KAPITEL I | Neuzeit

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Taro hatte sich immer eine wichtigere Rolle bei den Aufständlern gewünscht, aber so hatte er es nicht gewollt.

Nach Skallis Tod war einiges anders. Die Leute waren bedrückt.

Skalli war schon lange auch unter den Bewohnern bekannt gewesen. Er hatte die Todesstrafe des Königs überlebt, hatte dreimal versucht den König zu stürzen und war schlussendlich erfolgreich gewesen. An der Oberwelt hatte er mehr als vier Jahre überlebt.

Dass gerade die Oberwelt ihn nun bezwungen hatte, war schockierend für die Bewohner, aber die Aufständler litten noch viel mehr.

Skalli, ihr General, hatte sie alle von ihrem ersten Tag an begleitet – hatte ihnen die Oberwelt in einem neuen Licht gezeigt. Er war immer für sie da gewesen und hatte immer an ihrer Seite gekämpft. Sie hatten ihm alle mit ihrem Leben vertraut.

Taro hatte Jorik noch nie so traurig erlebt, wie nach dem Tod des Generals. Der Heiler war am Boden zerstört gewesen und hatte sich vorgeworfen, dass er besser auf Skalli hätte aufpassen müssen.

Natürlich war ihnen allen bewusst, dass Jorik keine Schuld trug, aber was nützte dieses Wissen schon? Jorik wollte trauern und das war sein gutes Recht. Er zog sich einige Tage zurück und kam danach mit tiefen Augenringen zurück, um sich wieder um verletzte Bewohner zu kümmern, so wie er es immer getan hatte. Der Mann sah mit einem Schlag so viel älter aus, nicht mehr so unbekümmert, aber er fuhr mit seiner Arbeit fort.

Niek trauerte auch, da war sich Taro sicher. Er hätte gerne ausführlicher mit ihm darüber geredet, aber der ehemalige Techniker hatte ihnen kaum die Zeit dazu gegeben, denn zwei Tage nach Skallis Tod war er wortlos aus Ekliptik verschwunden.
Die Hälfte des Lagers war daraufhin in den Wald ausgeschwärmt und hatte nach ihm gesucht. Dort draußen war es noch immer gefährlich für eine Einzelperson, noch immer besiedelten Wirte von Parasiten den Wald und Gahiji warf ebenfalls noch ein Auge auf sie.

Als niemand Niek finden konnte – auch nicht nach mehreren Tagen –, fing Taro an, größere Kreise zu ziehen. Er hatte beschlossen X aufzusuchen und sie um Rat zu fragen. Sie wusste viel und hatte Niek womöglich vorbeiziehen sehen. Taro hatte auf ihrer Rettungsmission der Galot-Familie einen ersten Eindruck von der Buchhalterin bekommen können und sie war ihm sehr vernünftig erschienen.

Doch als Taro an diesem Tag an der Höhle ankam, erwartete ihn nicht die alte Dame und auch nicht Yves. Niemand anderes als Niek saß dort auf dem Gestein der Mondscheinhöhle – den Namen hatten sie X's Höhle gegeben. Er schien passend und erinnerte ein wenig an ihr altes zu Hause und den Mondscheinsee.

„Niek!", hatte Taro begeistert gerufen. „Bei allen guten Drachen, das ganze Lager sucht nach dir."

Der Weißhaarige hatte ihn müde angeblinzelt und kaum reagiert.

Taro hatte geglaubt, dass er nur Zeit für sich benötigte und er sich deshalb in X's Höhle zurückgezogen hatte. Ganz so unrecht hatte er mit seiner Annahme auch nicht, doch hätte er nicht mit dem gerechnet, was noch folgen würde.

„Sie ist heute Nacht verstorben", hatte Niek bitterlich kommentiert und dabei auf die Glasgesteinkrone herabgeblickt, die er in seinen Händen hielt. Es war die Krone gewesen, die X sonst immer getragen hatte. In seinen Händen schien sie gar nicht mehr so hell zu erstrahlen, wie sie es auf dem hoch erhobenen Haupt der alten Frau getan hatte.

Taro hatte augenblickglich verstanden, dass Niek nicht von Skalli sprach, sondern von X.

„Woran?", hatte er schwach gefragt. Er war eigentlich nicht gekommen, um mit Niek über X's Tod zu sprechen, jedoch würde er in diesem Moment über alles mit Niek reden, solange dieser nur wollte. Egal worüber, in diesem Augenblick war nur wichtig, dass er Niek gefunden hatte.

Dragontale - Neuzeit IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt