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Der Griff um Jimins Hals lockerte sich etwas. Er röchelte und schnappte nach Luft, versuchte zu sprechen. Rio verzog ihr Gesicht, als würde es ihr beinahe leid tun, was sie ihnen antaten.

Schwer atmend sah Jimin in Taehyungs Gesicht, die Wut war etwas aus seiner Mimik gewichen und sie schien mit einer Art Verzweiflung ersetzt worden. Eine Verzweiflung, so wie sie Yoongi manchmal im Gesicht stehen hatte.

»Du dachtest anscheinend wirklich, dass ich alles vergessen hätte, oder?«, lachte Taehyung auf und ließ von Jimins Hals ab. Er wischte sich seine Hände an seiner Lederjacke ab, der Blick angewidert. »Ich würde einfach zurückkommen und nicht mehr wissen, dass du die gottverdammte Spieluhr in deinem Besitz hattest?« Er lachte wieder, diesmal hasserfüllter.

»Wir haben verfickte Tage dort festgesessen und mussten auf ein Wunder warten! Du kannst von Glück reden, dass Rio die Uhr wieder in die Finger bekommen hat.« Jimin rückte auf dem Bett zurück, die Sicht verschwommen und der Hals schmerzend. Er blickte zu Yoongi, welcher wie versteinert da stand. Jimin musterte ihn für einige Sekunden flehend, ließ seine Augen vor Erschöpfung zufallen.

»Du hast die Gegenwart verändert, du verdammter Dreckskerl.«, knurrte Taehyung und Jimin hörte es im Hintergrund rascheln. Rio machte sich an sein Hab und Gut ran, suchte nach dem Tagebuch. In Jimins Kopf klingelten die Alarmglocken.

»W-was? Ich verstehe nicht-«
Er unterbrach sich selber bei dem Blick, den Taehyung ihm gab. »Ach? Fragst du dich denn nicht, wie ich durch die Zeit reisen konnte? Ohne Spieluhr geht das nämlich schlecht, hm?«

Jimin sah eine Kette unter Taehyungs Kragen aufblitzen und erst jetzt bemerkte er eine leichte Wölbung, die sich ungefähr in der Mitte seiner Brust befand. Der Schlüssel!

»Ich stamme aus einer anderen Realität.«, begann er zu sprechen, seine Stimme war ruhiger und dennoch vor Wut erschüttert.

Nummer 9: Multiversen

»In dieser Realität habe ich die Spieluhr in die Finger bekommen bevor du sie finden konntest. Ich bin eingebrochen, habe die gesamte Nacht nach diesem verdammten Scheiß gesucht, bis mir dann der versteckte Dachboden wieder einfiel.«

Jimin erzitterte. Wie konnte er von dem Dachboden wissen? Keiner hatte zu Lebzeiten der Mins diesen betreten außer einige Ausnahmen und Taehyung war doch davor noch nie in dem Haus gewesen.. oder?

»Ich habe lange nach dem Fall dieses Hauses gesucht. Alle Akten durchstöbert, die Informationen in mich aufgesaugt. Der Mord der Familie, der sieben Opfer.«
Jimins Kopf war benebelt von diesen Erzählungen. Das waren niemals nur sieben Personen gewesen. Es waren neun, wenn es sich nicht irrte. Yoongi, seine Schwester, die Mutter, das Ehepaar, der Gärtner, der Koch und dann waren da noch.. Er riss seine Augen auf.

»Und dann wurde ich fündig.«
Taehyung grinste, Jimins Augen trafen seine. »Ein Bauplan des Hauses, auf denen alle Räume abgebildet waren. Genauso wie der Dachboden.« Jimin sah etwas in seinem Augenwinkel huschen und er hörte aus dem Flur stampfende Füße, die über den Teppich liefen. Taehyung bemerkte dies nicht.

