Die Muskeln in meinen Beinen protestierten, als ich in meinen Pumps die Treppe bis ins Dachgeschoss nach oben stieg. Am Morgen hatte ich zwei Stunden Bahnen in der Schwimmhalle gezogen und mich gefragt, ob Colin überhaupt vorhatte nochmal aufzutauchen. Ich gestern hatte ich noch die Hoffnung, ihn wenigstens dort anzutreffen, wo er sich doch an den anderen Tagen seit unserem Kuss so ausgezeichnet vor mir versteckt hatte. Fehlanzeige. Ich hatte das Schwimmbad für mich allein und war schließlich nach einem Frühstück in der Küche zurück zur Hütte gewandert und hatte mir dort mit den anderen Mädchen die Zeit vertrieben, bis wir am Nachmittag auf dem Lake Louise Schlittschuh gefahren waren.
Auch während meiner halben Nachtschicht an der Rezeption habe ich Colin nicht in der Lobby ausfindig machen können. Dafür hatte sich Jack Mitchell blicken lassen. Weil der Concierge bereits in seinem Feierabend war und gerade weit und breit kein Gast an der Rezeption zu sehen war, hatte er die Gunst der Stunde genutzt und mich mit seinen Wünschen vollgetextet. Seine sexualisierenden Kommentare dabei hatte ich, so gut es ging, ignoriert, doch mehr als einmal musste ich mich dazu fest auf die Zunge beißen. Der Diplomatensohn war wirklich ein unangenehmer Zeitgenosse. Da waren mir die wilden Jungs des Footballstars deutlich lieber.
Die restliche Schicht war überaus ruhig und da ich allein an der Rezeption war, hatte ich genügend Zeit über Colin nachzugrübeln. Noch immer hatte sich in mir keine Wut auf ihn eingestellt, doch meine Trauer war in müde Resignation umgeschwungen. Ich wusste einfach nicht, warum er immer davon lief. Aber wenn ich ihm das nächste Mal über den Weg lief, würde ich ihn in jedem Fall darauf ansprechen.
Denn egal wie resigniert ich auch war, ich würde mich von ihm nicht wie ein Stück Dreck behandeln lassen. Dann sollte er sich doch jemanden anderen zum Küssen suchen.
Mein Magen rumorte bei diesem Gedanken und ich spüre, wie mir mein Abendessen durch die Speiseröhre nach oben kommen wollte. Schwer schluckte ich und hielt auf dem letzten Treppenabsatz vor dem Dachgeschoss für einen Moment inne.
Wenn ich ehrlich war, dann wollte ich das allerdings auch nicht. Er sollte sich niemand anderen zum Küssen suchen. Allein der Gedanke daran genügte bereits, um mir schlecht werden zu lassen. Ich konnte ihn nicht zwingen mit mir zu reden. Ich konnte ihn auch nicht zwingen, bei mir zu bleiben, nachdem er mich küsste. Aber ich konnte ihn bitten, sich Gedanken über dieses Verhalten zu machen. Und sich zu überlegen, wie ich mich damit fühlte. Vielleicht sollte beim nächsten Mal auch ich ihn küssen und dann einfach stehen lassen. Es wäre spannend herauszufinden, wie er darauf reagieren würde.
Beim Gedanken an einen weiteren Kuss mit Colin begannen meine Lippen wieder zu kribbeln und ich konnte den Stoff seines Shirts wieder unter meiner Hand spüren.Nein, das war eine ganz schlechte Idee. Stella hatte mich zwar gebeten, weiterzumachen. Das zu tun, was ich bisher getan hatte. Doch sie wusste ja nicht was alles passiert war. Ich konnte eine Freundschaft mit Colin führen, auch wenn mein Herz möglicherweise mehr wollte. Aber ich konnte nicht mehr daraus werden lassen. Das war gegen die Regeln und ich wollte nicht herausgeworfen werden, weil ich mich auf eine Sache mit dem Sohn der Eigentümer eingelassen hatte.
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Château de rêves | 2022
RomanceMitten in den verschneiten kanadischen Rocky Mountains erhebt sich das ›Château de rêves‹, in welchem sich vor allem zur Weihnachtszeit die Schönen und Reichen mit ihren Festlichkeiten tummeln. Hochzeiten, Babypartys, Geburtstage und nicht zuletzt d...