»Alice.«
Eine raue Stimme bahnte sich ihren Weg durch die Wattewand in meinem Kopf und ich zog mir die Ecke bis über die Ohren. Darunter war es warm und Colins Körper fühlte sich einfach zu gut an meinem an, als das ich tatsächlich hätte in die Realität auftauchen können. Mir gefiel der Schwebezustand, in dem sich mein Bewusstsein befand. Der perfekte Zeitpunkt zwischen Traum und Realität.
Ich spürte, wie mir einen Kuss auf die Schläfe gedrückt wurde und meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. So wollte ich jeden Morgen verbringen. An Colin gekuschelt in einem warmen und eigentlich viel zu schmalen Bett.
»Dein Wecker klingelt seit drei Minuten, Süße«, setzte die Stimme hinzu und irgendetwas an diesen Worten störte mein Unterbewusstsein an diesem ruhigen Morgen.
Blinzelnd öffnete ich die Augen. Wir hatten gestern die Vorhänge nicht ganz zugezogen, doch im Raum war es stockdunkel. Es brauchte ein paar Sekunden, bis mein Verstand wach genug war und ich das vertraute Vibrieren meines Smartphones auf der Matratze spürte. Zeitgleich hörte ich auch die vertraute Tonfolge meines Weckers.
Mit einem Stöhnen rollte ich mich über den Rücken auf die andere Seite und tastete über den Stoff des Lackens nach dem kleinen Gerät, um es zum Schweigen zu bringen.
»Ich will nicht aufstehen«, murmelte ich leise und vergrub das Gesicht im Kissen.Colin schob seinen Körper von hinten an meinen und umfasste mich mit seinem Arm. Er drückte meinen Rücken gegen seine Brust und fuhr sanft mit seinen Fingern über meinen Bauch. Um keinen Verdacht bei meinen Mitbewohnerinnen zu sähen, hatte ich mich gestern zusammen mit ihnen in unsere Betten gelegt. Kaum war jedoch die Letzte von ihnen eingeschlafen, hatte ich die unter meinem Bett deponierte Tasche geschnappt und mir im Flur dicke Kleidung angezogen. Dann war ich durch den Schnee zum Hotel gewatet und war durch das Treppenhaus in die Personalräume geschlichen.
»Dann tu es nicht. Wir können den ganzen Tag im Bett bleiben«, schlug Colin grummelnd vor. »Ich könnte Stella Bescheid geben, dass es dir nicht gut geht. Du wärst einen Tag krank, niemand stellt Fragen.«
Wenn es doch nur so einfach wäre. Doch ich konnte mir nicht einfach meiner Aufgaben entziehen. Ich hatte mir nicht in den letzten Monaten den Hintern aufgerissen und mich zu einer verlässlichen Mitarbeiterin gemacht, um jetzt faul im Bett liegen zu bleiben. Außerdem war ich heute endlich wieder in der Küche eingesetzt. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass dort etwas zu essen abfallen würde und vielleicht probierten der Küchenchef und Henry auch ein paar der Menüpunkte für den Weihnachtsball am Samstag aus. Das wollte ich mir absolut nicht entgehen lassen.
»Das geht nicht. Außerdem haben wir unsere Schwimmeinheit am Morgen schon wieder ausfallen lassen. Wenn ich noch fauler werde, dann fühle ich mich am Ende des Tages schlecht«, lehnte ich dankend ab und dachte ein wenig wehmütig an das Gefühl von Wasser um meinen Körper herum. Das Rauschen in meinen Ohren, wenn ich mich vom Rand abstieß, und das Brennen meiner Lungen, wenn ich so lange wie möglich die Luft anhielt. Ich hatte in meiner Tasche zwar meinen Bikini und ein Handtuch dabei, aber nachdem wir bis spät in die Nacht wachgeblieben waren, um zu reden, eine Folge Dynasty zu schauen und heiße Küsse auszutauschen, hatten wir uns für eine Stunde mehr Schlaf am Morgen entschieden.
Ich fuhr mit der Hand über seinen schlanken Unterarm. Er war so sehnig wie der Rest seines Körpers und ich spürte, wie die Muskeln unter der Haut zuckten. »Und wenn ich mich recht erinnere, dann bist du heute wieder an der Rezeption eingesetzt. Wir sind also beide den Tag über beschäftigt.«
Widerwillig knurrte Colin. »Und wenn ich lieber mehr davon hätte?«
Er küsste mich auf den Hals. Wieder und wieder. Langsam bahnte er sich einen Weg an meinem Ohrläppchen vorbei und meinen Kiefer entlang, bis seine Lippen schließlich die meinen fanden. Seine Küsse lenkten mich so perfekt ab, dass ich nicht bemerkte wie er seinen Körper vollständig über meinen schob und mich mit seinem Gewicht in die etwas durchgelegene Matratze drückte.
Ja, davon hätte ich auch gern mehr. Aber das, was wir hier taten, war sowieso schon verboten. Wir mussten vorsichtig sein und durften uns nicht erwischen lassen. Also fiel ›die Schichten schwänzen‹ definitiv aus.
Es fiel mir schwer, mich von Colin zu lösen und die wild flatternden Schmetterlinge in meinem Körper protestierten mit einem unwilligen Ziehen. Durch die Dunkelheit blinzelte ich ihm in die grünen Augen und fuhr mit der Hand durch seine weichen Haare, ehe meine Hand auf seiner Wange zur Ruhe kam. »Wir müssen vorsichtig sein, Colin. Das hier darf niemand mitbekommen. Es reicht schon, dass Stella irgendetwas zu wissen scheint. Und dein Bruder, er sollte wirklich nicht so herumposaunen, was wir tun oder auch nicht tun.«
Ich wollte nicht aussprechen, was Nathan gestern gesagt hatte. Doch ich musste meine Bedenken Colin gegenüber ansprechen. Ich wusste nicht, was das hier war oder wohin es führen würde. Doch sicher war eines: Wenn seine Eltern von unserem Regelverstoß Wind bekamen, was nur einer von uns der Böse. Und das war nicht er als Sohn der Mayfares.
»Mach dir keine Sorgen wegen Nate. Er hat eine große Klappe und weiß nicht, wann er einfach mal den Mund halten sollte. Aus seinem Mund kommt den ganzen Tag so viel Schwachsinn, da wird seinen Aussagen sowieso keiner groß Glauben schenken.« Sanft fuhr Colin mit den Fingerspitzen über die Haut seitlich an meinen Rippen. »Und Stella, sie ist cool. Sie wirkt zwar immer wie die nächste Chefin, aber sie ist selbst nur zwei Jahre älter als wir.«
Ich wusste, dass seine Schwester erst 24 war, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich keine Probleme bekommen wollte.
»Stella wird nichts sagen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer«, versicherte Colin mir und ließ sich wieder neben mich fallen.
Ich drehte den Kopf, um ihn ansehen zu können. Er schien zu seinen Geschwistern eine sehr gute Beziehung zu haben, das kannte ich so überhaupt nicht aus meinen eigenen Erfahrungen und denen meiner Freundinnen. Aber es war schön zu sehen, dass es auch anders sein konnte.
»Wieso hast du Stella eigentlich nicht angerufen?«, fragte ich und genoss, wie seine Finger über die Konturen meines Gesichts strichen. »In dieser Nacht als du hier angekommen bist. Wieso bist du zu mir an die Rezeption gekommen?«
Das war eine Frage, auf die ich bis heute keine Antwort gefunden hatte. Ich wusste, dass Colin ein brandneues iPhone besaß. Er war also ebenso gut vernetzt wie ich.
Colin lachte leise und ich konnte seine Brust an meinem linken Oberarm vibrieren spüren. »Mein Handyakku war schon zwei Stunden vor meiner Ankunft hier leer. Ich hätte Stella mit Rauchzeichen auf mich aufmerksam machen müssen. Und ein Feuer auf dem Hotelparkplatz ist nicht wirklich etwas, das meine Eltern besonders schätzen. An dieser Stelle spreche ich übrigens aus Erfahrung.«
Ich wollte vermutlich gar nicht wissen, was genau er damit meinte und welche Geschichte sich hinter dieser Aussage verbarg. Was das anging, war ich ein kleiner Schisser.
»Mach dir keine Sorgen um meine Geschwister, Süße.« Colin drückte mir einen Kuss auf die Nasenspitze und lehnte seine Stirn an meine. »Ich habe die beiden absolut unter Kontrolle.«
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Château de rêves | 2022
RomanceMitten in den verschneiten kanadischen Rocky Mountains erhebt sich das ›Château de rêves‹, in welchem sich vor allem zur Weihnachtszeit die Schönen und Reichen mit ihren Festlichkeiten tummeln. Hochzeiten, Babypartys, Geburtstage und nicht zuletzt d...