»Es schien, als hätte der Hausherr dies angefertig. Min Gyeong, der Fuchs in dieser ganzen Sache.« Er begann wieder mit langsamen Schritten am Bett entlang zu gehen, Jimins panische Augen lagen auf ihm. »Er hatte dort hingeschrieben, wie man auf den Dachboden gelangen konnte. Und er erwähnte doch tatsächlich den wertvollsten Schatz, welchen man überhaupt finden konnte. Eine Zeitmaschine. Ein Artefakt, so wertvoll und unbezahlbar wie kein anderes.«

Ein raues Lachen ertönte. »Vom Teufel geschmiedet, meinte er. Kannst du das glauben? Der Teufel...
Aber auf den Randnotizen waren zu wenige Informationen über die Spieluhr aufgezeichnet. Nirgendwo stand, wie man sie benutzen konnte. Aber es war ein Schlüssel erwähnt. Ein Schlüssel, ohne den die Spieluhr nichts weiter als Deko wäre. Und diesen Schlüssel musste ich finden.«

Taehyungs Mundwinkel waren hochgezogen. Es wirkte auf Jimin verstörend, gruselig. Als hätte man seine Mundwinkel oben an seine Wangen angenäht. Wie ein Irrer. Taehyung war nicht mehr ganz bei Sinnen.

»Dachtest du, dass Rio dich nach deinem Besaufen wirklich einfach nur auf deiner Veranda liegen lässt und dann geht? Während ihr die Tür zu deinem hübschen Häusschen offen steht?«, grinste er unglaublich belustigt über Jimins Leichtsinnigkeit und fuhr sich durch seine Haare. Aber.. das konnte doch nicht stimmen. Yoongi hätte ihm Bescheid gegeben, wenn jemand im Haus wäre, hätte er das sofort bemerkt.

NUMMER 9: MULTIVERSEN

»Sie hatte immer bis zum Morgen Zeit, alles zu durchsuchen und bald schon wurde sie fündig. Gott, wie kann man nur so dumm sein und sowas wertvolles im Kleiderschrank verstecken?«

Jimin runzelte verwirrt seine Stirn. Er hatte niemals den Schlüssel in einen Schrank gelegt, er war die ganzen Monate über in einem seiner Rucksäcke gewesen. Ihn wurde etwas klar. Die Realitäten unterschieden sich in diesem Punkt voneinander. Rio und Taehyung stammten tatsächlich aus einem Multiversum.

,,Eine Kopie von dem was du kennst, mit kleinen Makeln, die einem fast nicht auffallen."

Aber was war mit den beiden aus seiner Realität passiert? Waren sie etwa so weit in die Vergangenheit gereist, dass sie ihre Originale einfach ersetzt hatten, ohne dass Jimin was davon mitbekam?

Nummer 8: Die Kopie und das Original

»Ich habe herumexperimentiert.«, fuhr Taehyung fort.
»Ohne eine Anleitung tat ich mich schwer, aber schließlich habe ich mir Grundlagen angeeignet. Wie man die Uhr benutzte, wie man in die Zeiten kam, die man besuchen wollte.«

Er reckte verächtlich seine Nase in die Luft. »Ich habe versucht, Dinge in meiner Vergangenheit zu verändern. Aber es hat nie funktioniert. Ich habe auf meine Mutter eingestochen und als ich zurückkehrte, war sie noch am Leben.« Jimin bekam es mit der Angst zu tun. Taehyung war ein Monster. Ein kranker Mensch, vor dem die nackte Panik mehr als berechtigt war.

»Ich habe gemerkt, dass ich nicht in meiner Welt durch die Zeit reise, sondern andere Realitäten besuchte. Multiversen nennt man sie. Und zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass diese Realität das Original von allem ist. Das zentrale Unisversum, die ungefälschte Zeit, aus der alle anderen Realitäten ihren Ursprung haben.«

,,Eine Kopie von deiner Welt, so wie du es gekannt hattest."

»Und dann, eines Tages, als ich mit einem Freund in die Vergangenheit gereist bin, warst plötzlich du da.« Taehyung erinnerte sich noch genau an dieses Bild, welches ihm in diesem Moment geboten wurde. Jimin, versteinert auf dem Boden sitzend, mit der Spieluhr in seinem Besitz.

»Und die Spieluhr in deinen Händen.« Seine Stimme klang wie ein raunen.
»Die Uhr in deiner Welt ist ebenfalls das Original von all den Milliarden von Realitäten. Wenn sie jemand aus dieser Welt in ihrem Besitz hat, verschwindet die Spieluhr aus allen anderen Multiversen. Und wegen dir hatte ich die Uhr nicht mehr in meinem Besitz, als ich durch die Zeit gereist bin. Ich blieb stecken. Im Sommer 1900.«

The legend of the Min family ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt