ix. an undefinable moment

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"I wish that I could say I am a light that never goes out

but I flicker from time to time"

Am Morgen des 7. Tages der Siegertour bin ich eher wach, als ich es bis jetzt jemals war. Vor ein paar Monaten habe ich beschlossen, meine Arbeit im Wald wieder aufzunehmen, weshalb ich regelmäßig um 9:00 den ersten Baum anschlage. Warum jetzt, könnte man sich fragen. Aber die einzig, wahre Antwort darauf ist, dass ich mich ablenken muss.
Auch wenn mir mittlerweile eingeredet habe, dass Finnick und ich eine undefinierte Sache waren, die über kurz oder lang  dazu bestimmt war zu Enden, hält es mich nicht davon ab darüber nachzudenken oder mit Johanna darüber zu sprechen.

Ich rolle mich direkt aus dem warmen, beigefarbenen Stoff der Bettdecke, um mich vor weiterem Kummer zu schützen. Nachdem mir durch die Fenster der erste Windstoß entgegen kommt, fühlt es sich an, als würde er meine Gedanken hinfort wehen. Am besten soweit weg wie möglich, denke ich. Auf meiner Haut spüre ich die Kühle des beginnenden Tages; wie sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitet und ich mich mit jedem Atemzug leichter fühle.  Eine andere Seite in mir ist es, die wieder die Augen öffnet und als ich die holzige Treppe nach unten gehe, kommt es mir vor, als hätte ich die andere Seite hinter mir zurück lassen. So fühlt es sich jeden Morgen an. Eine Art Verzweiflung verfolgt mich in der Nacht, doch morgens ist es, als wird eine andere Person in mir wach, die sich nicht von solchen Dingen zurückhalten lassen möchte. Unabhängig davon, ob meine Gedanken in der Dunkelheit um die Spiele und Snow oder um Finnick kreisen. Ich habe mich mit dieser Zwiespältigkeit abgefunden.

Schließlich erreiche ich die Küche, in der ich mir schnell ein Brot schmiere und während das Wasser für meinen Tee aufkocht, meine Klamotten im Bad wechsle. Bereits als ich das erste Mal wieder meine Arbeitsklamotten angezogen habe, fühlte es sich richtig an. Die dicken, schwarzen Stiefel gleiten automatisch an meine Füße und in Sekunden habe ich die dunkelroten Schnürsenkel festgebunden. Meine ebenfalls schwarze Hose schmiegt sich vertraut an. In den großen Taschen, die an beiden Seiten der Oberschenkel seitlich befestigt sind, fand ich noch eine Quittung meiner letzten Tesserasteine. Eine Erinnerung aus einer anderen Zeit.

Die vorderen Strähnen meiner Haare stecke ich geschickt zurück, ehe ich mich mit meiner Tasse Kräutertee auf den Weg in den frühen Morgen mache.

"Guten Morgen Miss Sylva!", ertönt es schon, als ich die Eingangstür hinter mir geschlossen habe.

"Wirst du wohl aufhören mich so zu nennen", lache ich Johanna enthusiastisch entgegen. "Begleitest du mich in meinen Bezirk?" Nickend schnappt sie sich meinen Tee und möchte gerade einen großen Schluck nehmen, doch als sie festgestellt, dass er noch heiß ist, hält sie sich mit verkniffenen Gesicht die Hand auf den Mund.

"Hätte ich dich warnen sollen?", grinse ich und greife wieder nach meiner Tasse, als der Boden unter unseren Füße zu der dunkelbraunen Erde des durchnässten Waldes wechselt. Die Stimmen der Vögel werden immer lauter.

"Nein, nein, es war natürlich, weil ich Kräutertee unausstehlich finde", erwidert Johanna heiter.

"Du bist heute schon früh gut drauf, June", fügt sie nach einem Augenblick der Stille hinzu, doch ich nicke als Antwort nur sachte. "Bist du bereit ihn heute zu sehen?" Daraufhin nicke ich nicht mehr, denn ich weiß, selbst wenn ich es nicht wäre, würde mir nichts anderes übrig bleiben.

"Es war doch sowieso nichts Besonderes", murmle ich vor mich hin und starre die dunklen Tannen vor uns an.

"June, hör auf. Ich hab mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er dich angeschaut hat und wie er zu dir gewesen ist. Natürlich baut seine ganze Fassade auf seinem Charme auf, aber es war von Anfang an offensichtlich, dass es bei dir was anderes gewesen ist und ich kann mir nur vorstellen, dass er keine andere Wahl hatte, als sich von dir fern zu halten. Ich bin überzeugt, dass er das von sich aus nicht gemacht hätte-" Ich unterbreche Johanna direkt.

"Egal was der Grund dafür ist, Johanna. Ich muss mich damit abfinden, dass es vorbei ist. Und das kann ich aktuell am besten so." Mit voller Kraft haue ich mit einer Hand meine frisch geschliffene Axt in den Baum neben mir. Wir haben soeben meinen Arbeitsbezirk erreicht.

"Na gut, damit hast du auch wieder Recht. Aber ich werde es noch heraus finden. Wir sehen uns nachher." Johanna greift erneut nach meiner Kräuterteetasse und nimmt einen Schluck. "Kannst du morgen bitte einen anderen Tee machen?", fragt sie und streckt mir angewidert die Zunge entgegen.

"Vielleicht", verkünde ich und laufe in die andere Richtung in der ich überraschenderweise ein paar Holzfäller erkenne. "Guten Morgen", begrüße ich einen von ihnen, den ich bis jetzt noch nicht hier gesehen habe. "Bist du neu in dem Bezirk?"

Der Dunkelhaarige nickt mir entgegen. An seinem Flanelhemd und in seinem schwarzen Dreitagebart hängen vereinzelt ein paar Holzspäne. "Wenn ich gewusst hätte, dass die bezaubernde Siegerin der 69. Spiele in diesem Bezirk arbeitet, hätte ich bestimmt schon früher gewechselt."

Verlegen grinse ich ihm nur entgegen. "Ich mach mich jetzt auch an die Arbeit", gebe ich zurück und sehe zu, dass ich so schnell wie möglich in eine Baumkrone klettere.

Einen halben Tag später, finde ich mich in meinem Haus wieder. Meine frisch gewaschenen Arbeitsklamotten hängen auf der Leine im Feld und gerade streife ich mir einen tiefschwarzen Overall über, den Gaia mir bereits vor ein paar Tagen zukommen ließ. Ich schaffe es gerade noch in die hohen Schuhe zu schlüpfen, als meine Haustür geöffnet wird.

"Wir sind zu spät, ich hoffe du bist fertig", höre ich Johanna aufgeregt rufen. Als ich um die Ecke komme und sehe, dass sie noch genauso chaotisch aussieht wie heute morgen, muss ich grinsen. Sie ist die größte Rebellin die ich kenne.

Hektisch machen wir uns auf den Weg zum Justizgebäude, um Annie Cresta in Distrikt 7 zu begrüßen. Doch Annie Cresta ist das Letzte, an das ich denken muss, umso näher wir dem blassen Gebäude kommen.

Wir erreichen gerade noch rechtzeitig die Hintertür, die uns bereits aufgehalten wird und ehe ich weiter darüber nachdenken kann, stehe ich Finnick gegenüber. Doch schnell wende ich meinen Blick von ihm ab und gehe Johanna hinterher, die bereits den ersten Fuß auf die Bühne gesetzt hat. Finnick starrt mich emotionslos an, er schaut förmlich durch mich hindurch.

Neben Blight angekommen, knipse ich die Gedanken um Finnick aus und fokussiere mich auf mein breites Lächeln, als die Kamera mir immer näher kommt und Caesars Worte durch die Lautsprecher tönen.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt