3. Kapitel - Geheimnisse und Familienbande

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„Hallo?", fragte ich zaghaft. „Ist da jemand?"

„Bitte versprich mir, nicht zu schreien oder wegzulaufen!", forderte die Stimmer eines Mädchens. Doch ich sah noch immer nichts.

„Versprochen." Es kam mir seltsam vor, mit der Luft zu sprechen, doch ich hätte schwören können, dass ich in genau diesem Moment einen Menschen hatte atmen hören.

„Wie bist du hier rein gekommen?", kam die Gegenfrage.

Ich entschied mich, die Wahrheit zu sagen: „Durch eine Tür. Im zweiten Gang von hier. Scolége."

„Wo ist da eine Tür?"

„Ganz am Ende meines Flures."

Eine kurze Pause folgte. Dann bewegte ich die Luft und ein Mädchen mit schwarzen Haaren wurde deutlich. Als sie komplett zu sehen war, hielt sie ein schwarzes Tuch in der Hand.

Ich starrte sie an. Sie hatte eine bestimmte Ähnlichkeit mit ihm: die schwarzen Haare und Augen, ebenso wie die Gesichtszüge, sie war nicht besonders groß, aber auch nicht zu klein.

„Hi."

Wie konnte sie jetzt so normal tun?

„Ich bin Treva. Weißt du, ich war eben total überrascht, jemanden hier drinnen zu sehen. Die letzte Menschenseele, die ich hier sah, war Mr. Dolder, der strengere unserer beiden Mathematikprofessoren. Seitdem nehme ich immer das Ding hier mit", sie hielt das dunkle Tuch in die Höhe.

„Was ist das?", fragte ich.

„Ich habe es auf einem Flohmarkt erstanden. Ich mag dunklere Sachen. Der Verkäufer empfahl mir, vorsichtig und klug damit umzugehen. Ich wusste nicht warum, bis ich es einmal trug und meine Mutter nach mir rief, obwohl ich direkt neben ihr gestanden hatte. Kurz gesagt: Es macht unsichtbar. Und zwar für jeden. Selbst für Menschen wie dich."

„Wie mich?"

„Denkst du nicht, dass sich hier hunderte Schüler tummeln würden, wenn jeder die Türen sehen würde?"

Ich zuckte die Schultern. Darüber hatte ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht. „Und warum bist du gerade jetzt hier, und nicht beim Essen?"

„Wenn alle beim Essen sind, sieht keiner, wenn ich hier her komme. Ein paar hundert Meter von hier befindet sich eine Treppe, sie führt einerseits eine Etage hinauf, aber auch noch höher, bis unters Dach, da kann man super nachdenken, ohne gestört zu werden. Mein Bruder schmuggelt mir immer Essen aufs Zimmer, wenn ich nicht dagewesen war." Sie hatte einen Bruder.

„Wie viele Geschwister hast du?"

„Sechs. Wir sind in unterschiedlichen Gruppen, Chuch oder Scolége. Meine Schwestern Elena und Lauren und mein kleiner Bruder Nick sind in Scolége, Isabella, meine Zwillingsschwester und ich sind hier in Chuch, Rose und Olivia sind schon ein- und zweiundzwanzig, also schon längst aus der Schule."

„Ich wohne mit Elena auf einem Zimmer."

„Dann bist du Maggie. Sie hat mir ganz stolz erzählt, dass sie jetzt, wo Olivia und ihre damals beste Freundin Lilly nicht mehr da sind, neue Mitbewohnerinnen bekommt. Da du aber kein Grün trägst, geh ich davon aus, dass du Maggie sein musst."

Ich lächelte schwach. „Ihr seht euch nicht ähnlich."

„Selbst meine Zwillingsschwester hat blonde Haare und blaue Augen. Alle in unserer Familie, bis auf Nick und mich."

„Wie bekommst du das Essen von deinem Bruder, wenn er bei uns ist?"

„Er ist wie wir. Er sieht die Türen. Er darf durch sie gehen. Jemand, der die Türen nicht sieht und nicht an sie glaubt, wird immer gegen eine Wand laufen. Er wird diesen Gang nie betreten", erklärte Treva mir. „Ich hab's mit Lauren probiert. Sie versteht Nick und mich am besten. Sie fragt sich zwar, warum wir Sachen sehen, die anderen verborgen bleiben, doch sie liebt uns beide trotzdem. Seit wir es unserer Familie erzählt haben, haben sich alle von uns distanziert, nur sie nicht."

SCOODJE (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt