Kapitel 24

277 16 12
                                    

Kapitel 24

Malia

Nach der nicht-erfolgreichen Therapiestunde, und unserer Auseinandersetzung, hat Justin die Flucht ergriffen. Natürlich - er läuft nie weg. Wann sieht er endlich ein, was hier vor sich geht? Wann endlich wacht er auf und versteht, dass es so nicht weitergehen kann?

Ich stehe gerade in der Küche und bereite mir mein Kaffee zu, denn meine Nerven haben es wirklich nötig. Ich brauche es. Ich brauche diese Energie, um irgendwie noch durch den Tag zu kommen. Ich merke wie mir die Tränen hochkommen und im nächsten Moment über meine Wange laufen. Lautlose weine ich. Ich kann es nicht mehr zurückhalten. Die aktuelle Situation zwischen mir und Justin macht mich traurig. Ich liebe ihn und ihn so zu sehen, es zerbricht mir das Herz.

„Nicht erschrecken, ich bins.", sagt Collin plötzlich hinter mir und trotzdem packe ich mir vor Schreck an die Brust und atme die Luft wieder erleichtert aus, als ich bemerke, dass er dort steht. Schnell drehe ich ihm meinen Rücken zu, um mir meine Tränen wegzustreichen. „Okay, hat nichts gebracht.", sagt er grinsend. Ich lächle beschämt und schaue in mein Kaffee, glücklich darüber, dass er anscheinend nicht bemerkt hat, dass ich geweint habe.
„Alles gut.", murmle ich, während ich die Milch und den Zucker im Kaffee mit meinem kleinen Löffel umrühre.
„Ich wollte mir nur einmal eine Wasserflasche holen. Der Garten ist eine reine Arbeit, obwohl ich schon drei Mal die Woche hier bin.", sagt er, während er den Kühlschrank öffnet.
„Ja, ist gefühlt ein ganzer Park.", sage ich grinsend.
„Ja, und der Vorgarten genauso." Collin dreht sich mit einer Wasserflasche in der Hand zu mir um und grinst mich an, während er den Kühlschrank zudrückt. Ich presse lächelnd meine Lippen aufeinander, nicke mit dem Kopf und greife schließlich nach meinem Kaffee.
„Aber nicht so anstrengend wie das Studium.", sagt er, obwohl ich ihm schon vorher nicht geantwortet hatte - mit Absicht. Trotzdem sucht er, warum auch immer, die Konversation mit mir. Obwohl er weiß, dass eventuell Justin hier reinspazieren könnte.
„Dann schmeiß das Studium doch hin und fang hier Vollzeit an.", sage ich und muss nun gegen mein Tassenrand schmunzeln. Er grinst mich an.
„Würde ich gerne. Nur trotzdessen, dass dieses Studium so anstrengend ist, ist es meine Leidenschaft.", sagt er stolz, öffnet seine Wasserflasche und während er aus ihr trinkt, schaut er dabei zu mir runter. Er schaut mir so intensiv in die Augen, als würde er etwas in ihnen suchen. Ich schaue ihn nicht weiter an, trinke mein Kaffee leer und stelle meine Tasse zur Seite.
„Dann viel Erfolg im Garten, Collin. Ich muss jetzt los.", sage ich flüchtig und will die Küche verlassen, doch Collin hält mich auf.
„Malia.", sagt er rau. Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um. „Weiß er, dass du weinst?", fragt er mich plötzlich. Ich muss schlucken. Er hat doch bemerkt, wie ich geweint habe.
„Nein, soll er auch nicht.", sage ich bloß.
„Ein Mann sollte wissen, wenn eine Frau wegen ihm Tränen verliert. Er sollte wissen, dass er sie dir wegstreichen müsste. Er sollte wissen, wie ein Mann sich zu verhalten hat. Er sollte dich gar nicht erst zum Weinen bringen. " Seine Worte stechen mir in mein Herz. Ich presse meine Lippen kurz aufeinander und verlasse dann wortlos die Küche.

Auf dem Weg zum Büro nehme ich mein Handy in die Hand und will Justin anrufen. Ich starre sein Namen an und mein Daumen ist nur einige Millimeter von dem Anruf entfernt. Doch ich ziehe mein Daumen zurück, sperre mein Handy und beschließe ihn nicht anzurufen. Er würde sowieso nicht drangehen und ich sollte außerdem aufhören so verdammt anhänglich zu sein und am Ende das Gefühl zu haben, dass ich diesen Streit angefangen habe, obwohl ich nur möchte, dass alles wieder in Ordnung ist. Ich möchte, dass es Justin gut geht, denn ich merke, dass es ihm alles andere als gut geht, oder vielleicht muss ich ihn so akzeptieren. Aber jemand der ständig und grundlos auf andere losgeht? Das zu sehen zerreißt mir immer wieder mein Herz. Ich kann nicht einfach hinsehen und es ignorieren. Am Ende landet er wieder im Knast.
Ich möchte ihn nicht verlieren.
Justin ist meine Familie.
Ich habe niemanden mehr außer ihn.
Ich halte so sehr an ihm fest, weil ich Angst habe, dass ich alleine Ende.
Ich habe Angst, dass wenn ich alleine Ende, dass ich innerlich zerbreche. Ich bin nie der Mensch gewesen der gerne alleine ist. Seit meiner Kindheit habe ich immer jemanden um mich herum gehabt. Dieser Jemand ist aktuell Justin.
Justin ist alles für mich.
Alles was mir noch bleibt in meiner zerbrochenen Welt.
Justin ist meine Welt,
meine Familie,
meine Sehnsucht,
meine große Liebe.

Ich verbringe meinen kalten Nachmittag noch am Friedhof beim Grab meiner Eltern. Wie sehr ich sie vermisse ist kaum in Worte zu beschreiben. Ich würde gerade alles dafür tun sie zu sehen und in die Arme schließen zu können.

Am Abend kehre ich wieder nach Hause, in der Hoffnung, dass Justin wieder da ist. Ich laufe an Trevis vorbei ins Haus, der heute die Nachtschicht übernimmt. Während ich meine Jacke aufhänge, schaue ich mich herum, ob ich Justin sehe. Dann schaue ich zu Trevis. „Ist Justin da?", frage ich ihn. Er nickt mit dem Kopf nach oben. Ich folge seinem Nicken und schaue hoch zum Geländer, an dem Justin sich abstützt und bereits zu mir runterschaut. Dann gehe ich sofort auf die Treppen zu, jogge sie hoch und folge Justin dann ins Schlafzimmer, als er vor mir die Hände in die Hosentaschen schiebt und wortlos das Schlafzimmer betritt.

Ich schließe die Türe hinter mir und schaue erwartungsvoll zu ihm. Er dreht sich zu mir um, kaut auf seiner Innenlippe herum und schaut mir noch nicht in die Augen. Es sieht so aus, als würde er gerade in seinem Kopf die richtigen Worte zusammensuchen.

„Ich werde eine Therapie nehmen ... alleine.", sagt er. Ich nicke sofort mit dem Kopf. Erst bin ich froh, das zu hören, doch natürlich bricht er mir mit den nächsten Worten das Herz. „Ich bin durch meine dunkelste Zeit immer alleine gegangen, also sei mir nicht böse, wenn ich sage, dass ich niemanden brauche." Ich schlucke. Er sagt es sanft, trotzdem tun diese Worte weh. Er braucht mich also nicht? „Nicht in der Situation. Ich möchte nicht, dass du siehst, was ich durchmache. Es ist mein Kampf, den ich mit mir selber führe und führen muss." Er schaut mir nun in die Augen. Wir bewegen uns beide keine Stück. Es sind bloß seine Lippen, die Worte von sich geben, die ich nicht hören will. Es sind Worte, die mich verletzen. Worte, die sagen, dass er alleine kämpfen will, obwohl ich mich freiwillig zur Verfügung stelle, diesem Kampf beizustehen. Trotzdem  in ich froh, dass er eine Therapie machen will. Ich hoffe, dass er es durchzieht.
„Ich will dir einfach nur helfen.", flüstere ich.
„Ich weiß .. aber manchmal machst du es schlimmer." Ich runzle die Stirn und bin kurz davor etwas zu sagen, doch ich halte meine Worte zurück. „Du verstehst nicht wie anstrengend es ist zu erklären, was in meinem Kopf vorgeht, wenn ich es selber nicht verstehe." Er hat Recht. Das ist das Schwierigste was es gibt. Eine Erklärung auf den Tisch knallen, wenn du keine richtige Erklärung parat hast, weil du selber nicht verstehst, was du erklären sollst.
„Ich verstehe dich."
„Nein, tust du nicht." Justin wird ein wenig lauter, doch eine angenehme Lautstärke. Er tritt mir näher. „Keiner versteht es. Meine Eltern haben mich auch nie verstanden. Ich verstehe mich nicht und du verstehst mich auch nicht, Malia." Ich muss schlucken. Mein Herz bebt. „Ich hab jeden Tag einen Kampf mit mir selber und wünschte ich könnte mir selber die Fresse polieren und nicht den anderen. Ich wünsche es mir so sehr. Doch ich kämpfe innerlich immer mit mir. Ich bin traurig und wütend zugleich. Das Einzige was die Menschen denken ist, dass ich ein böser Mensch wäre."
„Du weißt ganz genau, dass ich die Letzte bin, die so über dich denkt." Er kommt mir näher und umfasst mein Gesicht.
„Ich weiß ..", flüstert er. „Deswegen will ich diese Therapie, weil ich einen Menschen an meiner Seite habe, der an mich glaubt.", haucht er und ich spüre seinen warmen Atem in meinem Gesicht. „Du bist der einzige Mensch, Liebes, für den es sich lohnt diese beschissene Therapie durchzuziehen." Ich nicke mit dem Kopf und schließe meine Augen, weil ich merke, wie mir die Tränen hochkommen. „Es gibt nur einen verdammten Haken bei der ganzen Sache..." Ich öffne meine Augen wieder und schaue ihm in die Augen.
„Welcher?", flüstere ich so leise, dass ich mir fast unsicher bin, ob er es gehört hat.
„Ich muss dich für ein Jahr verlassen."

Crave usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt