Seit gestern konnte ich an nichts anderes mehr denken als an diesen Kuss. Er hatte sich so verdammt gut angefühlt und mein Verstand schwebte seitdem irgendwo zwischen Raum und Zeit. Ich war zwar anwesend aber nicht da. Dieser Zustand war schwer zu beschreiben und genau deshalb sprach ich mit niemandem darüber.
Colin war verschwunden und hatte mich wieder allein gelassen, nachdem er mir diesen Kuss gestohlen hatte. Er hielt es nicht für nötig, auch nur ein weiteres Wort zu verlieren und ich vermutete, dass er sich genau deshalb schon mal vorher entschuldigt hatte.
Ich war nicht sauer auf ihn. Ich war viel mehr enttäuscht und verletzt. Ja, es tat weh, einfach stehen gelassen zu werden. Während meines Studiums hatte ich diverse Partys besucht und ich hatte mehr als nur einen Kerl geküsst. Doch bei keinem von ihnen hatte es sich so angefühlt wie bei Colin und genau das sorgte dafür, dass mir sein Verschwinden so sehr weh tat.Ein bisschen war ich wütend auf mich selbst, weil ich den Kuss erwidert und genossen hatte. Obwohl es von vornherein hätte klar sein müssen, dass Colin davonlaufen würde. Als er mich beschuldigt hatte, nur wert auf seinen Namen zu legen, war es genauso. Er hatte nicht versucht, meinen Standpunkt zu verstehen, sondern war wütend davongerauscht. Warum er dieses Mal weggelaufen war wusste ich nicht, aber es schien seine Masche zu sein. Sich einfach aus der Affäre ziehen und dann nicht mehr aufzutauchen.
Da ich heute Nachtschicht hatte, habe ich entschieden, am Morgen länger zu schlafen. Danach jedoch hatte ich mich in der Nähe der Küche herumgedrückt, war um das Chateau gewandert und hatte die Sonne auf meiner Haut genossen. Ich war durch das Blockhüttendorf geschlichen wie eine verbotene Katze und die ganze Zeit hatte ich gehofft, ihm über den Weg zu laufen. Doch Colin blieb verschwunden. Vermutlich hatte er sich im Haus seiner Familie verschanzt. Ich hatte keine Ahnung und es sollte mir auch egal sein, doch das war es nicht.
Das war es nicht, weil er mir nicht egal war.
Irgendwie hatte es Colin geschafft, sich ein Weg in mein Herz zu bahnen. Obwohl es noch so viel gab, das ich nicht über ihn wusste, hatte ich ihn gern. Vor allem jedoch sehnten sich meine Lippen seit gestern so fürchterlich nach seinen, dass sie von einem ständigen Prickeln befallen waren. Ich sehnte mich nach ihm, obwohl ich das nicht tun sollte.
»Bitte entschuldige, wenn ich jetzt indiskret bin, aber ich muss einfach fragen.« Stella riss mich aus den Gedanken an Colin, in denen ich gerade bis zum Hals versunken war.
Wir saßen beide im Vorraum der Küche, bedienten uns an den bereitgestellten Häppchen und tranken einen starken Kaffee dazu, um die aufkommende Müdigkeit zu vertreiben. Wir unterstützen das Serviceteam mit allen Kräften, doch bevor die Hochzeitstorte nicht angeschnitten war, würden wir unsere Posten nicht verlassen. Und ich selbst würde danach nur zu Monsieur Laurent an die Rezeption wechseln, um dort den Rest der Nacht zu verbringen.
»Was läuft da mit meinem kleinen Bruder?« Sie musterte mich aufmerksam aus ihren blaugrauen Augen und nippte dabei an ihrer Kaffeetasse. Wir trugen heute beide schwarze Hosenanzüge und ebenso schwarze Blusen mit dem Hotellogo über der Brust, was uns als Mitglieder des Veranstaltungsteams auswies.
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Château de rêves | 2022
RomanceMitten in den verschneiten kanadischen Rocky Mountains erhebt sich das ›Château de rêves‹, in welchem sich vor allem zur Weihnachtszeit die Schönen und Reichen mit ihren Festlichkeiten tummeln. Hochzeiten, Babypartys, Geburtstage und nicht zuletzt d...