Kapitel 7

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Kapitel 07

Das erste, was ich in unserem Zimmer tat, als ich dort ankam, war es, meine Hände eine halbe Stunde lang zu waschen. Das Gefühl, dass sie noch dreckig waren, blieb. Ich gab es schließlich auf und drehte den Hahn zu. Mit nassen Händen setzte ich mich auf mein Bett.

Langsam öffnete ich die Bettdecke, legte mich hin und versuchte zu schlafen. Was hätte ich denn sonst tun können?

Viel zu viele Gedanken bedrängten mich jedoch, dass ich hätte schlafen können. Vergessen. Dieses klitzekleine Wort konnte ein ganzes Leben verändern und manche kämpften dafür, um zu vergessen und manche eben um nicht zu vergessen- wie ich. All die Worte und Erinnerungen an meine Eltern, ich quetschte sie zwischen die Wände, die Regale, der Kommode, in all meine Schubladen, zwischen meine Handflächen uns sogar unter meinen Nägeln. Nur um nicht zu vergessen.

Ich wollte nicht eines Tages aufwachen und vergessen haben, wie ihre Stimmen klangen.

Die Tür öffnete sich schlagartig und ich richtete mich auf mit der Freude, dass es Kiraz war. Doch sie war es nicht. Ich hatte mich zu früh gefreut. Vor mir stand Miss Cour und sah mich mit ihrem arroganten Blick an. Ich versuchte sie gleichermaßen anzusehen, wobei ich wusste, dass ich ihren widerwärtigen Blick niemals übertreffen könnte.

»Du hast Besuch«, gab sie von sich, als wäre es eine Schande. Ich war verwirrt. Wer bitte würde mich sehen wollen? Mein Onkel? Meine Tante?

»Komm doch endlich!«, drängte sie weiter. Ich stand sofort auf und folgte ihr. »Wer ist denn da?«

»Siehst du gleich.«

Ich stand zwar hinter ihr, aber ich konnte regelrecht fühlen, dass sie absurd ihre Augen verdrehte.

Wir gingen in die Versammlungshalle und von dort in einen langen Flur. Sie öffnete die Tür des ersten Raumes und ich betrat es. Es fühlte sich an, als sei ich in einem Gefängnis. Als wäre ich hier das Ungeheuer.

Ich blickte in ein vertrautes Gesicht. Jenes vertrautes Gesicht, welches ich hatte nie wieder sehen wollen.

»Narin, was tust du hier?«, fragte ich und blickte in ihre blauen Augen. Sie trug Kontaktlinsen. Ihr Haar hatte sie mal wieder gefärbt. Es war jetzt Kaffeebraun. Ihre Haut war gebräunter. Sonnenstudiowunder. Sie hatte sich verändert, seit dem letzten Mal als wir uns gesehen hatten. Narin eben. Sie dachte, wenn sie etwas an sich selbst ändern würde, vergäße sie alles. Mich. Meine Eltern. Aber auch wenn sie alles an sich änderte, die Vergangenheit ändern, konnte sie nicht.

Ihre Anwesenheit gab mir einen Stich. Ich wusste noch, wie ich sie angeschrieen hatte, dass ich tausende von ihr aus meinem Ärmel schütteln könnte, dass ich sie nicht brauchte, was war also mein Problem? Wahrscheinlich konnte ich tausende Freunde haben, aber die Erinnerungen und Erfahrungen mit Narin, sie waren einzigartig.

»Hey«, flüstere sie leise und sah auf mich auf. Miss Cour war schon verschwunden, sodass wir alleine im Raum waren.

»Ich dachte, ärmere und reichere Verhältnisse gehören nicht zusammen?«, fragte ich sie und hob dabei wie auf Anhieb meine Braue. Sie spielte mit dem Saum ihres Oberteiles. Ihre Nervosität war so vertraut, dass es mir gefiel. Wenigstens etwas hatte sich nicht geändert.

»Ich bin immer noch derselben Meinung«, schoss es aus ihr wie aus einer Pistole. Um ehrlich zu sein, war ich enttäuscht. Auch wenn es gut war, zu wissen, auf welcher Seite sie stand, tat es schon irgendwie weh.

»Ich war deine beste Freundin!«, fuhr Narin fort. Ich hätte beinahe angefangen zu lachen. Wie einfach sie das sagte. Fühlte sie denn gar nicht wie ich?

Der SehnsuchtsfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt