Kapitel 52

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Kapitel 52

Ich spürte nichts von der Kälte, nicht einmal die Nässe des unaufhörlich prasselnden Regen wirkte auf mich. Ich war gebannt und spürte die Wärme und Ruhe in seinen Augen. Es kamen Gefühle auf, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gab und ich merkte nicht, wie er nach meiner Hand griff, sie fest hielt und wir wir ins Haus stürmten. Sude lief vor uns, den Regenschirm fest in dee Hand haltend. War das Liebe? War Liebe so leicht, so locker, so unbeschwert?

»Nevra, scheiße, du bist ja durchnässt!«, quiekte Kiraz, die gerade den Flur betreten hatte. Es war, als hörte ich ihre Stimme bloß hinter einem Glas aus. Ich war noch immer in meiner eigenen Welt.

Ich war richtig für ihn.
Ich war richtig.
Richtig.

Nachdem wie irgendwann wieder uns auf den Weg zu unseren eigenen Häusern machten, schrieb ich dauernd mit Duhan. Er berichtete mir von der Arbeit, ich davon, dass ich das letzte Abijahr wiederholen musste. Die Schmetterlinge in meinem Bauch, das Klopfen im Herzen, die Glücksgefühle in der Brust, daraus bestand mein Alltag.

Ich wollte mein altes Haus erneuern. Bis dahin hatte Bechir mir eine kleine Wohnung in der Nähe von Kirazs Haus gemietet. Kiraz blieb oft bei mir, übernachtete auch oft genug.

»Ich muss noch einmal kurz raus«, gab ich Kiraz, die im Wohnzimmer Schulaufgaben machte, bescheid und lief aus dem Haus. Duhan hatte mir eine Nachricht mit einer Adresse geschrieben. Wir würden uns wiedersehen.

Jedes Mal auf das Neue freute ich mich wie ein kleines Kind, ihn zu sehen. Im Moment flog ich auf Wolke sieben und konnte sowieso an nichts anderes denken, als an den Tag, an dem er gesagt hatte, dass ich die Richtige für ihn war. Was bedeutete das eigentlich? Waren wir jetzt ein so etwas wie ein Paar? Ich biss mir auf die Lippe, um nicht loszulachen und lief den Weg. Es war noch dunkler geworden.

Ab jetzt ging es wohl bergauf, dachte ich. Inzwischen hatte ich eine Sackgasse erreicht und war verwirrt darüber, dass die Adresse zu einem Apartment führte.

Ich tippte seine Nummer und rief ihn an.
»Nevra?«
Wieso klang er so, als würde er nichts vom Treffen wissen?
»Duhan«, nuschelte ich und dann flog mein Handy auf den Boden, denn ich bekam einen Schlag gegen den Kopf und stürzte zu Boden. Bevor ich irgendetwas realisieren konnte, wurde mir gegen den Bauch getreten.
Mit voller Wucht und ganzer Energie.

Das war das Ende. Der Gedanke kam sofort, als ich keinen Laut bekam und nicht mehr einatmen konnte. Ich wurde hysterisch, riss meine Augen auf und versuchte krampfhaft mit meinen Händen und Füßen Halt zu finden. Ich wusste nicht, wer der Täter war. Vielleicht ein Alkoholiker, eine Straßengang, irgendwelche Jugendliche... Aber die Person musste es lieben, jemanden zu quälen, denn sie schlug erst wieder, nachdem ich mit großer Mühe hatte, einmal aufatmen und mich beinahe hoch stützen hatte können. Die Schuhe waren halb spitz und taten schrecklich weh. Der Schmerz glitt in jeder meiner Faser, bis in die Fingerspitzen und zischte innerlich. Meine Lunge brannte wie Feuer, rang nach Luft und bekam doch nichts. Ich hörte Schritte, ich versuchte zu schreien, doch alles war vergeblich. Gleich darauf waren es mehrere Leute, die auf mich einschlugen, traten, ich spürte wie Blut aus meinen Augäpfeln, aus meiner Nase und aus meinem Mund quoll. Das war wohl der Tod. Meine Augen schlossen sich und mittlerweile hatte ich aufgehört, dagegen anzukämpfen.
»Sie ist tot. Ganz sicher«, hörte ich jemanden sagen und spucken. Das letzte, was ich dann noch hörte, war eine Stimme, die mich erschrecken ließ, denn ich kannte sie. »Das war zwar nicht die Absicht, aber so ist ein Problem weniger.«
Und verdammt ja, sie gehörte meinem Onkel.

Ich kämpfte dagegen an, das Bewusstsein zu verlieren, aber lange würde ich das nicht aushalten. Es war, als würde ein schwarzer Vorhang meine Sicht einnehmen und dann war ich auch schon weg.

Als ich wieder die Augen aufbekam, lag ich im Krankenhaus. Es war grell und dieser typische Limettengeruch stieg mir die Nase hoch. Wie ich das hasste.

Ich versuchte mich aufzurichten, doch das klappte nicht wie gewollt. Kurz darauf kam eine Krankenschwester, die mich fragte, was mir schmerzte und mir irgendetwas erklärte. Ich war nur zu aufgewühlt, um zu antworten. Es war nämlich hell und ich war nicht nach Hause gegangen. Das hieß, dass Kiraz sicher die Welt auf den Kopf gestellt hatte. Sie machte sich Sorgen und das bereitete mit Sorgen. Der Schmerz, der jetzt schlimmer wurde, riss mich wieder auf das Hier und Jetzt. Die Krankenschwester gab mir eine Spritze.

Später gaben mir die Krankenschwestern Schmerztabletten und ich konnte meinen Mund bewegen. Nur, dass es immer noch etwas weh tat.
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht«, murmelte Kiraz. Ihre Augen waren voller Tränen. Ich wollte sie wegwischen, aber das war mir zu schwer. Deshalb flüsterte ich nur: »Mach dir keine Sorgen. Wein nicht.«

»Kiraz«, nuschelte ich, doch kam nicht weiter.
  »Streng dich nicht an«, versuchte sie mich zu beruhigen. »Gleich kommt Duhan. Der ganze Rest wahrscheinlich auch. Ich hatte alle angerufen, um herauszufinden, wo du bist und das heißt, dass ich alle zurückrufen und ihnen sagen musste, dass du hier bist, damit sie sich keine Sorgen machen.«

Duhan. Mein Herz schlug wieder unregelmäßig. Ich wollte nicht, dass er mich so sah. »Kiraz, sag Duhan nichts davon.«
»Was? Wieso!«
»Wenn ich dir erzähle, was mit Duhan passiert ist, musst du erzählen, was du bei Ediz gemacht hast.«

Sie zögerte, aber ihre Neugier war einfach stärker. »Okay.«
»Also er hat mit Nazan wohl Schluss gemacht und hat mir gesagt, dass ich die Richtige in seinen Augen bin«, und dann erzählte ich ihr, was passiert war. In meinen Erinnerungen klang es viel schöner. Wenn ich es so aussprach, fühlte ich mich wie ein kleines Kind, dass sich für wegen jeder Kleinigkeit Hoffnungen macht.

Kiraz kicherte und grinste herum. »Endlich konnte er erkennen, dass ijr zusammengehört! Ehrlich, Männer sind so blöd, die verstehen alles erst so spät.«
»Ist das jetzt auf alle Männer, vor allem Duhan bezogen oder auf alle Männer, vor allem Duhan und Ediz bezogen?«

Sie errötete. »A-aslo«, stotterte Kiraz, da wurde auch schon die Tür aufgerissen und Duhan stand vor mir. Männer waren echt blöd und deren Timing genauso. Hätte er nicht eine Minute warten können?

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt