xxii. a shadow from the past

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"We are unusual and tragic and alive."

Bereits aus der Entfernung können wir das schallende Geräusch von abgefeuerten Schüssen wahrnehmen. Adrenalin macht sich in meinem Körper bemerkbar, als mein Herz sich beginnt zu überschlagen und gegen die eng anliegende, kugelsichere Weste drückt. Auch wenn wir uns mit Abstand zur ersten Einheit bewegen, so bleibt es nicht aus, dass wir anhand der Rauchwolken erkennen können wie weit sie von uns entfernt sind. Ab und an mischen sich die rot schimmernden Lichter aufsteigender Handgranaten in den trüben Rauch, der sich seinen Weg durch die noch stehenden Hochhäuser bahnt, bis er endlich im freien Himmel über dem Kapitol verschwindet; bis das grau sich im hellblau vermischt.

Als wir den ersten Block zwischen uns und dem Außenlager der Rebellen gebracht haben, ändert sich das Bild auf den Straßen. Die einst pompösen, schimmernden Kopfsteinpflaster, die zum Zentrum des Kapitols führen, bestehen nur noch aus Schmutz und Trümmern. Bei jedem meiner Schritte knirscht der Boden unter den schweren Stiefeln. Nichts ist mehr übrig von den eckigen Mamorblöcke, die als Sitzmöglichkeit am Rande der Straße stehen, auf denen ich selbst saß, während mir die Sonne ins Gesicht schien und ich mir wünschte zuhause zu sein. Kein Wasser fließt mehr über die eiserne, sternförmige Skulptur, die in der Mitte des Platzes steht. Die Vogelschalen, die akkurat um sie herum platziert sind, sind abgebrochen. Das Glas in den metallisch, goldenen Straßenleuchten, deren Birnen immer in allen denkbaren Farben geleuchtet haben, sind in tausende Einzelteile zersprungen und liegen zwischen den grauen Trümmersteinen und einem abgebrannten Fahrzeug der Rebellen.

Es sieht surreal aus, denke ich. Selbst nach der Zerstörung wirkt das Kapitol hier nicht, als habe es all seine Extravaganz verloren. Das Licht fängt sich weiterhin in dem Metall der Lampen, es ist anders, aber doch weiterhin noch das Selbe. Das Herz des Kapitols schlägt noch und es wird erst mit dem Tod von Präsidentin Snow verstummen.

"Es ist ironisch, nicht wahr?" Katniss bleibt stehen, während sie mit zusammen gekniffenen Augen hoch zu der letzten Etage des Hauses neben uns blickt. Der schwarze Rauch der ersten Einheit spiegelt sich darin. "Er hat unsere Distrikte zerstört. Aber es ist wie du sagtest. Wir werden alle gemeinsam untergehen. Auch das Kapitol. Hier sieht es nicht anders aus, als in unserer Heimat."

"Wenn wir brennen, brennt er mit uns", flüstere ich, da es mir vorkommt, als würde ein zu lautes Wort eine Kapsel auslösen können. Die Luft zwischen dem Team ins angespannt. Man könnte sie fast schneiden. Wir versuchen stets aufmerksam alle Richtungen um uns herum abzusichern, während an unserer Spitze Boggs mit ausgestrecktem Arm die Umgebung nach Gefahren scannt. Doch das regelmäßige Piepsen des Holos verrät, dass zumindest jetzt kein Grund zu Sorge ist.

Wir sind fast auf der Höhe, der schimmernden, verbogenen Skulptur, als das Geräusch des Holos schneller wird. Es piepst bedrohlich, während auf dem Bildschirm ein Punkt links von uns rot umrandet auf eine Kapsel hinweist. "Wir haben eine Kapsel", bestätigt Boggs das Gerät und deutet zwischen zwei Häuserblocks. "Wir sollten in Deckung gehen."

Eilig suchen wir hinter dem gigantischen Stern Schutz, in der Hoffnung, dass er uns genug Deckung bietet. Wer weiß, was sich in dieser ersten Kapsel versteckt? Ich wende meinen Blick aufgeregt von Katniss ab, die von Boggs den Befehl erhält, zwischen die beiden Gebäude zu schießen. Der Weg zu unserer Rechten ist frei und würde genug Raum bieten, falls Mutationen auf uns losgelassen werden. Direkt hinter uns ist eine Treppe erkennbar, die nach unten in eine verglaste Wohnung in einem noch halbwegs stehenden Gebäude führt. Hier könnten wir im Notfall Schutz suchen. Ein unbehagliches Gefühl macht sich in mir breit, dass sich mit der steigenden Aufregung vermischt. Und ohne es kontrollieren zu können, fühle ich mich so hilflos wie in meinen ersten Spielen. Es ist ein bekannt Empfinden, auch wenn es das nicht sein sollte. Zu viele Situationen schaffen es, mich zurück zu versetzen. Es wird mich für immer begleiten.

Die grünlich leuchtenden Augen von Finnick sind es, die meine Wahrnehmung wieder klar machen. Sein seitlicher Blick liegt auf mir und als ich ihn endlich erwidere, faltet er seine Hand in meine. "Ich bin bei dir, June. Bist du auch wieder bei mir?" Ich nicke und lege bestätigend meine linke Hand auf seine.

"Für immer", grinse ich, als die Umgebung der 69. Hungerspiele vor meinen Augen verschwimmt und ich verliebt in den tiefen Ozean seiner Augen schaue. Wir müssen nicht alleine damit klar kommen, denke ich. Der Schatten der Vergangenheit wird uns nie mehr los lassen. Er wird auftauchen aus jeder kleinsten Ecke und darauf warten, dass wir zurück starren. Dass wir uns dem Schicksal ergeben und den Verstand verlieren. Doch zusammen sind wir stärker. Zusammen blicken wir nach vorne und verbannen die Dunkelheit so gut es nur möglich ist.

"Pollux, Castor!", Wir beobachten wie Cressida die Beiden links und rechts von Katniss positioniert und mit ihren Händen deutet sie die Kameraausrichtung an, die sie für die Aufnahme am besten findet. Katniss hat derweil mittig auf den schmalen, dunklen Stufen eine hockende Stellung eingenommen und nach einem schwarzen Pfeil aus ihrem Köcher gegriffen. Vor uns eröffnet sich der Blick auf sechs weitere Blocks, deren Fassade vom Rauch schwarz gezeichnet wurden. Die Häuser, die uns am nächsten sind, haben die dunkelste Verfärbung. Kein silber ist mehr zu erkennen, nur noch schwarz.

Als Katniss den Pfeil los lässt und er auf seinen Weg vorbei an der ersten Reihe vorbei zieht, wird mir bewusst, weshalb die Gebäude derart aussehen. Plötzlich schießt Feuer aus zwei Flammenwerfern, die wir bisher nicht bemerkt haben. Sie breiten sich auf den ganzen Weg unter ihnen aus. Hier hätte niemand eine Chance gehabt rechtzeitig zu reagieren, geschweige denn es unversehrt aus den Flammen herauszuschaffen. Es vergehen ein paar Minuten, als das knisternde Geräusch von einem lauten Knall unterbrochen wird. Das Fahrzeug unter dem rechten Flammenwerfer hat Feuer gefangen. Durch die Hitze sind die Fenster zersprungen. Die nachtfarbenen Wolken bilden eine feste Wand, die langsam beginnt nach oben zu ziehen, während der beißende Geruch der Rauchgase in meine Nase steigt.

"Entwarnung", gibt Boggs uns Bescheid. Der blickende, rote Kreis auf seinem Holo ist verschwunden und das regelmäßige Piepsen hat wieder eingesetzt. "Wir sollten eine kleine Pause machen." Er setzt sich wieder in Bewegung, genau auf die Wohnung zu, die ich bereits vorhin bemerkt habe. Wir laufen zwischen die bläuliche Einrichtung, die trotz der Zerstörung noch gut erkennbar ist. Ein heruntergefahrenes Gitter zu unserer linken, lässt die Verzweiflung nur erahnen, die der Bewohner verspürt haben muss, bevor er seine Wohnung verlassen musste.

Gemeinsam mit Finnick lasse ich mich auf eine Bank fallen, über der sich die Decke kugelförmig über uns legt. Verwundert bemerke ich, wie Katniss sich gemeinsam mit Gale abseits von der Gruppe niederlässt und versucht ihre gedämpfte Stimme in eine andere Richtung zu wenden.

"Meinst du, sie plant etwas?", spreche ich Finnick an, der gerade einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche nimmt. Er streicht sich einen Tropfen von seiner Lippe, ehe er seinen Kopf schwenkt und sie begutachtet. "Er, glaube ich. Unsere Menschenkenntnis ist gut genug, June. Ich glaube wir haben beide ein komisches Gefühl was Gale angeht." Er hat Recht, auch wenn mir bisher nicht klar ist, was der Grund für meine Verunsicherung Gale gegenüber ist.

"Wir sollten sie im Auge behalten", sage ich, als ich meinen Kopf erschöpft auf Finnicks Schulter ruhen lassen. Sanft streicht seine Hand über meine Wange und schiebt die Strähne hinter mein Ohr, die durch meine Kopfbewegung nach vorne gefallen ist.

"Das machst du immer", schmunzle ich und richte mich auf um ihn direkt anzuschauen. Er erwidert mein Grinsen und flüstert: "Vielleicht weil ich dich so liebe", bevor er einen Kuss auf meine Lippen drückt. Meine Hand wandert zu seinem Nacken, nachdem wir für einen Augenblick die Welt um uns herum vergessen.

Doch das laute Brummen eines Motors lässt mich aufschrecken. Wir lösen uns voneinander und springen im gleichem Moment auf, um bereit zu sein, das Leben des anderen verteidigen zu können.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt