte, nämlich dass die Person es schreiben würde und er mir wenigstens sagen könnte, dass er es versucht hatte. War das ein Trick?

Ich konnte Ediz nicht mehr einordnen. War er jetzt gut oder böse?
Mein Feind oder mein Freund?

»Dann kommen sie bitte mit mir mit«, meinte Miss Lear. Somit gingen die "Gefährdeten", die Aufseher und Ediz aus der Mensa.
»Ich raff das nicht«, hauchte Kiraz und sah mich dabei mit ihren großen Augen an. »Was sollte das jetzt?«
»Glaub mir, Kiraz, ich versteh' das genauso wenig wie du.«
»Mhm«, machte sie dann, was mir das Gefühl gab, dass sie etwas sagen wollte.
»Ist etwas?«
»Ja, also ich war ja mit ihm im Krankenzimmer. Der ist nach kurzer Zeit eingepennt und hat gemurmelt.«
»Gemurmelt?«
»Ja, irgendwas mit einer Sude.«
»Kennst du eine Sude?«
»Nope, aber wetten Firuze kennt die. Sie und ihre Clique kennen jeden Namen hier.«
»Die können wir nur schlecht fragen.«
Kiraz seufzte. »Da hast du wohl recht.«
Ich aß schnell zu Ende. »Ich muss noch zur Cour wegen der Strafe«, erklärte ich ihr. Sie nickte nur und ich verschwand aus der Mensa. Zumindest würde ich bei Duhan bleiben können, dachte ich. Die Strafe ist daneben nicht wirklich eine Strafe. Es ist, als ob ich eine Extraschicht einlege, um einen Bonus zu kriegen.
Duhans Anwesenheit.

Als ich dann das Büro der Cour betrat und ihn nicht sah, sprudelte es aus mir heraus. »Wo ist Duhan?«
»Er macht schon seine Aufgabe.«
Miss Cour legte in eine kleine Handtasche irgendwelche Sachen rein, während sie mit mir weiter redete. »Eure zweite Aufgabe besteht darin, den Flur zu säubern.«
Sie kam auf mich zu und drückte mir einen Mopp in die Hand. »Du sollst den Flur des Mädchentraktes putzen.«
Mit einem grinsen lief sie wieder zu ihrer kleinen Tasche. »Ach und ihr dürft von Glück sprechen, dass ich mich freiwillig gemeldet habe, die Liste mit den Suizid-gefährdeten zu begleiten. Ihr habt also nach dem Abendessen keine Strafen mehr. Mal sehen, wenn ich schlechte Laune habe, kann ich es euch nacharbeiten lassen.«
Ich nahm einfach den Mopp und begab mich still zum Mädchentrakt. Von wegen Bonus mit Duhan. Ich sollte mich glücklich schätzen, wenn ich ihn überhaupt irgendwann wiedersehen konnte.

Mit dem Mopp in der Hand schlenderte ich zum Mädchentrakt. Wenn die Cour doch eh weg war, wer würde meine Aufgabe kontrollieren?
Ich nahm mir vor, so wenig wie möglich zu machen. Auch ich war ein Mensch und konnte erschöpft sein. Vielleicht war das ja auch deren Taktik, mich so erschöpft und kraftlos zu machen, damit ich ja nie wieder Regeln verstoße, aber das können sie vergessen. Allein wegen ihrem Verhalten könnte ich ein dutzend Regeln verletzen. Ich dachte an das Bild meiner Eltern. Es gab einen Schmerz in meiner Brust, als würde es verkohlen. Wieso wollten sie Schmerz über Schmerz verursachen? Wieso? Mit einem festen und wutgeladenen Griff wischte ich die Flure. Drecksarbeit. Ich habe nicht einmal zu Hause je etwas getan. Wir hatten schließlich Haushälterinnen und jetzt? Wahrscheinlich würde es bis zu meinem Geburtstag keine Säuberung geben, die ich nicht gemacht hatte.
Ich stellte mir vor, wie es am Ende sein würde, wenn ich hier wäre. Das ganze Geld meiner Eltern hatte ich geerbt. Sie würden auf dem Boden windeln um alles wieder gut machen zu können.

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt