Kapitel 33

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Kapitel 33

In diesem Moment erst begriff ich, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Die Sehnsucht nach ihm war mit klar gewesen, aber ihn vor mir zu sehen, verdoppelte alles. Zuerst machte ich einen winzigen Schritt nach vorne, rannte dann jedoch direkt auf ihn zu und warf mich in seine Arme. Er umhüllte mich und erwiderte die Umarmung. »Hast du mich so sehr vermisst«, lachte er. Sein Lachen! Wie vertraut und angenehm es war. Seine Stimme, wie Musik in meinen Ohren.
Duhan legte eine Hand auf meinen kopf und strich durch mein Haar. Kurz darauf sah ich ihm wieder in seine funkelnden Augen und grinste. »Bild dir mal nichts ein.«
»Tut mir Leid, das nächste mal schlinge ich nicht wie bekloppt meine Arme um dich.«
Ich umarmte ihn einfach wieder. »Worin hat denn die Nevra recht?«
»Es gibt immer etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.«
Er strich mir weite übers Haar. Ich fühlte meine Beine nicht mehr. Seine Berührung ließ eine Gänsehaut auf meinem Körper Bilden. »Und du bist einer der Gründe, wofür ich kämpfen werde.«
Schon hatte ich meinen Sinn für Raum und Zeit verloren. Alles um mir schien verschwommen, nur er und ich nicht.

Duhan verschränkte seine Hand in meine und so gingen wir den langen Flur entlang, der plötzlich zu kurz schien. Mein Grinsen konnte mir wohl momentan niemand wegnehmen, so schien es. Die Welt erschien in prächtigen Farben und die Sonne lachte für mich.
Alles war wieder gut.

Weder Firuze, noch Miss Lear oder Cour, noch mein Onkel hätten diesen Moment zerstören können.
»Dieser Ediz wird immer gestörter«, meinte Duhan dann beim Mittagessen, als wir drei wieder zusammen saßen. »Der hat heute sin Zimmer verwüstet und wohl rumgebrüllt.«
»Warum?«, kam es plötzlich gleichzeitig von mir und Kiraz.
»Wer weiß warum«, antwortete Duhab und aß weiter. Ich betrachtete ihn genauer, während ich nachdachte. Auch, wenn er so tat, als ob es ihm gut gehen würde, war es nicht so. Er hatte noch Augenringe, wenn auch nicht mehr so tief und seine Augen sprühten voller Erschöpfung. Sein Gesicht war wie immer markant, aber dennoch mit dieser Ruhe, jedoch war es, als hätte man ihn noch kurz bevor erschlagen. Er aß nicht einmal richtig viel. Was Ediz anging. Wenn ich er wäre, wäre ich auch ausgerastet, nachdem, wie er seine Schwester gesehen hatte, war das mehr als nur verständlich. Ich wurde wieder wütend. Wie konnte man das einem Kind antun?
»Vielleicht ist Ediz nicht so schlimm, wie wir denken«, meinte ich.
»Was?«, fragte Duhan sofort, bekam aber keine Antwort. »Wir reden hier über Ediz. Der Ediz, der dich viel zu oft bedroht hat. Der Ediz-«
»Ich weiß, Duhan«, unterbrach ich ihn. Diesen Scheiß wollte ich einfach nicht mehr hören. »Aber vielleicht sehen wir alles nur aus einer Perspektive. Vielleicht ist unsere Sicht ja eingeschränkt.
»Wie kommst du überhaupt darauf?«, stellte Kiraz die Frage. Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht einfach so über Edizs Privatsphäre reden durfte. Ich hatte seine Privatsphäre ja eh schon verletzt, da brauchte ich das nicht weiter zu erzählen. »Nur so.«

Am nächsten Tag war es so weit. Kiraz war sechzehn geworden. In meinen Augen war sie immer noch klein, obwohl sechzehn für mich schon groß klang.
»Von einem zum anderen Tag wird man nicht erwachsen«, sagte ich zu ihr, als ich ihr Haar frisierte. Sie kicherte herum und freute sich. »Ich bin endlich sechzehn!«
Ich lachte mit ihr, musste aber dennoch die Frage stellen, die uns beide die Stimmung wegnehmen würde. »Wie ist es jetzt eigentlich mit Ender? Hat er aufgehört?«
»Jap«
»Ehrlich? Wieso?«
»Weil«, meine Kirsche schien nervös geworden zu sein. »Du erzählst es nicht weiter.«
»Seit wann erzähle ich irgendetwas weiter?«
»Tut mir Leid, aber das ist so peinlich und außerdem will ich nicht, dass du es falsch verstehst.«
»Tu ich bestimmt nicht.«
»Ich hab behauptet, ich hätte einen Freund.«
»Was ist daran falsch zu verstehen?«
»Ich hab behauptet, dass Ediz mein Freund ist.«
Ich starrte sie verblüfft an.
»Versteh es nicht falsch, Nevra! Ich meine, Ediz hat er ja schon gesehen und er hatte Angst vor ihm, deshalb dachte ich, er würde mich dann in Ruhe lassen und das hat ja auch geklappt!«
»Okay okay, Kirsche. Ich glaube dir schon.«

Ich und Duhan überlegten uns schon seit gestern, was wir für Kiraz machen könnten. Als letztes wollten wir ihr den letzten Brief ihrer Mutter eben, den sie als Sechzehnjährige lesen sollte, aber das war nicht gerade eine Überraschung.

Die Zeit verging viel zu rasch, Kiraz kam schon und wir hatten nur vor, in unserem Zimmer eine kleine Party für sie zu veranstalten und ihr dann Geschenke zu geben, die Mirabelle für uns von Draußen gebracht hatte. Das nötige Geld hatte Duhan ihr gegeben, denn in Gegensatz zu mir hatte er das bisschen Erbe sofort bekommen.
Duhan musste sich schon vor dem Abendessen in unserem Schrank verstecken, weil Miss Cour während des Abendessens schon vor dem Mädchentrakt wachte. Eigentlich wollten wir sie wieder reinlegen und abhauen, aber sie hielt wohl seit Wochen eine Diät.

»Wo ist Duhan?«, fragte deshalb Kiraz beim Abendessen.
»Kein Plan«, meinte ich einfach nur und wir aßen. Auch, wenn wir nicht viel hatten, tun können, freute ich mich auf die Überraschung. Es lief genauso ab, wie ich es gedacht hatte, sie kam rein, sie hielt sich schwer zurück zu kreischen und umarmte und beide wie verrückt. Kiraz freute sich wie verrückt über die Geschenke, als wir ihr dann den Brief geben wollten, klopfte es an der Tür.
Mein Herz setzte aus, denn ich dachte, es sei Miss Cour oder Lear, doch keine von beiden war es. Wir öffneten die Tür und sahen, dass Rosenblätter auf dem Flurboden lagen. Dazu war über die Blätter eine Rose mit einem Kärtchen, wo eine Kirsche aufgemalt war.

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt