Kapitel 25

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Kapitel 25

Erst einen Moment später wurde mit klar, was die Konsequenzen waren. Ich würde Duhan nie mehr ansprechen können. Ich würde nicht mit ihm meine Freizeit genießen können. Ich würde nicht mit ihm fliehen und mit ihm Pläne schmieden können. Es verpasste mir einen Stich in die Brust, denn genau in diesem Augenblick sahen wir und an.
Ich und Duhan.
Alles was mir blieb, war es also, in seine braunen Augen zu blicken. In diese Augen, die mich mitrissen und ich spürte wie eine Welle mich traf. Eine Welle von Gefühlen, die mich in eine Eisskulptur verwandelte. Ich konnte mich weder bewegen, noch etwas sagen. Alles, was ich konnte, war es diesen unheimlichen Schmerz zu spüren, der in meiner Brust wuchs und sich den Weg durch meinen gesamten Körper bahnte. Nie wieder.
Das war extrem lang.

Wenn du hier raus bist, könnt ihr euch lange genug sehen, fiel mir ein und ich versuchte mich damit aufzumuntern, doch es klappte nicht. Dieses Heim oder meiner Meinung nach eher ein Gefängnis, es würde mich mitreißen, es würde mich packen, mir die Seele vom Leib reißen und mich in einen toten Körper verwandeln, der bald verwesen würde. Ohne Hoffnung.

Mein Hals war kratzig, als ich es schaffte, endlich meinen Mund zu öffnen. Als ich nach vorne sah, war Ediz schon weg. Besser so. Ich wollte ihn nicht sehen. Kiraz hingegen saß an meiner Seite und ihre Hand ruhte auf meiner Schulter. Ich spürte die Wärme, die von ihrer Hand ausging, erst als ich sie sah. Es hatte etwas tröstliches. Ihr Blick verriet mir, dass sie bei mir bleiben würde. Aber es war etwas tief in ihren Augen versteckt. Es war Angst, denn sie war kein dummes Mädchen. Sie war schlau genug zu merken, dass etwas nicht richtig lief, auch wenn sie nicht genau wusste, was es war.
»Ich werde dich nicht verlassen«, flüsterte ich, woraufhin sie mich fest umarmte.
»Ich brauche dich«, flüsterte sie.

Mein Blick stieg hoch zu Duhans Platz, doch er war weg. Schnell sah ich wieder zu meinem Essen. Auch wenn mein Appetit total vergangen war, nahm ich einige Happen und zwang, Kiraz auch etwas zu essen. Kurz darauf bekam sie einen Krampf. Ich merkte ihr an, dass sie Bauchschmerzen quälten, aber wie ging das, von Sekunde auf Sekunde? Ich holte kurz Hilfe und brachte sie ins Krankenzimmer.
»Du kannst schon gehen«, erklärte mir die Krankenschwester, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte bei ihr bleiben.
»Ich glaube aber, es wäre besser. Bist du nicht die, die jetzt zur Cour soll?«
Mist. Das hatte ich vergessen.

Ich beeilte mich hinunter in den Hof und ich hatte richtiges Glück, dass es zuerst Zeit für die Mädchen war, denn ich musste noch dieses Foto ausgraben. Mit schnellen Schritten lief ich auf dir Stelle zu und grub es aus. Es sah noch aus, wie am ersten Tag. Die Tüte, in der sie zum Schutz war, war kaum beschädigt. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich das Bild meiner Eltern sah, aber innerlich blutete ich. »Ich schaffe es einfach nicht«, hauchte ich und merkte, dass die Tränen hochkamen. »Ich bin immer noch das kleine Kind. Ich brauche Hilfe.«
Ich schluckte und schloss dabei die Augen, damit ich die Tränen unterdrücken konnte.

Schließlich stieg ich hoch zum Caput, klopfte nicht einmal an, warf Miss Lear das Bild auf den Tisch und verließ den Raum sofort. Es war, als schmiss ich ein Teil von mir dabei.
Ich atmete noch einmal tief ein und aus, bevor ich in das Büro von Miss Cour lief. Sie saß hinter ihren Pult und davor saß Duhan. Mein Herz schlug wieder wie wild. Ich musste lächeln.
»Setz dich«, zischte Miss Cour da. Das brauchte sie nicht zwei mal zu sagen, denn ich war schon mitten im Satz auf dem Stuhl.
»So. Ich finde, ihr solltet mir etwas leichten anfangen. Wir haben schließlich den ganzen Tag Zeit.«
Ist mir lieb, dachte ich. Hauptsache, ich hatte Duhan in meiner Nähe.

»Ich möchte, dass ihr fünfzig mal die Hausordnung abschreibt, solange ich weg bin. Wenn ich da bin und es ist nicht fertig, dann könnt ihr euch auf etwas gefasst machen.«
Miss Cour reichte uns einen Stapel Blätter und Kugelschreiber. Gleich darauf verschwand sie eilend aus dem Raum und irgendwie konnte ich diese Aufgabe nicht ernst nehmen, auch wenn die Hausordnung nicht gerade kurz war.

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt