xxi. reflections

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"its time to reflect on your life and hold what is close to your heart"

Ich sauge jedes Detail des Hauses auf, als ich die zweite Etage erkunde und die Stimmen meiner Eltern und Johanna immer leiser werden. Die obere Etage teilt sich in mehr Zimmer auf, als ich es jemals brauchen werde. Ich betrete einen Raum zu meiner Linken; die Fenster sind in Richtung des Waldes angebracht, der sich hinter der Häuserreihe erstreckt. Ich bleibe einen Moment stehen um meinen Blick über die Bäume streifen zu lassen.

"Wie ist das alles wirklich für dich, June?", unterbricht Ash meine Gedanken. Er lehnt am Türrahmen und schaut mich besorgt an. Seine Hände sind in den Hosentaschen der grauen Arbeiterjeans vergraben. In seinen dunklen Haaren hängt noch etwas Holzspäne. Ash sieht genauso aus wie an dem Tag, als ich das Distrikt verlassen habe.

"Verstörend", antworte ich kurz, bevor ich näher ans Fenster trete, es öffne und mich auf dem weißen Fensterrahmen setze. "Ich bin nicht für jeden einzelnen Toten verantwortlich, aber ich fühle mich so."

Vor meinen Augen erscheinen nacheinander die Gesichter von Mason bis Sienna. Auf meiner Haut spüre ich erneut das warme Blut von Fleur, als sie starb. Als ihr entschlossener Blick langsam jegliches Leben verlor. In meinen Ohren klingt das Geräusch von dem Moment, als meine Axt mit Aces Schwert zusammenschlug; nur Augenblicke bevor meine Axt sich in seine Brust bohrte und er vor meinen Augen beinahe in Zeitlupe zu Boden glitt.

Mein Bruder kommt ein Stück näher zu mir und legt seine Hand auf meine Schultern. Unbewusst streife ich seine Hand an meiner  Schulter sofort ab. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl, wenn jemand das Gold berührt. "Tut mir leid, Ash", füge ich sofort hinzu und habe dabei vermutlich mehr im Sinn, als er sich gerade vorstellen kann.  Doch an seinem Blick erkenne ich, dass er es bereits ahnen kann.

"Was hat das alles nur mit dir gemacht."

Ich schrecke auf und schaue panisch durch den Raum. Das Zimmer ist das gleiche, wie in meinem Traum, doch es ist mitten in der Nacht. Meine Bettwäsche ist nass geschwitzt, ebenso wie meine Kleidung. Langsam versuche ich mich wieder zu sammeln, doch ich schaffe es nicht mich zu beruhigen, egal wie sehr ich versuche meinen Atem zu regulieren. Die Bilder blitzen weiterhin vor meinen Augen hin und her und vermischen sich mit dem Gesicht von Johanna, Finnick und President Snow. Finnicks Worte gehen mir nicht aus dem Kopf, genauso wenig meine unzähligen Fragen, die ich an ihn habe. Ich versuche meine Gedanken auf Dinge zu fokussieren,die ich noch tun kann und nicht auf das Geschehene, dass ich sowieso nicht mehr ändern kann. Verdrängt von Finnicks charmanten Grinsen, verschwinden mit der Zeit die braunen Augen von Gloria vor meinem Gesicht.

Trotzdem beschließe ich wenigstens meine Klamotten zu wechseln, bevor ich wieder schlafen gehe. Kurz darauf liege ich wieder in dem Bett und starte einen neuen Anlauf ein wenig Erholung zu finden.

"Also zuerst geht es natürlich in Distrikt 12. Dann fahren wir jedes Distrikt nacheinander an und am Ende gibt es in Distrikt 7 ein großes Fest anlässlich deines Sieges. Ich habe deine Reden größtenteils vorbereitet, ich würde mir wünschen, dass du dich an sie hälst", erteilt mir Lucinia Anweisungen als wir keine Stunde mehr von Distrikt 12 entfernt sind. Wie wird es dort wohl sein? Ich habe immer nur Geschichten gehört über andere Distrikte. Über die Märkte und die Bewohner. Über ihre Art zu leben und ihre Art zu sein.

Es wurde immer erzählt, ein Grund für die Wehrlosigkeit der Tribute dieses Distriktes sei, dass sie erst ab 18 in den Kohlemienen arbeiten dürfen; nicht wie in unserem Distrikt.

Abgesehen davon, dass Distrikt 12 offensichtlich zu den ärmeren Distrikten gehört. Es sei angeblich sogar das Ärmste.

Während ich weiter über die Tour der Sieger nachdenke und Lucinias Karten mit meiner Rede studiere, steckt Gaia mir gerade die letzte Haarnadel fest und nickt einer anderen Stylistin zu, die mir kurz darauf in ein langes Kleid hilft. Es hat gedrungene, schlichte Farben, die mein Mitgefühl für den Verlust der Tribute unterstreichen sollen. Meine Schulterprothese ist verdeckt und meine Haare befinden sich in einem flachen Zopf mit dünnen, geflochtenen Strähnen.

Als wir den Zug verlassen, werden wir direkt mit einem Wagen zum Justizgebäudes gebracht. Ich habe gar keine Gelegenheit weiter darüber nachzudenken, dass ich gerade zum ersten Mal in meinem Leben ein anderes Distrikt betreten habe. Der größte Teil unserer Gesellschaft wird nie diese Erfahrung machen können. Mein erster Eindruck ist allerdings gleich dem, wie ich es immer erzählt bekommen habe. Die paar Häuser, die ich auf unserem Weg sehe, sind grau, genauso wie der Boden  auf dem sie stehen und die Mienen, die ich in der Ferne erblicke.

Angekommen am Justizgebäude, tritt Lucinia zuerst auf die Bühne. Ich sammle mich für einen Moment bevor ich ebenfalls vor das Publikum trete und mein bestes Lächeln aufsetze. Die erste Person, der ich gegenüber stehe ist Haymitch Abernathy. Er schüttelt meine Hand und deutet mir den Weg an die Front des Podiums. Von hier aus kann ich direkt in die Augen der Familien blicken, deren Kinder in den Spielen starben und hinter ihnen erinnert mich eine Leinwand daran, wer sie waren. Ihre Gesichter sehen so unschuldig aus und trotzdem wirken sie so, als wussten sie bereits vor den Spielen, dass sie nicht wieder nach Hause kommen werden.

"Wenn wir jemanden verlieren," beginne ich meine Rede. "-müssen wir nicht lernen ohne diese Person leben zu können, sondern ohne die Liebe die sie gegeben haben." Ich trage die Ansprache so vor, wie Lucinia sie angeschrieben hat. Doch nachdem ich alles ordentlich vorgetragen habe, nehme ich die Karten hinter meinen Rücken und trete noch einen Schritt näher an das Mikrofon, ehe ich hinzufüge:

"Ich kann nur erahnen, wie meine Eltern sich gefühlt haben müssen, als ich in den Spielen war. Wie sie bereits damit abgeschlossen haben, dass sie mich jemals wieder in den Arm nehmen können. Es ist die eine Sache, selbst damit Frieden zu schließen, dass man vielleicht sterben wird, aber es um einiges schlimmer, wenn man den Tod seines Kindes verarbeiten muss. Ich möchte ihnen sagen, dass mir ihr Verlust aus tiefsten Herzen leid tut. Keiner sollte sowas erleben müssen. Außerdem tut es mir leid, dass ausgerechnet ich ihnen mein Mitgefühl ausspreche, obwohl ich die bin, die indirekt für diesen Verlust verantwortlich ist.

Danke für ihre Aufmerksamkeit."

Nachdem ich endgültig fertig gesprochen habe, verlasse ich das Justizgebäude über den Hinterausgang und atme tief durch. Eine kleine Träne bahnt sich ihren Weg über meine mit Make up bedeckte Wange. Ich wische sie schnell weg, ehe wir uns auf den Weg ins nächste Distrikt machen müssen.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt